Die Fassade des Hauses, das der Gastwirt Herbert Houska aus Amstetten vor etwa anderthalb Jahren gekauft hat, ließ er in einer Farbe anstreichen, die er als "Apricot" beschreibt. Von der Rückseite des Grundstücks aus betrachtet, im Licht der Abendsonne und mit Blick auf die Dachterrasse im zweiten Stock könnte es auch ein Orangeton sein. Egal, alles besser als das bunkerhafte Steingrau von einst.
"160 000 Euro plus Steuern", sagt Houska, haben er und seine Frau bezahlt, ein halbes Jahr verhandelt, sogar vor einem Ethik-Ausschuss vorgesprochen, der die Ernsthaftigkeit ihres Interesses prüfte, und am Ende hatten sie Glück, weil Houskas Anwalt den Konkursverwalter kannte und diesem versicherte, dass "der Herbert" ein vertrauenswürdiger Geschäftsmann sei. Houska hat, so sieht er es selbst, mehr getan, als nur ein heruntergekommenes Haus zu renovieren. Mit dem neuen, frischen Anstrich will er seine Stadt von einer Last befreien - der Last, auf ewig die Stadt des Josef Fritzl zu sein.
Dessen altes Wohnhaus liegt nur wenige Hundert Meter vom Zentrum Amstettens entfernt. In der Nähe Einfamilienhäuser, kleine Handwerksbetriebe, ein Tattoo-Studio, ein türkischer Kulturverein, der Hundesalon "Quicky". Hier war es also.
Eine Familie oben, sichtbar für jeden, und eine unten, von der niemand etwas ahnte
Hier hat Josef Fritzl seine Tochter in einem zugemauerten Verlies gefangen gehalten, sie Tausende Male vergewaltigt, sieben Kinder mit ihr gezeugt, von denen eines kurz nach der Geburt starb. Drei der Kinder wohnten mit ihrer Mutter im Keller, die anderen oben bei den Großeltern, angeblich vor dem Haus abgelegt von der abtrünnigen Tochter - so erzählten es die Fritzls -, die von zu Hause weggelaufen war und sich einer ominösen Sekte angeschlossen hatte. 24 Jahre lang ging das so. Eine Familie oben, sichtbar für die Öffentlichkeit, und eine unten, von der niemand etwas ahnte. Erst als eines der im Keller gezeugten Kinder, eine damals 19 Jahre alte Frau, lebensgefährlich erkrankte und Fritzl einwilligte, sie ins Krankenhaus zu bringen, flog alles auf.
Genau zehn Jahre ist das jetzt her. Damals wurde das Fritzl-Haus von Reportern belagert. Paparazzi, so die Gerüchte, seien damals für Bilder der Kinder eine Million Euro angeboten worden. Journalisten versuchten, die Kombination des Zahlenschlosses herauszubekommen, mit der die "Inzest-Bestie" das Verlies gesichert hatte, und die britische Sun titelte: "Fritzl: Hitler hat mich dazu gebracht".
Renate Stalzer kann sich gut an jene Wochen erinnern, als die Stadt nicht mehr zur Ruhe kam. Sie führt seit 30 Jahren ein Geschäft für Handarbeiten schräg gegenüber dem Fritzl-Haus. Ein kleiner Verkaufsraum, hinten die Nähstube, Regale voller bunter Wollknäuel. "Früher sind fast täglich Leute in meinen Laden gekommen und haben gefragt: Na, wo ist das Haus denn jetzt? Inzwischen kommt kaum noch jemand", sagt sie. Fritzl sei oft an ihrem Geschäft vorbeigegangen, ein "ganz ein höflicher Mann" sei er gewesen, "immer Küss die Hand und Grüß Gott". Das ist nach allem, was Psychologen über sexuell abnorme Straftäter wissen, eine typische Charakterisierung.
Heute wohnen in dem Haus, dessen grauenvolle Geschichte vor zehn Jahren weltbekannt wurde, Mitarbeiter eines Gastronomiebetriebs und Tänzerinnen einer Bar.
(Foto: Matthias Röder/dpa)Menschen, die solche Verbrechen begehen, haben die Fähigkeit, ihre Taten völlig abzuspalten von ihrem übrigen Leben, das, wie es dann oft heißt, in geordneten, bürgerlich-spießigen Mustern verläuft. "Fritzl war ein angenehmer Klient, korrekt bis ins Letzte, wenn er Ja sagte, meinte er Ja, und wenn er Nein sagte, meinte er Nein", sagt auch sein damaliger Anwalt.
Rudolf Mayer, 70, Strafverteidiger seit 38 Jahren, hat seine Kanzlei in einer Wiener Altbauwohnung unweit der Universität. In seinem Büro Aktenberge in roten Mappen, im Flur Ledersofas, ein expressionistisches Gemälde und gerahmte Zeitungsberichte über seine Fälle. Die "Eislady", die ihre Liebhaber ermordete und zerstückelte, ein Zuhälter, der eine Prostituierte mit Benzin übergoss und anzündete - und eben Fritzl. "Nicht, dass Sie meinen, ich habe das aus Eitelkeit hingehängt", sagt Mayer. Aber einmal habe ein Klient nach einem guten Erstgespräch gesagt, dass er sich einem anderen Anwalt anvertraut habe, weil dieser seine erfolgreich gelösten Fälle im Vorzimmer dokumentiert hatte. "Das hat mich geärgert, auch weil der Kollege nicht einen Bruchteil so viel Erfahrung hatte wie ich", sagt Mayer.