Zum Tod Helmut Newtons:Die Heilige Maria auf der Harley

Einmal mit Helmut Newton arbeiten dürfen - es wäre für viele Fotografen ein Traum gewesen. 1990 bekam der junge Münchner Fotograf Florian Wagner unverhofft seine Chance.

Interview: Karl Forster

Helmut Newton suchte für eine Fotosession über die Hauptdarsteller der Oberammergauer Passionsspiele einen Location Scout. Vier Tage lang dirigierte Wagner, 37, den großen Meister durchs Ammertal und lernte immerhin so viel, dass er heute Geo, Stern, Playboy und die SZ zu seinen Auftraggebern zählen kann. Eine Erinnerung an den verstorbenen Künstler.

SZ: Wie kam es zu dem Kontakt mit Helmut Newton? Wagner: Newton sollte die Hauptdarsteller der Passion, darunter auch die "Maria" Uschi Burkhart, für Traveller von Condé Nast, ein amerikanisches Reisemagazin, fotografieren. Er suchte dazu ungewöhnliche Orte für die richtige Ästhetik. Doch Newton hatte Probleme: Er bekam keine Genehmigung vom Spielleiter Christian Stückl, weil der den Namen nicht kannte. Newton hat dann immer wieder betont: "Ich bin très seriös, ich möchte auch nicht nackt fotografieren." Dann kam das Okay.

SZ: Wie kam es dann zum Auftrag? Wagner: Die Uschi kam zu mir und sagte: Stell dir vor, der Newton will mich fotografieren, ich geh' jetzt mit ihm essen. Ich wollte ihn unbedingt sehen und hab' mich im "La Montanara" an den Nebentisch gesetzt. Uschi hat ihm erzählt, ich sei Fotograf und kenne mich hier gut aus. Da rief er mich rüber. Und dann bin ich vier Tage lang mit ihm durchs Ammertal gedüst. Ich mit der 600 XR voraus, er mit dem 7er BMW hinterher.

SZ: Wie war der erste Eindruck? Wagner: Er war durch und durch Gentleman. Höflich, freundlich, viel Humor. Er hatte gerade einen Herzinfarkt hinter sich und war sehr auf seine Gesundheit bedacht. Aber er hat jeden Tag zwei, drei Einstellungen durchgezogen.

SZ: Wie ist das, wenn man plötzlich mit einem Weltstar arbeitet? Wagner: Ich war am Anfang nur nervös. Aber es war spannend. Er hatte einerseits genaue Vorstellungen von dem, was er will, und war doch offen für neue Eindrücke. Und ich habe gesehen, dass er auch nur Fotos macht - mit relativ einfachen technischen Mitteln. Alles, was er brauchte, war sein Koffer mit den Hasselblads.

SZ: Wie ging Helmut Newton mit seinen Models um? Wagner: Sehr bestimmt, sehr höflich, sehr klar. Er hat ihnen deutlich gemacht, was er will, und er hat genau diese Vorstellung mit ihnen inszeniert.

SZ: Wie schaffte Newton diese für ihn typische Ästhetik? Wagner: Er hat relativ stark mit Klischees gearbeitet. Sein Plan war ja, die Hauptdarsteller in ihren Kostümen in der Natur zu fotografieren, zum Beispiel im Klettergarten am Frauenwasserl. Das hatte Spielleiter Stückl leider verboten. Doch Newton ist trotzdem, wie immer, ins Extrem gegangen. So hat er die Uschi, die "Jungfrau Maria", in Lederklamotten auf der Harley fotografiert. Und natürlich ist er auch in seine Rolle als Helmut Newton, Frauenfotograf, geschlüpft. Einmal beim Mittagessen musste ich wieder aufstehen, weil er sagte, er wolle diese schöne Frau neben sich sitzen haben.

SZ: Wie brachte er die Frauen dazu, zu tun, was er will? Wagner: Ich glaube, wenn die Frauen diesen Namen hörten, musste er nicht mehr viel tun. Für viele war es Ehre genug, seine Kriterien, die ja sehr streng waren, erfüllt zu haben. Die Uschi hat dann auch gesagt: Wenn er will, ziehe ich mich aus. Das wollte er aber nicht.

SZ: Er galt ja als sarkastisch und zynisch. Manche sagen, er sei frauenfeindlich, zumindest in seinen Bildern. Wagner: Er hatte eine sehr genaue Vorstellung von Ästhetik, und dazu gehörten langbeinige, schlanke Frauen. Die stellte er in sein Newton-typisches hartes Licht. Und er hat natürlich provoziert. In einem Buch benutzte er einmal das Wort "Nordfleisch". Das gab dann wieder heftig Ärger.

SZ: Arbeitete er auch spontan? Wagner: Er hatte sehr genaue Vorstellungen. Er wusste beispielsweise eine Einstellung ganz genau: ein Feldkreuz und dahinter ein enges Tal. Wir sind dann aber an einem Feldkreuz in einem weiten Tal vorbeigekommen. Da hat er stoppen lassen und gesagt: Machen wir's hier, das ist gut. Ein andermal wollte er nur einen Bahnhof fotografieren. Da kam ein Mann mit einem Leiterwagerl vorbei. Und Newton sagte: Halt, stopp, den will ich haben. Er machte seinen Schuss, gab dem Mann 50 Mark, und die Sache war erledigt. Also: Die Vorstellung war sehr exakt, doch die Offenheit war gleichberechtigt.

SZ: Was konnten Sie von ihm lernen? Wagner: Die Ruhe und die Sicherheit, mit der er diese Vorstellung verfolgte.

SZ: Was war er für ein Mensch jenseits der Fotografie? Wagner: Sehr charmant. Ich zeigte ihm am Schluss ein paar Akte. Da sagte er: Lieber Florian, ich habe zu viel davon gesehen. Das war eine freundliche Umschreibung für den Satz: Die sind furchtbar. Und dann schrieb er mir eine Widmung: dem jungen Pornografen gut Licht!

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