Fußgängerzone in München:Geld verdirbt den Charakter

Fußgängerzone in München: München ist in Deutschland die führende Einzelhandelsstadt, doch der Verdrängungswettbewerb unter den Händlern ist hart.

München ist in Deutschland die führende Einzelhandelsstadt, doch der Verdrängungswettbewerb unter den Händlern ist hart.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nach dem Aus für Hugendubel fragen sich Geschäftsleute und Politiker, wie es mit der Fußgängerzone weitergehen soll. Viele Traditionsläden mussten aufgeben, weil die Mieten steigen. Gewinner sind große Filialketten.

Von Anne Goebel und Alfred Dürr

Dass hier vieles nicht ganz echt ist, sieht man schon an den Erdbeeren. "Madre natura" steht auf den italienischen Obstkörbchen an dem Stand in der Neuhauser Straße. Es ist Anfang April, allerhöchste Zeit für ein Obst, das in längst versunkenen Zeiten mal eine Sommersorte war - aber Madre natura, Mutter Natur, das ist schon gewagt für die knallroten Megafrüchte mit lackartigem Glanz. Zur Fußgängerzone passen sie vielleicht ganz gut, hier geht es um effektvolle Verpackung, den flüchtigen Reiz, schnelle Einkäufe.

Solche Bedürfnisse hat auch Hugendubel bedient, das Bücherkaufhaus am Marienplatz, und dennoch bringt sein angekündigtes Verschwinden wieder einmal die Balance in der Innenstadt durcheinander. Noch ein Münchner Traditionsunternehmen weniger in der Innenstadt, eine Marke, die versinkt unter der Woge der Labels, wobei es noch die erstaunlichste Nachricht war, dass sich keine Bekleidungskette im Bücherhaus einnisten wird, sondern die Telekom.

Am Ende ging es, wieder einmal, um die höhere Miete. "Der Kapitalismus siegt", titelte die AZ, aber bei einer Konsummeile ist eigentlich nichts anderes zu erwarten. Ein unverwechselbares Gesicht ist schwer zu bewahren, wenn 13 000 Passanten pro Stunde in der Kaufinger- und Neuhauser Straße nur eines wollen: shoppen.

Den Geschäftsleuten gefällt die enorme Kauflust. München ist in Deutschland die führende Einzelhandelsstadt. Was die Nachfrage nach Läden und das Mietniveau betrifft, könne es die bayerische Landeshauptstadt klar mit internationalen Shoppingmetropolen wie London oder Paris aufnehmen, sagt der Einzelhandelsexperte Sören Hoffmann vom Immobilien-Dienstleister CBRE.

Nicht unbedingt auf Niveau, beklagen Kritiker

Der Verdrängungswettbewerb ist hart. Besonders in der Sendlinger Straße, in der Residenzstraße und in der Brienner Straße zeigt sich der Wandel deutlich. Es ist noch gar nicht so lange her, da galten diese Gebiete geschäftsmäßig als ein bisschen verschlafen. Der neue Büro- und Ladenkomplex Hofstatt und die teilweise Umgestaltung zu einer Fußgängerzone hat der Sendlinger Straße einen Schub gegeben und sie zu einem Schwerpunkt für Neuvermietungen gemacht.

Man mag zwar bedauern, dass in der Residenzstraße die alteingesessene Confiserie Rottenhöfer verschwunden ist, sagt Sören Hoffmann. Dafür sei ein für die Altstadt innovativer Männerbekleidungs-Store gekommen, der nicht die gängigen Labels anbiete. Von eleganter Behäbigkeit hätten auch die Geschäfte in der Brienner Straße längst Abstand genommen - nun sei dort ein deutlich jüngeres Publikum zu finden.

Wer von einer der Nebenstraßen in die Fußgängerzone einbiegt, spürt die Hatz, als seien alle auf der Jagd. Der Schritt wird schnell, der Blick konzentriert und auf das Parterre fixiert, wo die Trophäen ausliegen. Man gerät in den anonymen Strom einer Scheinwelt aus Waren und Versprechen, die sich nicht einmal besonders Mühe gibt, ungewöhnlich, gar elegant zu wirken. Die Massenprodukte internationaler Modekonzerne dominieren, dazwischen Ramschlädchen mit bizarren Namen wie "%-Outlet Schuldenberg" - dass man in der Fußgängerzone immer weniger auf Eigenart setzt und auch nicht unbedingt auf Niveau, beklagen Kritiker seit Langem.

Reine Schaufensterzeile?

Dabei hat die Trasse zwischen Marienplatz und Stachus viel zu bieten. Der Zierrat am historischen Geschäftsgebäude Zum Schönen Turm, in dem Hirmer seinen Sitz hat, die Jugendstilornamente am ehemaligen Spielwarenhaus Schmidt oder der flügelschwingende Erzengel neben der Pforte zur Michaelskirche: Ein Gespür für die Besonderheiten und Details stellt sich am ehesten bei einem Spaziergang am Morgen ein, vor Geschäftsbeginn, wenn die Betriebsamkeit so langsam anläuft und das milde Licht sogar den Kaufhof ganz erträglich aussehen lässt.

