Zollfahndungsamt:Der Mann mit den Colts

Zollfahndungsamt: Norbert Schindler überprüft in seinem Büro einen sichergestellten Revolver.

Norbert Schindler überprüft in seinem Büro einen sichergestellten Revolver.

(Foto: Stephan Rumpf)

Norbert Schindler sammelt im Keller des Zollfahndungsamts alles - vom M-16-Sturmgewehr bis zum selbstgebastelten Schießeisen. Viele Exemplare kommen wieder in den Verkauf.

Von Thomas Schmidt

Sieben Sturmgewehre, versteckt in einem unscheinbaren VW Golf, dazu zwei halbautomatische Pistolen, ein Magnum-Revolver, 237 Schuss Munition, zwei Handgranaten und 200 Gramm TNT, bestückt mit Sprengzündern: Man hätte ein Massaker anrichten können mit dem furchterregenden Arsenal, das bayerische Polizisten im November 2015 auf einem Autobahnparkplatz in der Nähe von Rosenheim sicherstellten, eine Woche vor den Terroranschlägen in Paris. Die Ermittler fürchteten damals, der 51-jährige Waffenschmuggler habe seine Fracht den Attentätern vom "Islamischen Staat" liefern wollen, doch ein Zusammenhang konnte nie bewiesen werden.

Derart spektakuläre Fälle sind bei Waffenfunden die Ausnahme, weiß Norbert Schindler. Der erfahrene Waffenexperte des Zollfahndungsamts München hat tagtäglich mit beschlagnahmten Schusswaffen zu tun, mit Pistolen und Revolvern, mit Pump-Guns und Flinten, manchmal auch mit skurrilen Baller-Basteleien. In seinem unterirdischen Lager, versperrt durch eine massive Stahltür, harren sogar ein paar Panzerfäuste ihrer Vernichtung.

Schindler tippt einen Code in das Kästchen neben der roten Tür, wuchtet sie auf und erklärt: "Den klassischen Waffenschmuggler, der seine Ware im Auto oder im Zug transportiert, den gibt es fast nicht mehr." Was in dem Keller unter dem Zollfahndungsamt an der Landsberger Straße schlummert, stammt mehr und mehr aus dem Darknet, jenem anonymen Bereich des Internets, in dem man von Drogen über Kinderpornografie bis hin zu Kriegswaffen so ziemlich alles kaufen kann, was Kriminelle begehren.

Auch David S., der Münchner Attentäter vom Olympia-Einkaufszentrum, bestellte seine Pistole vom Typ Glock 17 im Darknet, derzeit läuft der Prozess gegen seinen Waffenhändler Philipp K. vor dem Münchner Landgericht. In wenigen Jahren habe sich der illegale Waffenmarkt in Deutschland immer mehr ins Netz verlagert, erklärt Schindler. Eine Spezialeinheit des Zolls fahndet im Internet nach den Dealern, vereinbart Scheinkäufe, zapft Telefongespräche an, fängt Postpakete voller Waffen und Munition ab.

Norbert Schindler, 57 Jahre alt, Zolloberinspektor, ist der einzige Waffengutachter des Zolls in Deutschland. Jedes illegale Schießeisen, das Zollfahnder in Bayern beschlagnahmen, an Flug- oder Seehäfen, an den Landesgrenzen, auf Autobahnparkplätzen, bei Wohnungsdurchsuchungen oder via Post, landet auf seiner Werkbank. Häufig berät er auch Kollegen aus anderen Bundesländern.

Im kalten Licht der Kellerlampe deutet Schindler auf einen Karton. Darin, in Reih und Glied wie kleine Soldaten, strecken fünfzig Tokarew-Gewehre aus dem Zweiten Weltkrieg die Mündungen zur Decke. Fünfzig! "Eine unserer mobilen Kontrollgruppen hat sie entdeckt", erzählt Schindler. "Die haben einen VW angehalten, die Rückbank war umgeklappt, über der Ladefläche lag eine ausgebreitete Decke. Und darunter: die Gewehre." Dieser Fund liege bereits einige Zeit zurück, zusammen mit den Panzerfäusten warten die Tokarews nun auf ihre Vernichtung.

