Zwangsheirat:Hilfe für Flüchtige

Zwangsheirat: Ein Paar bei der Ringzeremonie - doch was ist, wenn die Braut die Hochzeit und den Ring gar nicht will?

Ein Paar bei der Ringzeremonie - doch was ist, wenn die Braut die Hochzeit und den Ring gar nicht will?

(Foto: dpa)

Mit der Flucht alleine ist es meist nicht getan: Wenn die Eltern bestimmen, wen sie heiraten sollen, wissen viele junge Menschen nicht weiter. Um ihnen zu helfen, hat in München die bayernweit erste auf Zwangsheirat spezialisierte Beratungsstelle ihre Arbeit aufgenommen. Betreut werden hier auch Männer.

Von Sven Loerzer

Mit 22 Jahren ist Filiz geflohen. Sie hat die Flucht ergriffen aus ihrem eigenen Elternhaus. Denn die junge Kurdin ahnte schon, dass ihre Eltern sie spätestens dann, wenn sie ihre Ausbildung als Bürokauffrau abgeschlossen hat, verheiraten wollen, so wie das schon mit ihrer Schwester geschehen war. Filiz war ein Cousin zugedacht, den die Eltern für sie ausgesucht hatten. Die Familie wollte es so. Die Familie, das waren viele, der Bruder, die Verwandten, und was die Familie für gut befindet, dem widersetzt man sich nicht. Weil das dem Ansehen der Familie bei anderen schadet.

Aber Filiz wollte ihren Cousin nicht heiraten. Deshalb lief sie von zu Hause weg und versteckte sich bei einer Freundin. In ihrer Not suchte sie Hilfe beim Sozialbürgerhaus. Das konnte sie an die neue "Imma Fachstelle Zwangsheirat" vermitteln, die gerade erst im März ihre Arbeit aufgenommen hat und nun auch offiziell ihre Einweihung gefeiert hat.

Die bayernweit erste auf Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre spezialisierte Fachstelle hat in den ersten fünf Wochen bereits sieben Mädchen und junge Frauen beraten und ihnen aus Krisensituationen geholfen. Bislang waren es etwa 100 Betroffene pro Jahr, die sich bei verschiedenen Einrichtungen in München gemeldet haben. "Die Dunkelziffer dürfte hoch sein", sagt Imma-Fachleiterin Sabine Wieninger, zumal bisher Anfragen von Betroffenen kaum eigens erfasst wurden.

Zunehmend sind auch die Schulsozialarbeiterinnen mit dem Problem konfrontiert. "Kurz vor den Sommerferien wird das oft ein Thema", sagt die Sozialpädagogin Maryam Giyahchi, eine von drei Mitarbeiterinnen, die sich die zwei Stellen bei der Fachstelle der Initiative für Münchner Mädchen (Imma) teilen. "Da haben Mädchen dann oft Angst, mit den Eltern ins Heimatland zu fahren, weil sie ahnen, was sie erwartet."

Sich der Zwangsheirat zu versagen, ist selbst für volljährige Frauen kein einfacher Schritt. "Der Druck der Familie ist groß. Sie empfindet es wie eine Blamage, wenn die Tochter abhaut", sagt Maryam Giyahchi. In der jeweiligen "Community" spricht sich das schnell rum und gilt als Versagen der jeweiligen Familie, die das wiederum mit Scham erfüllt.

Maryam Giyahchi kann die Situation gut nachvollziehen, weil sie Einblick in andere Kulturkreise hat: Ihre Eltern kommen aus dem Iran. Während hierzulande die Individualität und die Selbstverwirklichung zu den höchsten Gütern zählt, kommt der Familie im arabischen Kulturkreis der größte Wert zu, hinter dem Einzelinteressen zurückstehen müssen. "Man verlässt erst dann die eigene Familie, wenn man eine neue Familie gründet." Zusätzlich stünden die Eltern oft auch unter dem Erwartungsdruck der in der früheren Heimat verbliebenen Familie.

Auch Männer unter den Opfern

Betroffen seien zumeist Frauen, aber auch Männer "aus patriarchal geprägten Familienstrukturen, vor allem, wenn auf die Wahrung der Familienehre besonderer Wert gelegt wird", erklärt Sabine Wieninger. Die neue Fachstelle kümmert sich mit männlichen Honorarkräften deshalb auch um junge Männer, die gegen ihren Willen heiraten müssen oder das auch schon vollzogen haben. Männern falle es schwer, sich einzugestehen, dass sie Opfer sind: "Das passt nicht ins Männlichkeitsbild."

