Süddeutsche Zeitung

Zwischenstand:Alkoholverbot am Hauptbahnhof: Wohin ist die Trinker-Szene verschwunden?

  • Seit sechs Wochen gilt am Hauptbahnhof München nach 22 Uhr ein Alkoholverbot.
  • Wer dort öffentlich trinkt, muss mit zum Teil saftigen Bußgeldern rechnen.
  • Die Trinker-Szene, die sich dort regelmäßig traf, ist seitdem größtenteils verschwunden.

Von Thomas Anlauf

Der Polizist ist freundlich, aber bestimmt. "Sie haben einen Platzverweis und wir warten, bis Sie weg sind", sagt er zu den zwei jungen Männern, die neben dem Eingang zum Burger King am Hauptbahnhof stehen und rauchen. Kurz zuvor hatten die fünf Polizisten die beiden kontrolliert, den orange-schwarzen Tagesrucksack des jungen Mannes mit der schwarzen Lederjacke überprüft. Betrunken wirken die zwei nicht, die den Belehrungen der Beamten aufmerksam, aber ohne Regung zuhören.

Doch seit sechs Wochen genügt es schon, nach 22 Uhr mit Alkohol am Bahnhof erwischt zu werden, um Ärger zu bekommen. Die Stadt hat im Januar eine entsprechende Verordnung erlassen, um die dort herumstehende Szene aus Trinkern und Dealern in den Griff zu bekommen. Und der Bier-Bann wirkt offenbar.

Kurz vor 23 Uhr im Hauptbahnhof. Viele Läden haben um diese Zeit bereits geschlossen, im Burger King am Ausgang zur Bayerstraße sitzen einige junge Leute vor ihren Burgern oder Cola-Bechern, die Szene wirkt friedlich. Nebenan in der verglasten Gastronomiezeile stehen fünf Männer an zwei Tischen und trinken Augustiner aus der Flasche. Bei Yormas kauft ein Reisender mit Rollkoffer zwei Flaschen Chiemseer Bier, direkt hinter ihm stehen Polizisten an, die sich Kaffee holen. Sie lassen den jungen Mann ziehen, der gleich darauf in den Alex nach Regensburg steigt. Beides ist auch weiterhin erlaubt: Nachts Bier als Reiseproviant einzukaufen und im Gastronomiebereich Alkohol zu sich zu nehmen.

Nur die vielen Trinker, die in den vergangenen Jahren vor allem unter dem Vordach des Hauptbahnhofs und am Südeingang standen und sich über Stunden hinweg betranken, wollten Stadt und Bahn nicht mehr länger dulden. Die Deutsche Bahn erweiterte ihre Hausordnung und erließ ein generelles Alkoholverbot im Bahnhofsgebäude sowie vor den Eingängen, außerhalb "kann das Mitführen und der Verzehr von Alkohol als Ordnungswidrigkeit geahndet werden", steht nun auf einem Schild an der Bayerstraße.

Selbst die Bahn ist überrascht

Über dem Zentraleingang am Bahnhofsplatz hängt eine große Tafel: "Bitte Durchgangsbereich freihalten - Please keep this area clear". Doch in der Nacht ist dort so gut wie niemand mehr, der die Schwingtüren blockieren könnte. Nur in einer dunklen Ecke am Eingang steht ein Mann mit kurzen Rastazöpfen, hält eine Dose Bier in der Hand und raucht.

Bei der Bahn ist man selbst überrascht über die neue Leere am Hauptbahnhof. Als die Sache mit dem Alkoholverbot Anfang des Jahres bekannt wurde, "war unsere Klientel plötzlich weg", sagt ein Bahnsprecher. Die "Klientel", wie er die Gruppen von Herumstehenden nennt, ist eine ziemlich heterogene Szene: "zum Teil junge Flüchtlinge, aber auch Rumänen und Bulgaren und die Stammsteher", sagt Franz Herzog, Chef der Streetworker bei der "Teestube komm".

