Zeitzeugen:Schmerzlichste Klage

Gustav Landauer, 1910er Jahre

Gustav Landauer.

(Foto: SZ Photo)

Gustav Landauer will sich mit den Kommunisten nicht arrangieren

Der Schriftsteller Gustav Landauer (1870 - 1919) war Anarchist und Pazifist. Noch in seiner Studentenzeit hatte er seinen ersten Roman geschrieben, später gab er in Berlin die Zeitschrift Der Sozialist heraus, in der er kulturphilosophische und politische Aufsätze publizierte. Nach der Revolution übersiedelte er auf Bitte Kurt Eisners von Krumbach nach München. In der ersten Räterepublik in der zweiten Aprilwoche 1919 amtierte er als Volksbeauftragter für Erziehung und Unterricht. Als die Kommunisten die Macht übernahmen, bot er zunächst seine Weiterarbeit an, trat dann aber von allen Funktionen zurück. In einem Brief erklärte er dem Aktionsausschuss am 16. April, wieso.

"Ich habe mich um der Sache der Befreiung und des schönen Menschenlebens willen der Räterepublik weiter zur Verfügung gestellt; als der alte Zentralrat von einer Organisation ersetzt worden war, die von dem Vertrauen der Münchener Arbeiterschaft getragen zu sein schien. Sie haben meine Dienste bisher nicht in Anspruch genommen. Inzwischen habe ich Sie am Werke gesehen, habe Ihre Aufklärung, Ihre Art, den Kampf zu führen, kennengelernt. Ich habe gesehen, wie im Gegensatz zu dem, was Sie 'Schein-Räte-Republik' nennen, Ihre Wirklichkeit aussieht. Ich verstehe unter dem Kampf, der Zustände schaffen will, die jedem Menschen gestatten, an den Gütern der Erde und der Kultur teilzunehmen, etwas anderes als Sie. Ich stelle also fest - was schon vorher kein Geheimnis war -, daß die Abneigung gegen eine gemeinsame Arbeit gegenseitig ist. Der Sozialismus, der sich verwirklicht, macht sofort alle schöpferischen Kräfte lebendig; in Ihrem Werke aber sehe ich, daß Sie auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiet, ich beklage, es sehen zu müssen, sich nicht darauf verstehen.

Diese Mitteilung bleibt von mir streng privat; es liegt mir fern, das schwere Werk der Verteidigung, das Sie führen, im geringsten zu stören. Aber ich beklage aufs schmerzlichste, daß es nur noch zum geringsten Teil mein Werk, ein Werk der Wärme und des Aufschwungs, der Kultur und der Wiedergeburt, ist, das jetzt verteidigt wird."

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