Zeitgeschichte:Ein Haus mit offenen Türen

Farbige Lackplatten, Leuchtkästen und ein Appell gegen Diskriminierung: Die Jugendlichen der Berufsschule für Farbe und Gestaltung setzen in der Ausstellung des NS-Dokuzentrums neue, aktuelle Akzente

Von Jakob Wetzel

"Wir wollen das Positive sehen", sagt Philip Okolie. Der 27-Jährige hat sich gerade im Münchner NS-Dokuzentrum umgesehen. Jetzt steht er neben einem großen Foto, das zeigt, wie SS-Schläger 1933 den jüdischen Rechtsanwalt Michael Siegel mit einem Schild um den Hals durch die Straßen treiben. Das Positive sehen? "Wir wollen einfach, das alle in Frieden miteinander leben", sagt Okolie. "Und dass die Leute verstehen, wie schön es ist, dass wir alle unterschiedliche Hautfarben haben." Es gehe doch auf der Welt ums Leben und ums leben lassen.

Okolie und sein Freund Sikirullah Iyanda haben einen Appell gegen Diskriminierung verfasst. Die beiden Männer stammen aus Nigeria, sind seit wenigen Jahren in Deutschland und absolvieren gerade eine Ausbildung zum Maler an der städtischen Berufsschule für Farbe und Gestaltung an der Luisenstraße. Ihr Aufruf wird bald Teil der Ausstellung im NS-Dokuzentrum sein. Läuft alles nach Plan, wird einer der beiden für einen farbigen Schattenriss aus Holz Modell stehen; auf diesen werden sie dann ihren Appell schreiben. Ab März 2019 soll diese Figur mit ihrer Botschaft an einem passenden Ort in der Ausstellung stehen - und nicht nur diese Figur.

NS-Dokuzentrum Rundgang mit einer Schülergruppe der Berufsschule Farbe und Gestaltung

Für die meisten Berufsschüler ist es der erste Besuch im NS-Dokumentationszentrum: Thomas Rink und Felicitas Raith erklärten ihnen in Grundzügen, wie die Dauerausstellung bislang gestaltet ist.

(Foto: Florian Peljak)

Das Münchner NS-Dokumentationszentrum hat die ganze Berufsschule eingeladen, die Dauerausstellung zu ergänzen. Mit Hilfe von Farbe, Schrift und Licht sollen Schüler und Lehrer Themen setzen, die sie selbst in der Gegenwart bewegen, und dabei eine Verbindung zur Nazi-Zeit schaffen. Die Schüler haben dabei weitgehend freie Hand, nur reversibel müssten die Änderungen sein, heißt es. Das Dokuzentrum spricht von einer "künstlerischen Intervention". Es geht darum, sich für neue Zielgruppen zu öffnen, so wie es die neue Direktorin Mirjam Zadoff bei ihrem Antritt im Mai angekündigt hat: Sie wolle "ein Haus mit vielen offenen Türen" schaffen, viel mit Kunst arbeiten und besonders Jugendliche und Migranten einbinden, denn diese würden die Nazi-Geschichte nicht unbedingt als Teil ihrer eigenen Identität begreifen, erklärte sie. Und als Clemens Abert das in der Zeitung las, nahm er Zadoff beim Wort.

Abert ist Beratungslehrer an der Berufsschule für Farbe und Gestaltung, unterrichtet dort Ethik, Sport sowie katholische Religion und koordiniert jetzt das Projekt "Eine Welt - viele Farben" mit dem NS-Dokuzentrum. Mehr als 150 Schüler aus sieben Berufszweigen nähmen teil, zudem das ganze Kollegium, sagt er. Seine Schule bemühe sich seit Jahren um ein offenes Klima, "wir sind ja selber eine Multikulti-Truppe". Viele Schüler hätten Migrationshintergrund, und es gebe zwei Klassen mit Flüchtlingen. Zuletzt haben die Lehrer mit geflüchteten Schülern ein Kochbuch gestaltet, "Global Kitchen". Und als Abert mit seiner Idee beim NS-Dokuzentrum anklopfte, rannte er offene Türen ein.

NS-Dokuzentrum Rundgang mit einer Schülergruppe der Berufsschule Farbe und Gestaltung

Sikirullah Iyanda und Philip Okolie (von links) haben einen Appell gegen Rassismus verfasst.