Seine Sozialarbeiter, die vor allem tagsüber regelmäßig den Hauptbahnhof aufsuchen, hätten ihm auch berichtet, "dass es deutlich ruhiger geworden ist". In den vergangenen Jahren war die Zahl der Leute, die vor allem im Bereich des Schwammerls, also unter dem Vordach des Bahnhofs, herumstanden und über Stunden Alkohol konsumierten, massiv angestiegen. "Zuletzt konnten dort in den Nachmittagsstunden teils über 100 Personen angetroffen werden", heißt es in einer Einschätzung des Polizeipräsidiums.

Doch die sind nun weitgehend verschwunden. Die Polizei geht davon aus, dass die massive Präsenz der Beamten in und um den Bahnhof schnell Wirkung gezeigt hat. Und das Alkoholverbot "verfolgen wir rigoros", sagt Polizeisprecher Werner Kraus. In den vergangenen sechs Wochen habe man mehr als 120 Anzeigen erstattet und ans Kreisverwaltungsreferat weitergeleitet. Die Strafen sind saftig. Beim ersten Mal werden 75 Euro fällig, danach steigt das Bußgeld weiter: auf 100, 150, 200 und 250 Euro, ab der sechsten Anzeige sogar auf 1000 Euro.

"Wenn wirklich einer dreimal angezeigt wird, überlegt er sich wohl, ob er wiederkommt", sagt Kraus. Er begleitete vor einigen Wochen eine Abendstreife am Hauptbahnhof, um sich ein Bild von der neuen Situation dort zu machen. Es sei "gespenstisch leer" gewesen, berichtet Kraus. Dennoch hält die Polizei es für verfrüht, eine Bilanz des Alkoholverbots am Bahnhof zu ziehen. Schließlich sei es insbesondere nachts noch so kühl, dass die niedrigen Temperaturen abschreckend auf die Szene wirken könnten.

Tatsächlich haben sich in den vergangenen milderen Tagen wieder mehr Menschen vor allem am Schwammerl eingefunden. Allerdings stehen sie nun nicht mehr in Pulks unter dem Vordach, sondern einzeln entlang der Ladenzeile, die wegen der Baustelle vor dem Bahnhof nur noch wenig Platz lässt. Dem Vernehmen nach wurden die Bauzäune sehr großräumig aufgestellt, um den Aufenthalt am Haupteingang unattraktiv zu machen.

"Die Frage ist: Wo sind sie geblieben?", fragt sich ein Sprecher der Deutschen Bahn. Darauf wissen auch die Streetworker und die Polizei noch keine Antwort. Die Befürchtung, dass die Szene nachts auf den Alten Botanischen Garten ausweicht, ist zumindest bislang noch nicht eingetreten. Bei einem Besuch um kurz vor Mitternacht ist in der Grünanlage kein Mensch zu sehen.

Möglicherweise liegt das auch daran, dass das Baureferat kürzlich das Unterholz im Park behutsam ausgedünnt hat. Die Grünanlage ist nun auch von der Elisenstraße aus einsehbar, verborgene Winkel gibt es nicht mehr. Demnächst sollen auch die Parkbänke umgerüstet und mit zusätzlichen Lehnen versehen werden, damit auf ihnen nicht mehr übernachtet werden kann. Das hatte die SPD im Dezember in einem Antrag gefordert.

Fritz Wickenhäuser, der als Vorsitzender des Vereins "Südliches Bahnhofsviertel" die Situation um den Bahnhof genau beobachtet, kann sich auch nicht erklären, wo die vielen Menschen plötzlich geblieben sind. Er warnt jedoch davor, dass beim Umbau des Bahnhofs an den Baustellen "dunkle Ecken entstehen" könnten, an denen sich die Drogenszene etabliert. Derzeit ist sie aber dort fast verschwunden - zumindest aus dem Blickfeld.

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Quelle:
SZ vom 08.03.2017/eca
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