Zeugenschutz:Wenn das Leben wieder auf Null gestellt wird

Mafia oder Menschenhandel - Spezialisten des Landeskriminalamtes betreuen Kriminelle, die bereit sind, auszupacken.

Susi Wimmer

Es war das erste Mal, dass Alexander S. als Drogenkurier unterwegs war - und auch das letzte Mal: Schleierfahnder winkten ihn im Sommer 2006 zufällig auf der Salzburger Autobahn heraus.

Zeugenschutz, LKA, München

Albert Bischeltsrieder, Chef der bayerischen Zeugenschützer.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Seitdem ist im Leben des 46-jährigen Familienvaters nichts mehr, wie es einmal war. Denn Alexander S. packte bei der Polizei aus: Er nannte Verbindungsmänner, Adressen, Treffpunkte. Kurz darauf hob die Polizei den Drogenring aus.

Da die Bandenmitglieder Alexander S., seine Frau und die Kinder massiv bedrohten, um seine Aussage vor Gericht zu verhindern, wurde die gesamte Familie ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Seitdem haben sie alle Verbindungen zu Bekannten und Verwandten gekappt, die Jobs gekündigt und ihrer Heimatstadt den Rücken gekehrt.

Alexander S. lebt mit seiner Familie irgendwo in Deutschland, unter anderem Namen, mit einer neuen Identität, ohne alte Kontakte. Ein Leben, zurückgedreht auf Anfang. Denn auch nach der Verurteilung der Haupttäter muss die Familie immer noch mit dem Schlimmsten rechnen.

Menschen, die hochgradig gefährdet sind, sich deswegen einer Gesichtsoperation unterziehen, unter anderem Namen in einer fremden Kleinstadt auftauchen und ihre Vergangenheit ausradiert haben: Das ist der Stoff, aus dem Hollywood-Filme sind.

Kriminaldirektor Albert Bischeltsrieder allerdings vermittelt nicht den Eindruck eines abgedrehten Action-Produzenten. Der Mann im braunen Anzug wählt sorgfältig seine Worte, will Auskunft geben, aber gleichzeitig nicht zu viel sagen.

Bischeltsrieder ist Leiter der Abteilung Fahndung am Bayerischen Landeskriminalamt (LKA), Chef der Zeugenschützer und zugleich Koordinator für Zeugenschutz in Bayern. "Uns geht es darum, Zeugen vor Repressalien zu schützen, damit das Strafverfahren durchgezogen werden kann." Seine Klienten kommen aus allen Genres der Kriminalität: aus dem Rotlichtmilieu, dem Drogen- oder Menschenhandel, aus der Mafia jedweder Provenienz.

Mitte der 80er Jahre, so erzählt Bischeltsrieder, sei der Zeugenschutz in Deutschland intensiviert worden. "Da schwappte die organisierte Kriminalität aus Italien herüber", erinnert sich der Kriminaler und spricht von Organisationen wie Mafia oder Camorra. "Selbstverständlich gab es da Attentate und Morde" - und Leute, die aus der "Familie" aussteigen wollten.

Mit der Mafia lassen sich auch die Aufnahmekriterien in ein Zeugenschutzprogramm am besten verdeutlichen: Es müsse um "qualifizierte Straftaten" gehen und um die Gefährdung nicht nur von Einzelpersonen. Und: "Der Betreffende muss mitmachen."

Wenn das Leben wieder auf Null gestellt wird

Das bundesweit einheitliche Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz trat zum 1. Januar 2002 in Kraft. Es legt unter anderem fest, dass auch Angehörige gefährdeter Zeugen geschützt werden können. Dass alle Maßnahmen dabei ziemlich konspirativ ablaufen, versteht sich von selbst.

Zunächst überprüft die Fachdienststelle, ob die Person für das Zeugenschutzprogramm geeignet ist. "Zum einen muss sie schon eine gewichtige Aussage machen können", sagt Bischeltsrieder, zum anderen müsse sie bereit sein, erhebliche Einschränkungen auf sich zu nehmen. Auch finanzieller Natur. Natürlich stünden öffentliche Mittel zur Verfügung, "aber finanziell besser gestellt werden diese Leute sicher nicht".

