Süddeutsche Zeitung

"Zither 10":Partitur für Staubwedel

Das Zither-Festival im Münchner Gasteig betont auch bei seiner zehnten Auflage die traditionellen und experimentellen Seiten eines vielfach unterschätzten Instruments

Von Ekaterina Kel

Grüner Bob, rote Strümpfe und ein kleiner roter Plastikfisch an der Leine - die Performerin Ruth Geiersberger hat am Samstagabend Besucher auf ein "Blind Date" eingeladen. Wer sich verführen ließ, ihr zu folgen, landete in einem improvisierten Séparée. Ein blickdichter Vorhang, nur zwei Beine sind zu sehen. Erst stehen sie ganz ruhig, aber plötzlich kommt Leben in sie, als die Frau, die zu ihnen gehört, Zither zu spielen beginnt. Eine gute Gelegenheit, sich ganz aufs Zuhören zu konzentrieren. Und nebenbei zu rätseln, wie die Zitherspielerin wohl aussieht. High Heels, aber Musik von Silvius Leopold Weiss spielen. Witzig.

Blind Date gehörte zum Programm der Horizontflimmern-Nacht von "Zither 10". Und erfüllte genau das Konzept, das dem Festival zugrunde liegt: Das Instrument Zither in all seinen Facetten zu zeigen. So erwischte ein Zuhörer eben alte Musik, der nächste einen Landler und den dritten erwartete ein Tango des zeitgenössischen Komponisten Fredrik Schwenk. Drei Tage lang dominierten am vergangenen Wochenende die Zithern im Münchner Kulturzentrum Gasteig, das Horizontflimmern am Samstagabend war der Höhepunkt. Neben dem intimen Format des "Blind Date" fanden auch Konzerte in der Black Box, im Kleinen Konzertsaal und im Foyer statt. Georg Ringsgwandl plauderte locker über sein "Neues schlichtes Liedgut" und präsentierte sich von seiner stärksten Seite: Sehr trocken und ironisch kommentierte er den aktuellen Zustand der Gesellschaft, erzählte von seinen Anfängen an der Zither und der beruhigenden Wirkung dieser Musik. Seine Zither störte sich dabei nicht im Geringsten an der kratzigen Stimme, sie kontrastierte im Gegenteil wunderbar zu Ringsgwandls halbgesungenen Geschichten. Nebenan im Kleinen Konzertsaal amüsierten sich die Zuhörer mit Josef Brustmann und Marianne Sägebrecht, die mit ihren Sterbeliedern fürs Lebens aufwarteten. Sehr beeindruckend auch das Landeszitherorchester Baden Württemberg, das einen wunderbar konzentrierten, intensiven Auftritt bot.

Wenig später trafen in der Komposition "Erratischer Block" von Leopold Hurt Elemente der Minimal Music auf Zitherklänge und erschufen Klangwelten, die sich tatsächlich wie geologische Findlinge anfühlten. Die auf der Bühne erzeugten Sounds wurden elektrotechnisch abgenommen und zeitversetzt von den Lautsprechern in den Saal wieder abgegeben, dazu gesellten sich Zuspielungen in Radioästhetik. Das ergab insgesamt einen instrumentalen Klangteppich, auf dem sich Leopold Hurt an der Zither und vier Musiker des Münchner Ensembles Zeitsprung wiederum live mit Saxofon, Klavier, Schlagzeug, Violine vergnügten. Die von ihrer Tonalität und Dynamik abgerissenen Klänge waren Teil einer streng konzeptionellen Tonanordnung, an der die Musiker sichtlich ihre Freude hatten.

Im Foyer sorgte das aus Mittenwald stammende Duo Toni Hornsteiner und Christof Kriner für den eher traditionellen Part. Mit ihren anrührenden Geschichten von Jägern, Sennerinnen, dunklen Wäldern und schönen Tälern zu Zither und Kontragitarre begeisterten sie das Publikum durch ihre enorme Stimmigkeit, die auch die "Wiener Halbwelten" auszeichnete: Agnes Palmisano, begleitet von Karl Soyka am Knopfgriffakkordeon und Zitherspieler Walter Stirner, jodelte sich mit ihrer unglaublich nuancenreichen Stimme in ungeahnte Höhen.

Andernorts leitete die Kitzbühler Klangkünstlerin Lissie Rettenwander ihre Performance zwar mit den Worten "Ich komm' von der Alm" ein, sorgte dann aber mit ihrer exzentrischen Arbeit für reichlich Überraschung. Auch Rettenwander nutzte das Live-Sampling als unmittelbare Kompositionsstrategie und erzeugte damit eine hallende Mehrstimmigkeit, die allein aus ihrer ins Mikrofon gehauchten Mädchenstimme erwuchs.

Unweit des Noise-Genres setzte sie eine kuriose Objekt-Sammlung ein, um die Geräusche der Zither auch noch zu verfremden. Mal ließ sie bunte Gummibälle auf die Saiten fallen, mal streichelte sie das Instrument mit einem Staubwedel. Für Lissie Rettenwander ist die Zither ganz offensichtlich eine Spielwiese zum Improvisieren. Ihre Rückkopplungen klingen dabei mindestens genauso imposant wie die einer betrunkenen Rocklegende.

Und wieder ruft Ruth Geiersberger mit knallgrünem Haar "Grüß Gott!" und gern versinkt man in der verführerischen Collage aus Tradition, Heimatliebe, Zeitgenössischer Musik und verrückten Einfällen. Bloß schade, dass das Festival sein 20-jähriges Bestehen nutzt, um sich zu verabschieden. Aber so sei es am schönsten, sagt Georg Glasl, der Initiator und künstlerische Leiter. Aufzuhören, wenn alle noch begeistert sind. Denn nur dann würden alle das Festival rund um die Zither auch in bester Erinnerung behalten.

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SZ vom 30.03.2015
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