In den Stahlregalen an der Wand stapelt sich so ziemlich alles, was die Waffenindustrie an Tötungswerkzeug zu bieten hat: russische AK 47, israelische Uzi, US-amerikanische M-16-Sturmgewehre, das deutsche MG 42, Spitzname "Hitlersäge". Auch ein antiker Reichsrevolver aus dem Jahr 1852 lagert hier. Die einzige Waffe im Keller, die Schindler privat besitzt. Eine Bankangestellte fand sie nach einer Erbschaft auf einem Dachgiebel und brachte sie zur Polizei. "Solche Revolver trugen früher die berittenen bayerischen Zöllner", erzählt Schindler. "Deswegen habe ich sie ihr abgekauft." Der Gutachter pflegt ein Faible fürs Historische.

Schindler muss überprüfen, ob die Waffen für Verbrechen genutzt wurden

Jede einzelne dieser Waffen, auch den Reichsrevolver, hat Schindler begutachtet. Er prüft, ob sie manipuliert worden sind. Kriminelle Händler bauen häufig Dekorationswaffen aus dem Ausland um, damit sie wieder schießen. Oder sie schweißen so lange an Schreckschusspistolen herum, bis diese auch scharfe Munition abfeuern können. Das ist nicht nur illegal, es kann auch für den Schützen gefährlich werden, wenn der Schuss wortwörtlich nach hinten losgeht.

Apropos gefährlich: Schindler fischt ein doppelläufiges, grobschlächtiges Ding aus einem Regal, das entfernt an eine winzige Schrotflinte erinnert. "Die hat ein Lehrling in einem Metallbetrieb selbst gebastelt", berichtet er. Der Verschluss am Ende des Laufs, dort, wo die Patronen reinkommen, ist aber so dilettantisch gefertigt, das er selbst beim trockenen Abdrücken ohne Munition aufspringt. Marke Eigenbau kann einem beim Schießen die eigene Hand abreißen.

Allein in diesem Jahr landeten bereits 197 Schusswaffen zur Begutachtung bei Schindler. Vier davon fielen unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Der Experte muss nicht nur feststellen, ob sie noch funktionstüchtig sind. Noch wichtiger ist die Frage, ob sie bei einem Verbrechen abgefeuert wurden.

Bei illegalen Waffen, die Zollfahnder sicherstellen, fehlen immer häufiger die Seriennummern - herausgeschliffen, um deren Herkunft zu verschleiern. Auch verbotene Schalldämpfer liegen laut Schindler im "Trend". Beides kann ein Hinweis darauf sein, dass die Waffen nicht nur als schmückendes Sammlerstück gedacht waren. Besteht auch nur ein geringer Verdacht auf ein Verbrechen, führt Schindler einen sogenannten Vergleichsbeschuss durch: Er schießt eine Patrone in eine Kiste mit spezieller Watte-Füllung und eine zweite in ein Becken mit enthärtetem Wasser.

So wird das Projektil gebremst, ohne durch den Aufprall deformiert zu werden. An den Patronenhülsen und den Projektilen entstehen mikroskopische Spuren, die einzigartig sind und jeder Waffe eindeutig zugeordnet werden können. Das Beweismaterial schickt der Zöllner ans Bundeskriminalamt, wo es mit einer Datenbank abgeglichen wird.

Wurde eine Schusswaffe tatsächlich bei einem Verbrechen abgefeuert, wird sie nach Abschluss der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens eingeschmolzen und vernichtet. Bloße Schmuggelware für Sammler darf Schindler als Ersatzteillager oder als Schulungsobjekt nutzen. Viele Waffen, die der Zoll beschlagnahmt hat und die noch brauchbar sind, werden im Bündel zu Dutzenden per Versteigerung an Großhändler verkauft. Ein einziges Mal in 21 Jahren als Sachverständiger, erinnert sich Schindler, sei ein Kleinkalibergewehr auf diesem Weg zweimal auf seinem Schreibtisch gelandet. "Eine absolute Ausnahme", sagt er - und zieht die rote Stahltür hinter sich zu.

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