Auch Fachkräfte anderer sozialer Einrichtungen oder von Schulen und Behörden können sich an die Fachstelle wenden, wenn sie mit dem Problem konfrontiert sind. Zwangsheirat sei keine Frage einer speziellen Religion oder Nationalität, sondern komme in vielen Kulturen vor, betont Imma. Ein in den Augen der Eltern zu freizügiger Lebensstil bedroht die Familienehre. Arrangierte Ehen seien auch in der deutschen Kultur bis ins frühe 20. Jahrhundert üblich gewesen, etwa auf dem Land oder in Adelshäusern. Und Maryam Giyahchi betont: "Der Islam sagt nicht, die Frau muss zwangsverheiratet werden."

Einer bundesweiten Studie zufolge sind 95 Prozent der Betroffenen Mädchen und junge Frauen. Fast die Hälfte hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Etwa 40 Prozent sind zwischen 18 und 21 Jahre alt, 30 Prozent jünger als 17 Jahre. Weit mehr als die Hälfte hat familiäre Gewalt erlebt. 27 Prozent der Betroffenen wurden mit Waffen oder Mord bedroht.

Mit Beratung allein ist es angesichts der Gefährdung meist nicht getan. Die Frauen brauchen eine sichere Unterkunft. Wenn die Bedrohung durch die eigene Familie massiv ist, organisiert die Fachstelle auch die Unterbringung in einer anderen Stadt. Doch auch schon der "moralische Druck" zurückzukehren ist für die jungen Frauen schwer auszuhalten: "Die Eltern ziehen dabei alle Register", sagt Sabine Wieninger. "Sie reden auf ihre Tochter ein und sagen, wir wollen dein Bestes, wir lieben dich doch. Und die jüngeren Geschwister vermissen dich so sehr."

Hinzu kommt, dass auch der Kontakt zur jeweiligen Community dann meist abreißt. Vielen junge, gerade erwachsenen Frauen, die oft sehr kontrolliert aufgewachsen sind, haben aber auch noch keine eigene Lebensperspektive entwickelt. Ihnen mangelt es an Selbständigkeit und Fähigkeiten, alleine zu leben. "Sie brauchen Schutz und Betreuung", doch gerade junge Erwachsene in geeigneten Einrichtungen unterzubringen sei schwierig. Viele Jugendämter verweisen dann auf Frauenhäuser, "doch die sind nicht auf junge Erwachsene ausgelegt", erklärt Sabine Wieninger. Aber geeignete Angebote gibt es viel zu wenig. Maryam Giyahchi betont: "Sein altes Leben komplett aufzugeben und total neu anzufangen, ist eine große Herausforderung."

Jasmin, 19, ist jetzt erst mal in einem Frauenhaus. Ihre Eltern kamen vor ihrer Geburt aus Togo nach Deutschland. Ihr kleiner Bruder genoss schon immer mehr Freiheiten als sie, deren Erziehung von Gewalt geprägt war. Als die Mutter herausfand, dass Jasmin einen Freund hat, spitzte sich die Situation zu: Um die Beziehung zu unterbinden, musste Jasmin ihre Freizeit zu Hause verbringen. Sie war fast ständig unter Aufsicht, der Vater holte sie von ihrem Ausbildungsbetrieb ab. Als ihr schließlich die Eltern eröffneten, dass sie einen 15 Jahre älteren Mann aus Togo heiraten soll, vertraute sich Jasmin der Schulsozialarbeiterin in ihrer Berufsschule an.

Die schaltete die Fachstelle ein, die noch am gleichen Tag einen Termin mit Jasmin vereinbarte und ihr einen Platz im Frauenhaus vermittelte. "Krisenintervention" nennt Maryam Giyahchi diesen Teil ihrer Aufgabe. Und sie hofft, dass daneben genügend Zeit bleibt für Präventionsarbeit und Aufklärung - damit keine Frau, kein Mann gegen den eigenen Willen verheiratet wird.

Die Fachstelle Zwangsheirat ist unter Telefon 089/4521635-0 Montag von 14 bis 16 Uhr, Dienstag von 10 bis 12 Uhr und Donnerstag von 13 bis 15 Uhr oder unter fachstelle-zwangsheirat@imma.de zu erreichen.

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