Michael Grein gehört zu denjenigen, die gern genau hinschauen. Der gebürtige Würzburger ist für ein paar Tage zu Besuch, er hat einige Jahre in München gelebt und muss in puncto Innenstadt protestieren. Reine Schaufensterzeile? "Das wird doch immer wieder aufgerissen durch wunderbare Gebäude, eine Kirche, ein Kloster", findet er und deutet auf die reich geschmückte Fassade des Augustiner. Für den jungen Familienvater steht fest: "Irgendwann will ich zurück nach München" - und das neue Pschorr-Haus mit der verspiegelten Front gefällt ihm ebenfalls. "Es war sicher nicht einfach, an dieser Stelle so einen Klotz hinzusetzen", sagt Grein und nickt anerkennend.

Raum ist hier allerdings nur für finanzkräftigen Handelsketten, die die Mietkosten aufbringen können. Und wo sollen kleinere Anbieter einen Laden finden, die sich Rekordpreise nicht leisten können? "Es gibt Ausweichbewegungen", registriert Hoffmann. Zum Beispiel habe sich der Bereich Am Kosttor zwischen dem Hofbräuhaus, den Kammerspielen und der Maximilianstraße zu einer angesagten Lage entwickelt. Aber auch Schwabing stehe eine kleine Einkaufs-Renaissance bevor. In der Leopoldstraße werden bald Geschäftshäuser fertig, die zusätzliche Flächen anbieten.

Als vor einem Jahr die Hofstatt offiziell eröffnet wurde, hatte der jetzt scheidende Oberbürgermeister Christian Ude auch mahnende Worte gefunden. Der rasante Strukturwandel in der Innenstadt mit neuen glänzenden Bauten, Luxusgeschäften und teuren Wohnungen werde von den Bürgern zunehmend kritisch gesehen: "Wir müssen aufpassen, dass die Innenstadt nicht immer mehr zum Juwel wird, das sich nur noch wenige leisten können." Ein Ende der Mietpreis-Explosion ist nicht abzusehen. Politik und Verwaltung wollen reagieren. "Die Innenstadt als zentraler Identifikationsort wird noch stärker verteidigt", verspricht Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Entsprechende Konzepte müssten erarbeitet werden. Konkrete Ideen nennt sie aber nicht. Der neu gewählte Stadtrat hat hier ein großes Aufgabenfeld.

"Wer wohl der nächste ist"

Unter den verbliebenen Traditionsfirmen in der City wird derweil genau registriert, wenn wieder einer aus ihren Reihen verschwindet. "Manchmal fragt man sich, wer wohl der nächste ist", sagt Gerhard Müller-Rischart. Der Bäckerei- und Konditorbetrieb Rischart ist seit 82 Jahren mit dem Hauptgeschäft am Marienplatz ansässig, und den Seniorchef erfüllt das Aus für einen Platzhirschen wie Hugendubel mit Sorge. Die "Phantasiemieten" schadeten Münchens Individualität, "die Innenstadt gleicht sich dem Einheitsbrei an, den es überall gibt", sagt er. Sein Sohn Magnus flüchtet sich in Sarkasmus. "Eigentlich müsste die Stadt doch den Viktualienmarkt abreißen und ein Riesenkaufhaus hinbauen."

Auch Peter Eberle, Geschäftsführer der Bekleidungsfirma Konen, ist die Unverwechselbarkeit Münchens wichtig. "Sie hat abgenommen, ganz klar", sagt er - und doch sei die Situation besser als in anderen Großstädten. "Manche Veränderung hat die Attraktivität der Innenstadt auch gesteigert", sagt Eberle, und es gebe immer noch inhabergeführte Geschäfte in der City. Hirmer, Loden-Frey oder Kaut-Bullinger zum Beispiel. Oder die Drogerie Wittelsbach an der Dienerstraße, wo Bernd Stadler seit 48 Jahren über sein Sortiment aus Naturhaarbürsten, Seifen und ehrwürdigen Rasierwassermarken herrscht. Sein Vermieter ist die Stadt, und anders, sagt der Herr im weißen Kittel mit bekümmerter Miene, "könnte ich hier nicht überleben".

Gerhard Freitag leitet den Tabakwarenladen Veicht, einen von seinem Großvater gegründeten Familienbetrieb in der Neuhauser Straße. Anwälte der umliegenden Kanzleien holen sich hier die Cigarillos der Hausmarke oder ein paar gute Zigarren, und gerade hat Freitag einem Polizisten zwei Dosen von dessen Lieblingsschnupftabak verkauft. Ein paar Scherze gab es auch dazu. "Wir sind Einzelhändler", sagt Freitag, "im Wortsinn. Es geht um jeden einzelnen Kunden."

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