(Foto: Florian Peljak)

Am Dienstagvormittag hat nun die erste Klasse das NS-Dokuzentrum besichtigt, angehende Maler, 17 Schüler im Alter zwischen 16 und 33 Jahren. Mehrere von ihnen sind geflüchtet, aus Afghanistan etwa oder aus dem Irak. 15 von ihnen sind zum ersten Mal im Haus. Sie sehen einen Lernort, der im Inneren bislang eher grau ist: Die Ausstellung wird von Schautafeln mit Schwarzweiß-Fotografien dominiert, dazu gibt es Tische mit vertiefendem Material.

Die Ideen der Schüler unterscheiden sich je nach Berufszweig, erläutert Abert. Jede Klasse werde ein anderes Konzept umsetzen. Die angehenden Lackierer wollen Lackplatten über den Vertiefungstischen aufhängen. Die künftigen Gestalter für visuelles Marketing wollen große Buchstaben im Haus verteilen. Die auszubildenden Wachszieher, Vergolder und Kirchenmaler möchten ein Mobile bauen - denn wenn ein Teil der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht kommt, gerät alles aus den Fugen. Die Wachszieher wollen die Besucher außerdem einladen, aus verschiedenfarbigen Wachswürfeln gemeinsam eine große Kerze zu basteln. Und die Schilder- und Lichtreklamen-Hersteller arbeiten an Leuchtkästen, auf denen je nach Licht unterschiedliche Worte zu lesen sein werden. Ein Kasten wird etwa wie ein Kreuzworträtsel aussehen, bei dem in regelmäßigen Abständen das Wort "Flucht" aufleuchtet. Ein anderer Leuchtkasten zitiert den Satz "Migration ist die Mutter aller Probleme" von Innenminister Horst Seehofer (CSU).

Die Maler-Azubis wie Okolie und Iyanda wollen Aufsteller in Form von Schattenrissen gestalten. Sie sitzen an diesem Dienstag im Untergeschoss des NS-Dokuzentrums und erklären, welche Themen sie setzen wollen. Zwei Schüler aus Eritrea etwa haben darüber geschrieben, dass es in ihrer Heimat keine Menschenrechte gebe; wer den Bürgermeister kritisiere, komme ins Gefängnis und werde gefoltert. Zwei andere Schüler haben geschrieben, dass es in Afghanistan keinen Respekt gebe. Männer würden Frauen schlagen, und sie selbst seien in der Schule immer wieder verprügelt worden. Andere berichten, wie Homosexuelle unterdrückt werden, oder klagen über die Ausgrenzung von Armen.

NS-Dokuzentrum Rundgang mit einer Schülergruppe der Berufsschule Farbe und Gestaltung

Projektleiter und Beratungslehrer Clemens Abert zeigt bereits einen Prototypen der geplanten Schattenriss-Aufsteller und sucht an der Fotografie Michael Siegels einen geeigneten Ort dafür.

(Foto: Florian Peljak)

Unter den Zuhörern sind auch Mitarbeiter des NS-Dokuzentrums. Sie finden sofort Parallelen zur Ausstellung. Ein Aufruf zu den Menschenrechten würde etwa gut neben die Aufnahme von Michael Siegel passen, sagen Thomas Rink und Felicitas Raith vom NS-Dokuzentrum. Schließlich zeige sich da beispielhaft, wie die Nazis die Menschenrechte missachteten und Minderheiten ausgrenzten. Und auch für Okolies und Iyandas Appell finden sie einen Ort: ein Plakat im vierten Obergeschoss, mit dem die Nazis 1923 für einen Auftritt Hitlers warben. Er sprach über "Politik und Rasse". Damit sei jedem klar gewesen, dass die Nazis eine rassistische Partei sind, sagt Rink. Das sei ein guter Ort für einen Aufruf gegen Diskriminierung.

"Die Welt ist ein wunderbarer Platz um zu leben", heißt es in Iyandas und Okolies Appell. "Verschiedene Hautfarben machen unsere Welt bunt." Das Aussehen eines Menschen sage nichts über dessen Persönlichkeit aus, sagt Sikirullah Iyanda. "Doch, das passt da gut her."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: