Öffentlicher Nahverkehr:Warum der Bau der zweiten Stammstrecke länger dauern könnte

Baustelle für zweite S-Bahn-Stammstrecke in München, 2018

Viele glauben nicht, dass die Verzögerungen bei der zweiten Stammstrecke einzig und allein an der U 9 liegen.

(Foto: Robert Haas)

Laut Bahn könnten Baumaßnahmen für die neue U-Bahnline U9 die Fertigstellung verzögern, doch nicht jeder mag das glauben. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Von Andreas Schubert

Ende 2026 sollte die zweite S-Bahn-Stammstrecke eröffnet werden. Doch das könnte sich um bis zu zwei Jahre nach hinten verschieben, wie am Donnerstag bekannt wurde. Der Begründung der Bahn, das liege an den neuen Plänen der Stadt zum Bau der U-Bahnlinie U 9, mag nicht jeder Glauben schenken.

Warum dauert der Stammstreckenbau länger?

Will die Stadt die U 9 irgendwann bauen, so müsste die Bahn bei der neuen S-Bahn-Haltestelle am Hauptbahnhof gleich auch noch den Rohbau der künftigen U-Bahn-Station errichten. Das würde laut Bahn- Projektleiter Markus Kretschmer die Fertigstellung der Stammstrecke verzögern. Doch offiziell gilt laut Bahn der ursprüngliche Zeitplan mit Fertigstellung 2026 nach wie vor. Das teilt auch das bayerische Verkehrsministerium mit. Denn noch hat der Stadtrat den Bau der U 9 nicht beschlossen. Allerdings ist der U-Bahn-Bau bereits berücksichtigt in den Ausschreibungsunterlagen für die Fertigstellung des Rohbaus für den Stammstreckenabschnitts am Hauptbahnhof. Hier steht als Fertigstellung das Jahr 2027.

Was sagt die Stadt dazu?

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärte am Freitag: Sollte es nun zu Verzögerungen beim Bau der Stammstrecke kommen, müsse man sich genau ansehen, welche Baumaßnahmen dafür verantwortlich seien. "Meines Wissens gibt es neben dem Thema U 9 noch erheblichen Umplanungsbedarf seitens der Bahn selbst." Auch der Chef der SPD-Stadtratsfraktion, Alexander Reissl, glaubt nicht, dass es einzig und allein an der U 9 liege. Die CSU-Fraktion äußerte sich dazu am Freitag nicht.

Wie sehen Kritiker der Stammstrecke eine mögliche Verzögerung?

Dass die Zeitplanung nicht zu halten ist, liege "nicht ausschließlich und schon gar nicht originär" an den Vorhaltemaßnahmen für die U 9, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Runge. Er spricht von "grotesken Fehlplanungen im Bereich des Hauptbahnhofs", die korrigiert werden müssten. Bekanntermaßen wird der neue S-Bahnsteig rund 80 Meter nach Westen versetzt. Die Bahn spricht hier von Optimierungen, um Zeit und Geld zu sparen.

Laut Runge führten statische Probleme mit den bestehenden U-Bahnröhren zu der Umplanung, was die Bahn verneint. Diese Korrekturen, so Runge, hätten dazu geführt, dass die Vergabe für den Bau erst Ende 2018 erfolgte, und nicht, wie vorgesehen, im Juli 2017. Laut Projektleiter Kretschmer allerdings hat sich die Vergabe hingezogen, weil Baufirmen gut ausgelastet sind und es deshalb schwierig war, überhaupt jemanden zu finden, der den Auftrag annimmt. Auch der Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher, ebenfalls ein Kritiker der Röhre, zweifelt an der Begründung der Bahn: "Ich habe schon befürchtet, dass man uns die U9 in die Schuhe schiebt."

Warum plant die Bahn überhaupt eine U-Bahnstation am Hauptbahnhof?

Weil das U-Bahn-System überlastet ist, gilt die künftige Linie U 9 als wichtiger Baustein des öffentlichen Nahverkehrs in München. Sie wird voraussichtlich frühestens in den 2030er-Jahren gebaut. Weil aber bereits von diesem Jahr an am Hauptbahnhof das Zugangsbauwerk für die zweite S-Bahn-Stammstrecke entsteht, der sogenannte Nukleus, muss es zumindest bei einem möglichen U-Bahnhalt dort schnell gehen. Ein nachträglicher Einbau in den neuen Hauptbahnhof wäre nicht mehr möglich. Die Bahn handelt im Auftrag der Stadt und kooperiert bei den Planungen mit der Münchner Verkehrsgesellschaft.

Was kostet die U 9?

Alleine der Rohbau am Hauptbahnhof würde 250 Millionen Euro kosten, die Kosten für die gesamte Linie werden auf drei Milliarden Euro geschätzt. Grünen-Stadtrat Bickelbacher schließt zudem weitere Kosten nicht aus, etwa durch Schadenersatzforderungen der Bahn, wenn wegen der Baustelle der Betrieb am Bahnhof eingeschränkt werden muss. OB Reiter sagt, er sehe keine Alternative zur U9, schränkt aber ein, dass die Finanzierung der Nahverkehrsprojekte offen sei. "Die Landeshauptstadt wird diese sicher nicht allein schultern können", sagt Reiter. Deshalb habe er die zuständigen Minister in Berlin um einen möglichst baldigen Gesprächstermin gebeten. "Der Bund muss hier endlich die Weichen stellen und verbindliche Zusagen machen."

Wird wegen der Verzögerung auch die Stammstrecke teurer?

Kritiker wie Runge rechnen fest damit. Projektleiter Kretschmer indes betont, durch optimierte Bauabläufe könne man immer wieder Geld sparen. So werde man im festgelegten Kostenrahmen von 3,8 Milliarden Euro bleiben, in den schon ein Risikopuffer von 600 Millionen eingerechnet ist.

Wann würde am Hauptbahnhof gebaut?

Bereits im Mai beginnt der Abriss der alten Schalterhalle. Ende des Jahres soll der Bau des Nukleus beginnen. In etwa zwei Jahren könnte das Eisenbahnbundesamt auch die Genehmigung für die U-Bahnstation erteilt haben, dann könnten die Bauarbeiter hier ebenfalls loslegen.

Wie würde der U-9-Halt gebaut?

Der U-Bahnhof läge zum Teil unterhalb der Gleishalle. Das heißt: Westlich der Baugrube für den Nukleus entstünde eine weitere Grube, da der U-Bahnhof in der sogenannten Deckelbauweise gebaut würde. Das heißt: Die Grube bekommt oben einen Betondeckel, sodass sich die Belästigung durch Lärm und Schmutz in Grenzen hält. Die Baugrube würde fast bis zur heutigen Fahrgastinformation reichen. Dann könnte es eng werden für die 450 000 Passagiere, die den Hauptbahnhof täglich nutzen. Um Platz zu schaffen, wird laut Kretschmer geprüft, die Prellböcke in der Halle bis zu 20 Meter nach Westen zu versetzen.

Wie sähe die U-9-Station aus?

Die bisherigen Planungen sehen vor, dass sich im Untergrund die Passagiere auf drei Ebenen zwischen den einzelnen Gebäudeteilen der Bahnhofs bewegen könnten, etwa von der U 9 zur Station der Linien U 1 und U 2, die auf gleicher Höhe wäre. Der Umweg über ein Sperrengeschoss wäre also nicht nötig. Eine derartige Entzerrung der Passagierströme ist sinnvoll, da mit der U 9 und der zweiten Stammstrecke die Zahl der Reisenden auf bis zu 750 000 täglich steigen könne, schätzt Kretschmer.

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