Zum Attentat vom 20. Juli 1944:"Im Geiste bleibe ich bei Euch"

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Am 20. Oktober 1944, drei Monate nach dem gescheiterten Hitler-Attentat, wurde Hermann Maaß hingerichtet. Seine Tochter lebt heute in Schwabing.

Christian Deussing

Die Vollstreckung wurde der Familie lapidar in einem kurzen Schreiben mitgeteilt. Es war der 23. Oktober 1944, an dem Hermann Maaß 47 Jahre alt geworden wäre. Die Gnadengesuche, die Ehefrau Eva und ihre älteste Tochter Uta im Namen aller Geschwister noch drei Tage zuvor im Berliner Reichsjustizministerium persönlich eingereicht hatten, waren gleichgültig zur Kenntnis genommen worden.

Denn zu diesem Zeitpunkt hatte der NS-Richter Roland Freisler den Potsdamer Sozialdemokraten vor dem Volksgerichtshof wegen "Hoch- und Landesverrats und Beteiligung an der Verschwörung des 20. Juli" bereits abgeurteilt. Maaß war zwei Stunden später in Berlin-Plötzensee gehenkt worden.

Seine 43-jährige Frau, eine gebürtige Münchnerin, starb nur fünf Wochen später an einer Rippenfell- und Lungenentzündung. Zurück blieben sechs unmündige Kinder.

Uta Maaß, die mit ihrer Familie in Schwabing lebt, war damals 16 Jahre alt. "Unsere Mutter erstarrte, weinte nicht und verlosch", erzählt die heute 75-Jährige. Auch an den 20. Juli kann sie sich genau erinnern. Mit einer Freundin wollte sie ins Theater gehen, bekam aber keine Karte mehr.

Auf dem Heimweg in der S-Bahn nach Babelsberg traf sie zufällig ihren Vater. Nichts war ihr an ihm aufgefallen, keine Anspannung oder Erregtheit. Er ließ sich selbst nichts anmerken, als eine Nachbarin aus ihrem Haus stürzte und aufgeregt rief: "Wissen Sie schon, auf Hitler ist ein Attentat verübt worden!"

Noch am selben Abend weihte Hermann Maaß seine ältesten Kinder darüber ein, wer im Spätherbst 1943 im Hause Gast gewesen war und einen großen Eindruck hinterlassen hatte: Generalstabsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Hitler am 20. Juli mit einer Bombe töten sollte und noch am selbigen Tag als "Verschwörer" hingerichtet wurde.

"Ich wusste, dass unser Vater durch diesen und weitere Kontakte äußerst gefährdet war", sagt Uta Maaß. Gestapo-Beamte erschienen gut zwei Wochen später, am 8. August 1944, um das Arbeitszimmer der Eheleute Maaß zu durchsuchen.

Die Geheimpolizisten indes blieben "höflich". Am Morgen des selben Tages hatte sich der Vater, der zur Tarnung inzwischen in einem "kriegswichtigen" Aluminiumbetrieb in Berlin arbeitete, wie stets mit einem "Auf Wiedersehen" verabschiedet. Uta sah in niemals wieder. "Es hat mich lange Zeit sehr belastet, ihn an dem Morgen nicht wie üblich verabschiedet zu haben, nur weil ich im Bett bleiben wollte", sagt sie.

Es war der Tag seiner Verhaftung. Maaß wurde im Verhör vermutlich gefoltert und anschließend ins KZ-Ravensbrück verschleppt. Seine Ehefrau durfte ihn an dem abgelegenen Ort mehrmals besuchen. Später wurde der Widerständler und bis 1933 ehemalige Geschäftsführer der deutschen Jugendverbände, der enge Kontakte zum Kreisauer Kreis pflegte und nach dem geplanten Umsturz ein hohes Staatsamt bekleiden sollte, nach Berlin zurückgebracht. Am Tag des Todesurteils schrieb er im Abschiedsbrief: "Ich werde sterben... im Geiste bleibe ich bei Euch."

Trotz seiner Hinrichtung blieben Uta und ihre Schwester Nele Vertrauensschüler. Der regimetreue Direktor hegte keine Einwände. Als grotesk erschien es Uta, noch im Bund Deutscher Mädel befördert worden zu sein. Zudem wurde sofort die Rente an die Witwe und ihre Kinder ausgezahlt.

Utas Bruder Michael blieb sogar Offiziersanwärter im Krieg. Das Wort "Widerstand" war in der diskussionsfreudigen Familie nie gefallen. Auch Namen bestimmter Personen wurden nicht genannt. Dass aber ihre Eltern aus humanistischer Überzeugung gegen das NS-Regime eingestellt waren, ist Uta Maaß unter anderem selbstverständlich geworden, als sie die beiden überraschend im Wohnzimmer beim Abhören des so genannten Feindsenders BBC antraf. "Ich wusste sofort, was los ist."

Die Rentnerin wirkt gefasst, formuliert in klaren Worten, wenn sie über die damaligen Geschehnisse berichtet, die das behütete und glückliche Familienleben so brutal zerstörten. Sie erzählt, wie ihr Vater einen Ruf an die Harvard-Universität abgelehnt hat, um "von innen" den Kampf gegen die Gewaltherrschaft mit zu organisieren. Sie erzählt, wie sich unmittelbar vor Kriegsende die Geschwister in drei Besatzungszonen verloren hatten.

Erst 1957 trafen sich fünf von ihnen wieder. Mehr als annähernd zwei Jahrzehnte nach dem Krieg hätten die meisten Menschen nichts vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus wissen oder zumindest nicht nachfragen wollen.

"Was uns widerfahren ist 1944, hat unser aller Lebensweg entscheidend geprägt und begleitet uns Geschwister lebenslang", sagt Uta Maaß, die seit Jahren krebskranke Kinder am Schwabinger Krankenhaus betreut. Ein Bild von ihrem Vater steht auf der Kommode. Unscheinbar, und doch ein Mahnmal.

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