Die erste persönliche Kontaktaufnahme zwischen Zeugenschützern und Klient findet meist an einem neutralen Ort statt, also nicht bei ihm zuhause oder im Amt. "Der Zeugenschützer muss mit dem Klienten eine Beziehung aufbauen, sein Vertrauen gewinnen, ihn einschätzen können." Die Kriminaler, sie müssen entsprechende Diensterfahrung im Milieu mitbringen, sind speziell ausgebildet.

In extremen Fällen werden sie zum ,,Mädchen für alles'': Sie besorgen Tarnpapiere, kümmern sich um eine neue Wohnung, um Arbeit oder auch um einen neuen Sportverein. Sie raten dem Klienten, er möge auffällige Tätowierungen entfernen lassen; wer einen exotischen Beruf ausübt, sollten den Job wechseln.

Zeugenschützer schützen nicht nur das Leben des Betroffenen, sie kümmern sich auch um dessen Seelenleben. So mancher hat dann doch Probleme mit der kompletten Auslöschung seiner Identität, findet schlecht neuen Anschluss oder leidet unter der Trennung von Freunden und Familie.

Manchmal steigen Klienten aus dem Programm aus. Dann aber, sagt Bischeltsrieder, "können wir nur noch wenig für sie tun". Zeugenschützer organisieren heimliche Treffen mit Familienmitgliedern und sind für ihre Bezugsperson rund um die Uhr erreichbar. Und: Sie sind auch selbst gefährdet.

Albert Bischeltsrieder erzählt, es sei die kriminelle Gegenseite auch schon auf die Idee gekommen, über den Zeugenschützer an den Klienten heranzukommen. Aus diesem Grund agieren die Spezialisten im Geheimen. Wo sie sitzen, wie viele sie sind, wie viele Klienten bayernweit betreut werden: keine Angaben.

Ein Klient aus jüngster Vergangenheit ist Lokman M.: Der 33-jährige Kurde war der erste Islamist, der im Januar 2006 in Deutschland wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung verurteilt wurde.

Wie die SZ berichtete, sollte Lokman M. in München Kämpfer für den "heiligen Krieg" rekrutieren. Weil er vor Gericht auspackte, kam der ehemalige Angehörige der Terrorgruppe "Ansar al-Islam" jetzt im Oktober nach Verbüßung der halben Haftstrafe frei - und tauchte mit Hilfe des Zeugenschutzprogramms sofort unter.

Egal, ob es um Terrorismus geht, um ausländische Prostituierte, um Falschgeld-Banden: Für wichtige Zeugen wird im Bedarfsfall "ein erheblicher Aufwand" betrieben, wie Bischeltsrieder sagt. Die Schutzmaßnahme dauert manchmal nur wenige Tage, etwa bis zum Prozess, manchmal aber auch ein ganzes Leben.

Es ist Sache der Polizei, die Gefahrenlage einzuschätzen, das Programm und den Ort festzulegen und auch zu entscheiden, wann es wieder aufgehoben wird. "Einen Zeugen, der gegen die chinesischen Triaden aussagt, werden wir sicher nicht in eine Großstadt umsiedeln, wo die Triaden ihre Zentren haben. Der kommt raus auf's Land." In ganz seltenen Einzelfällen sogar auf einen anderen Kontinent.

Doch Albert Bischeltsrieder weiß auch: "Eine hundertprozentige Sicherheit" können er und seine Leute nicht bieten. Dann lächelt er, klopft auf Holz und sagt, dass bei allen LKA-Fällen bis dato weder Zeugen noch ihre Beschützer zu Schaden gekommen seien. Und sein "Albtraum" sei bislang auch noch nicht Realität geworden: einen 2,30 Meter großen Zeugen schützen zu müssen.

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