Zukunftsforschung:Wie sich Arbeit in München verändern wird

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  • Noch mehr Leute mit einfacheren Jobs, die jetzt schon am Stadtrand wohnen, werden in Zukunft nach draußen und nicht mehr nach drinnen pendeln müssen.
  • Während die Nachfrage nach Facharbeitern, nach Akademikern steigen wird, werden die ohne Ausbildung es schwerer haben.
  • Momentan haben etwa 15 Prozent aller Arbeitenden in München keinen Abschluss, der Anteil wird in den kommenden Jahren den Prognosen der Stadt zufolge ungefähr gleich bleiben.

Von Pia Ratzesberger

Pacman frisst sich gerade durch das Labyrinth, der junge Typ im Pullover zockt sich zum nächsten Level und Norbert Huchler ist skeptisch. Er steht am Fenster in der Erika-Mann-Straße, alles genauso, wie man sich das vorgestellt hat, als folgten Techfirmen wie Google einer immer gleichen Anleitung: Fahrräder im Foyer, Paletten an der Wand und dann auch noch der Mitarbeiter, der morgens um halb zehn Pacman spielen darf. Doch sieht man genauer hin, und Norbert Huchler sieht genauer hin, fällt einem auf, dass der junge Typ kein Mitarbeiter ist: der Besucherpass.

In solchen Häusern sei vieles inszeniert, sagt Huchler, blickt durch die Fensterscheibe auf die zwei Fahrräder am Empfang, die sollen Dynamik symbolisieren, fahren aber wohl nicht oft - warum sonst nur zwei? Dass Huchler hier draußen steht, passt irgendwie gut, denn es ist sein Beruf, die Welt von außen zu betrachten, Huchler, 42 Jahre alt, ist Soziologe am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V.

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Mit ihm geht es bei einem Spaziergang zwischen Donnersbergerbrücke und Hauptbahnhof um die Frage, wie die Münchner in Zukunft arbeiten werden, wie sich die Stadt verändern wird. Denn immer ist von Firmen wie Google die Rede, von Rutschen im Büro, von der Politik des leeren Schreibtisches, dabei betrifft das nur ziemlich wenig Leute. Dabei geht die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten, doch alle an. Und fragt man Huchler, kursieren zu einfache Vorstellungen von dem, was kommen wird.

Ein Bauarbeiter stapft vorbei, auf der rechten Schulter trägt er einen Sack Fugenfüller, als wäre der ein Blatt Papier, die Kaugummiblase schnalzt. Roboter werden Jobs wie diesen irgendwann übernehmen, heißt es immer wieder, schwere, anstrengende Arbeit. Doch Huchler sagt, man werde den Mann im Overall weiterhin brauchen, nur ein paar Meter weiter dröhnt die Baustelle. Lastwagen liefern neue Paneele für eine Hausfassade, ein Aufzug zieht die Arbeiter nach oben. In den nächsten 14 Jahren werden in München voraussichtlich 3455 Leute mehr im Baugewerbe arbeiten als heute.

Immobilien sind mit das Wertvollste, was man in dieser Stadt besitzen kann, die Branche gewinnt. Beim Rest des produzierenden Gewerbes verläuft die Kurve flacher (plus 1610 Leute), die Industrie und ihre letzten Fabriken ziehen raus aus dem zugebauten Zentrum, das ihnen hohe Preise und keinen Platz bietet; auch Paulaner zum Beispiel braut nicht mehr am Nockherberg, sondern im Westen, in Langwied.

Nach draußen pendeln statt in die City

Noch mehr Leute mit einfacheren Jobs, die jetzt schon am Stadtrand wohnen, werden in Zukunft nach draußen und nicht mehr nach drinnen pendeln müssen, sagt Huchler, biegt ab in die Arnulfstraße, der Regen perlt an seinen Brillengläsern. Herren in Anzügen laufen einem entgegen, mit Laptoptasche, junge Typen mit Rucksack. Die Wissensarbeiter sammeln sich in der Stadt, was man auch an den Klingelschildern hier im Arnulfpark ablesen kann: lauter Internetfirmen. Was aber trotzdem nicht heißen soll, dass allein sie die Zukunft entscheiden.

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Ein Bild zum Beispiel sei viel zu einfach, sagt Huchler, auf dem Weg zum Bahnhof, vorbei an Paketshops und Sandwichläden: das Bild, in dem die Akademiker sich um das System kümmern, die Roboter die Arbeit im Paketshop und im Sandwichladen übernehmen, die Ungelernten außen vorbleiben. Er wolle sehen, welcher Roboter zum Beispiel die dutzenden abgestellten Fahrräder hier auf der Straße sortieren könnte, sagt Huchler, den wirren Haufen, keine Chance.

