Zweite Stammstrecke:"Eine Katastrophe für die ganze Stadt"

Zweite Stammstrecke: Die S-Bahn-Stammstrecke ist zentral für den öffentlichen Nahverkehr in München.

Die S-Bahn-Stammstrecke ist zentral für den öffentlichen Nahverkehr in München.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Bürgerinitiative Haidhausen arbeitet seit mehr als zehn Jahren daran, den geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel zu verhindern.
  • Besonders Anwohner des Orleansplatzes befürchten jahrelangen Dauerstress.
  • Die Mitglieder gehen davon aus, dass eine Klage vor Gericht allein nicht ausreichen wird. Deshalb wollen sie mehr Münchner mobilisieren.

Von Marco Völklein

Josef Glasz ist mit einem klaren Auftrag an diesem Abend ins Kolpinghaus in Haidhausen gekommen. "Müssen wir klagen, um Verbesserungen beim Lärmschutz zu bekommen?", fragt der Verwaltungsbeirat einer Wohnungseigentümergemeinschaft an der Inneren Wiener Straße. "Oder gibt es noch andere Möglichkeiten?"

Rechtsanwalt Andreas Lehners macht schnell klar: Um konkret die Ansprüche der 180 Eigentümer durchsetzen zu können, sei eine Klage wohl angeraten. Allerdings seien sie ja nicht alleine in ihrem Kampf: Zusammen mit mehreren Musterklägern will die Bürgerinitiative in Haidhausen den geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel ohnehin stoppen.

Seit gut 14 Tagen liegt sie nun vor, die Baugenehmigung für jenen Teilabschnitt des Tunnels, der unter Haidhausen hindurch führen soll. Nun laufen bald die Fristen: Sobald die Baugenehmigung, der sogenannte Planfeststellungsbeschluss, zugestellt ist, bleibt möglichen Klägern ein Monat Zeit, um vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Projekt vorzugehen. Weitere sechs Wochen haben die Anwälte dann, die Klage in ausführlichen Schriftsätzen zu begründen.

Seit mehr als zehn Jahren schon arbeitet die Bürgerinitiative in Haidhausen mit der Kanzlei Schönefelder Ziegler Lehners zusammen; man sei gerüstet für das, was da nun anstehe, sagt der Anwalt am Donnerstagabend. Unter anderem einen besseren Schutz vor Belastungen durch Lärm, Dreck und den Baustellenverkehr will Lehners vor Gericht durchsetzen.

Vor allem die Anwohner rund um den Orleansplatz fürchten jahrelangen Dauerstress. Der Platz sei "ein zentrales Problem", sagt Anwalt Lehners. Für einen neuen S-Bahnhof dort plant die Bahn eine riesige Baugrube. "Meine Tochter wechselt demnächst aufs Gymnasium", berichtet Matthias Bady, der direkt am Orleansplatz wohnt und sich in der Bürgerinitiative engagiert. "Die wird, wenn der Tunnel gebaut werden sollte, ihre komplette Gymnasialzeit nicht wirklich menschenwürdig leben können."

Auch rund um die Ecke Keller- und Milchstraße sowie in den Maximiliansanlagen will die Bahn bis zu 40 Meter tiefe Schächte graben lassen. Zudem fürchten viele Haidhauser Erschütterungen, wenn die Züge künftig unter ihren Häusern hindurchrattern, sowie erhebliche Wertminderungen ihres Eigentums. "Wenn man den Widerstand fortsetzen möchte", sagt Lehners, "dann muss man jetzt den Gang zum Gericht gehen." Genügend Geld zumindest für die erste Instanz sei vorhanden, sagt die BI-Vorsitzende Ingeborg Michelfeit. "Aber keiner kann sagen, bis zu welcher Instanz wir gehen müssen." Spenden seien willkommen, womöglich werde der Verein auch die Mitgliedsbeiträge anheben müssen.

Wie die Klage noch begründet werden soll

Die Anwälte indes wollen sich nicht nur auf Aspekte wie Lärm, Dreck und Erschütterungen konzentrieren. Vielmehr werde man "das Projekt als Ganzes infrage stellen", sagt Lehners Kollege Eike Schönefelder. So sei die vorgelegte Nutzen-Kosten-Rechnung zweifelhaft. Alternativen zu der Drei-Milliarden-Euro-Röhre, etwa eine Teilertüchtigung des Bahn-Südrings, seien weit günstiger und sinnvoller.

Zudem will Schönefelder die aus seiner Sicht gravierenden Sicherheitsmängel anführen: So hatten unter anderem Vertreter der Berufsfeuerwehr bei den Anhörungen vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass die Fluchtwege zu schmal geplant und nicht mit den allerneuesten Rettungstechniken ausgestattet seien.

Oberstes Ziel müsse es sein, das Gericht dazu zu bewegen, den Planfeststellungsbeschluss komplett aufzuheben, sagt Schönefelder. Allerdings verhehlt er nicht, dass dies schwierig werden dürfte. Denn sollten die Richter Fehler im Genehmigungsbescheid entdecken, räumen sie den Juristen und Planern in der Regel die Möglichkeit ein, nachzubessern.

Für die im Kolpinghaus Versammelten ist an diesem Abend daher rasch klar, dass "es die Klage allein nicht bringen wird", wie ein Besucher sagt. Bei Stuttgart 21 sei es gelungen, "die Bevölkerung zu mobilisieren", dies müsse man auch in München organisieren. Ein anderer, angereist aus Waldperlach, ergänzt, die Tunnelplanungen seien "kein Stadtteilproblem, sondern eine Katastrophe für die ganze Stadt". Die BI-Vorsitzende Michelfeit gibt ihm recht: "Natürlich wird unser Kampf weitergehen."

So wollen die Landtags-Grünen am kommenden Dienstag eine Alternativplanung zur Röhre vorstellen. Die BI-Chefin ruft dann aber auch: "Schauen Sie sich mal um, wie viele heute Abend da sind." Im Raum sitzen etwas mehr als 60 Leute. Vor etwa zehn Jahren, als die Bahn geplant hatte, die Kirchenstraße für den Tunnelbau aufzureißen, seien fünfmal so viele gekommen, sagt Michelfeit. Diesen Elan von damals, den müsse man wieder entwickeln, parallel zum juristischen Vorgehen. "Wir können ja nicht elf Jahre bellen, und dann beißen wir nicht."

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