Süddeutsche Zeitung

100 Jahre Davidwache auf St. Pauli:Blaulicht im Rotlicht

Die legendäre Davidwache auf St. Pauli wird 100 Jahre alt. Ihr Reviergebiet ist das kleinste Europas. Dennoch ist die Wache ein Symbol für die polarisierende Kraft, die von der Polizei ausgeht.

Von Thomas Hahn und Hannah Beitzer, Hamburg

In den hellen Nächten von St. Pauli trotzt die Davidwache am Rande der Reeperbahn wie eine kleine Burg dem Chaos aus Licht und Menschen. Nichts an dem hohen, schmalen Haus aus rotem Backstein blinkt oder macht Krach. Es scheint mit dem bunten Rest drumherum nichts zu tun zu haben. Und es kann schon sein, dass die Leute, die sich hier ins dröhnende Vergnügen der Diskotheken- und Bordellmeile werfen, die Davidwache für eine steingewordene Spaßbremse halten. Dabei hätten sie ohne sie bestimmt viel weniger Spaß als mit ihr.

100 Jahre wird die Davidwache in dieser Woche alt. Schon der Umstand, dass das auffällt, zeigt den besonderen Stellenwert dieser Wache, in der das Hamburger Kommissariat 15 untergebracht ist. Das Reviergebiet der Davidwache ist nur 0,92 Quadratkilometer groß, es ist das kleinste Europas. Trotzdem ist es wohl das bekannteste in ganz Deutschland, ein Symbol für die polarisierende Kraft, die von der Polizei ausgeht.

Am 10. Dezember 1914 wurde die Davidwache eingeweiht. Die Idee für eine Polizeiwache auf St. Pauli hatte der Senat allerdings schon 1840. Das Viertel gehörte damals nicht offziell zur Hansestadt, es lag im Niemandsland zwischen Hamburg und dem preußischen Altona. Die Polizei zog zuerst in ein kleines Wachhäuschen an der Ecke Kastanienallee und Davidstraße. 1868 siedelte sie in ein größeres Gebäude an der Ecke Davidstraße/Spielbudenplatz um, das vorher vom Hamburger Militär genutzt wurde - der Vorgänger der heutigen Davidwache.

St. Pauli, ein Problemviertel

Um die Jahrhundertwende wurde St. Pauli langsam zu dem, was man heute ein Problemviertel nennt. Kleinkriminelle aus Hamburg flohen aus der Stadt dorthin, Einwanderer aus aller Welt versuchten ihr Glück in dem Amüsierviertel, Drogenhandel und Prostitution blühten. Es musste also eine noch größere Polizeiwache her, die Bauarbeiten dauerten von 1913 bis 1914. Vor genau 100 Jahren zog die Polizei dann ein. Den Spitznamen "Davidwache" gab die Bevölkerung der Polizeistation wegen der nahegelegenen Davidstraße, erst 1970 verlieh der damalige Innensenator Heinz Ruhnau der Wache das Recht, sich offiziell so zu nennen.

Und heute? Keiner der vielen Partygänger, die jedes Wochenende auf die Reeperbahn kommen, will auf der Davidwache enden. Wer dort hin muss, bei dem ist im Eifer des Vergnügens irgendwas schief gelaufen. Trotzdem geht von der Davidwache eine besondere Faszination aus. Ihr sachlicher Ernst, mit dem sie sich gegen das zwielichtige Rotlichtgeschäft in der Nachbarschaft stellt, hat einige Filmemacher inspiriert. Sie steht im Rang einer Sehenswürdigkeit, immer wieder marschieren Touristen in die Wache hinein, als gehörte sie zum Amüsierprogramm ihres Reeperbahnausflugs. Es gibt sogar eine offizielle Fan-Page im Internet, über die man Davidwache-T-Shirts und Davidwache-Tassen erstehen kann.

Folklore und Verklärung sind groß an der Reeperbahn. Gerne erzählt man den Touristen die alten Geschichten von den schillernden Größen des Rotlichtmilieus, die sich hier in den Siebziger und Achtzigerjahren als großspurige Geldmacher und Frauenbesitzer inszenierten, von Karate-Tommy, vom schönen Mischa, von Neger-Kalle und ähnlichen Gestalten. Aber damals gab es auch blutige Bandenkriege, mit Gewalt, Schießereien, Mord. Irgendwann fing die Polizei an, die eskalierenden Kämpfe mit besonderer Konsequenz zu bekämpfen. Mittlerweile sind die Clanchefs von damals tot oder unbedeutend, die Atmosphäre auf der Reeperbahn hat sich geändert.

Die Kiezgrößen von heute sind diskreter als die von einst, sie zeigen sich ungern in der Öffentlichkeit, sie provozieren auch weniger Ärger mit der Polizei. Sie stellen lieber sicher, dass das Geschäft mit dem Sex-Verkauf reibungslos läuft und möglichst viel Geld aus den Taschen der Touristen bei den Frauen - und damit bei ihnen - landet; sie tun das durchaus auch mal mit eigenen Schlägertrupps, wenn ihnen die Polizei zu langsam ist. Die Davidwache wiederum ist mit Zivilbeamten besetzt, die den Kontakt mit der Rotlichtszene halten und im Blick behalten, was rund um die Bordelle und Laufhäuser passiert.

Kritik am Gefahrengebiet

Bis zu 50 000 Menschen sind an einem normalen Freitag oder Samstag auf der Reeperbahn unterwegs, das sind sehr viele Leute auf engstem Raum, im Rausch der Nacht kippt das Vergnügen leicht in Aggression um. Das ist eine ewige Herausforderung, die man nie aus den Augen lassen darf, sonst wird der Spaß bei Kunstlicht und Diskotheken-Gewummer zum bitteren Ernst.

Vor einem Jahr geriet die Davidwache wegen angeblich gezielter Anschläge auf Polizisten in die Schlagzeilen. Am 4. Januar 2014 wurde ein großes Gefahrengebiet eingerichtet, das sich über die Stadtteile St.Pauli, Altona-Altstadt, Altona-Nord und Sternschanze erstreckte. Dort durften Polizisten ohne Anlass Taschen kontrollieren, Passanten nach ihren Ausweisen fragen, Platzverweise aussprechen. Politiker und Juristen kritisierten die Einrichtung des Gefahrengebiets als unverhältnismäßig und die etwa 80 000 betroffenen Hamburger waren empört. Die Hintergründe der angeblichen Anschläge sind bis heute ebenso unklar wie der genaue Ablauf. Politische Motive? Oder doch nur Krawall?

Ein Wochenenddienst auf der Davidwache ist für viele Beamte die Königsdisziplin des Polizeiwesens, für andere ist es der Horror. "Man mag es oder man hasst es", heißt es unter den Diensthabenden. Pünktlich zum Jubiläum bekommen sie nun zum ersten Mal in der Geschichte der Polizeistation eine Chefin, die 49-jährige Cornelia Schröder. Wer auf der Davidwache zu ihrer Besatzung gehört, hat einen Job, in dem die dunkle Seite von Sex und Feierlust auf besondere Weise gegenwärtig wird.

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