Ja, der Fortschritt der Technik wandele alle Berufe, nicht nur drüben im Arnulfpark, sondern zum Beispiel auch im Handwerk. Den Job des Bodenverlegers etwa, wenn der seine Räume mit dem Laser ausmesse, auch den Job des polnischen Wanderarbeiters, wenn ihm GPS-Daten zeigten, an welcher Stelle in der Mauer Platz für eine Tür bleiben müsse. Doch oft ergänzt das und ersetzt nicht, auch in 30 Jahren werde es noch einen Straßenkehrer geben, sagt Huchler, einen Krankenpfleger, einen Berater, ihre Arbeit wird sich zwar verändern. Aber man könne eben nicht alles technisieren.

Wissenschaftler argumentieren immer wieder, dass Roboter erst einmal simple Tätigkeiten übernehmen, Arbeit am Fließband, monotone Abläufe. Alles aber, was mit Menschen zu tun hat, mit Dienstleistungen, sei schwerer an einen Algorithmus abzutreten - und in München sind die Dienstleistungen ziemlich wichtig für die Wirtschaft, werden in Zukunft sogar noch wichtiger werden.

In seiner eigenen Arbeit beschäftigt sich Norbert Huchler, Soziologe am ISF München e.V., vor allem mit der Industrie 4.0 und dem Verhältnis von Mensch und Technik. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Die vielen Warnungen vor der Zukunft nerven Huchler manchmal, München bleibe hinter dem Silicon Valley zurück, der Mittelstand verschlafe die Digitalisierung. Dabei sei doch viel wichtiger, dass man sich frage: Was ist Arbeit wert? Und welche Arbeit wollen wir in unserer Stadtgesellschaft? Tagelöhner zum Beispiel, sagt Huchler, während er sich in der Bahnhofshalle durch die Masse der Reisenden pflügt, wolle er nicht.

Vorne an der Landwehrstraße warten sie auf ihren nächsten Auftrag, eng beisammen, die Kapuzen schützen vor Blicken. Momentan haben etwa 15 Prozent aller Arbeitenden in München keinen Abschluss, der Anteil wird in den kommenden Jahren den Prognosen der Stadt zufolge ungefähr gleich bleiben. Während die Nachfrage nach Facharbeitern, nach Akademikern steigen wird, werden die ohne Ausbildung es schwerer haben.

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Ein paar Männer verlassen den Bordstein, ziehen los, für einen Tag. Sie werden schon irgendeinen Job finden, sagt Huchler, auch weiterhin, die Frage sei eben nur unter welchen Bedingungen. Eine Frau hat sich auf den Boden gelegt, das Gesicht an den nassen Asphalt gedrückt. Stumm bittet sie um Münzen.

Auch zurück auf der anderen Seite, am Nordausgang des Bahnhofs wartet man auf den nächsten Auftrag, wenn auch im Warmen, ein Taxi reiht sich hier an das andere, Sitz mit Fell, Heizung auf vier. Sie erzählen hier von ihrer Rente, zu niedrig für zwei, von ihrem Job im Supermarkt, zu wenig für eine Familie, also Warten. Norbert Huchler steht an der Treppe, die Leute verstünden einfach nicht, dass sie bereit sein müssen, Arbeit wertzuschätzen, wenn andere davon leben sollen, und er sieht nicht, dass sich das ändert. "Wenn Sie heute hier am Platz einen Hühnchenstand aufstellen und ein halbes Huhn für einen Euro verkaufen, fragt Sie keiner, wie das geht."

Man braucht alle Menschen in der Gesellschaft der Zukunft

Ginge es nach ihm, müsste man einfach viel mehr ausprobieren, eine 30-Stunden-Woche zum Beispiel wie in Skandinavien. Es sei ja auch kein Zufall, dass gerade die amerikanischen Softwareunternehmen ein bedingungsloses Grundeinkommen forderten, ihr Geschäftsmodell nehme weite Teile der Gesellschaft eben nicht mit. Man werde aber alle brauchen, auch in Zukunft. Auch in München.

Das Problem, sagt der Soziologe am Ende noch, den Regenschirm zusammengefaltet, auf dem Weg zur Bahn, sei nämlich nicht nur das zu einfache Bild von der Zukunft. Das mit den Akademikern und den Robotern. Sondern auch das zu einfache Bild von München, als einem Ort der Schickeria, als ein Isar Valley voll von Programmierern und Managern. Mit diesem Bild nämlich vergesse man die Mehrheit der Münchner. An ihm vorbei hasten Menschen zur nächsten Bahn, zum nächsten Termin, zur nächsten Schicht. Mehr als Isar Valley.

© SZ vom 18.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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