Zehn Jahre Facebook:Sexy oder seriös

Marcel Ngyuen

Das Profil von Turner Marcel Nguyen auf Facebook.

(Foto: Screenshot Facebook)

Nackter Oberkörper, angesagtes Tattoo, gestylte Haare: So präsentiert sich Turner Marcel Nguyen auf Facebook. Horst Seehofer gibt sich wesentlich seriöser - hat aber auch schon zu einer Facebook-Party eingeladen. So waren für München die ersten zehn Jahre in dem sozialen Netzwerk.

Von Melanie Staudinger und Beate Wild

Seien es Hypes, Veranstaltungen, Fan-Seiten von Politikern oder von Sportlern: Auf Facebook erfährt man einiges über München, aber auch über die Befindlichkeiten der Bewohner der Stadt. Denn das soziale Netzwerk ist vor allem eines: ein Tummelplatz für Selbstdarsteller, wie diverse Beispiele zeigen.

Bitte um Ihre Aufmerksamkeit

Innerhalb von nur 48 Stunden sammelte die Journalistin Lisa Rüffer fast 850 Likes. Mit ihrer Facebook-Seite traf sie genau das Thema, das die Münchner aufregt, die hohen Mieten nämlich. Auf dem "Leerstandsmelder München" können Menschen auf ungenutzte Häuser in der Stadt hinweisen - damit dort wieder Wohnraum entsteht. Drei Monate später hat die Seite 2627 Anhänger. Die großen Diskussionen der Anfangszeit haben aber nachgelassen. Das ist ein Schicksal, das schon fast typisch ist für Facebook: Themen ploppen hoch, lösen Debatten aus und versanden wieder.

Ähnlich erging es auch der Seite "Things Münchner don't say", auf der Worte, Phrasen und Sprüche veröffentlicht werden, die echte Münchner niemals sagen würden. Gestartet im Juni vergangenen Jahres hatte sie im Juli bereits weit mehr als 40 000 Fans, Ende Januar waren es mit 44 538 nur geringfügig mehr. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen der Nutzer jeden Tag einen neuen Satz wie "Nein danke, ich brauch' kein Glas, ich trink' das Weißbier aus der Flasche" oder "Kultfabrik war geil gestern" fand. Die schier unendliche Reichweite, die soziale Netzwerke versprechen, hat doch ihre Grenzen. Die Aufmerksamkeit lässt sich schwer steuern, das Durchhaltevermögen der Nutzer ist meist nicht allzu vorbildlich.

Wer langfristig punkten will, muss immer wieder etwas Neues bieten. Wie das geht, zeigt der Berufsgrantler Harry G. Der veröffentlicht regelmäßig seine Videos auf Facebook, in denen er wechselweise mit Glockenbach-Hipstern, Isarpreißn oder Silvesterfeiern abrechnet. Kommentare bekommt er immer noch viele.

Als München verschwand

Mitte Februar 2012 rieben sich die Betreiber der Stadtportal-Seite www.muenchen.de verwundert die Augen: Facebook hatte ihre München-Seite gelöscht. Einfach so über Nacht. Die ganze Stadt war sozusagen ins digitale Nirwana geschickt worden - und mit ihr etwa 400 000 Fans, die muenchen.de in dem sozialen Netzwerk bis dahin geliked, also mit "gefällt mir" markiert hatten.

Was war passiert? Angeblich war die München-Fan-Seite einer Umstellung in den USA zum Opfer gefallen, doch so genau konnte das keiner nachvollziehen, offenbar auch nicht bei Facebook. Es hieß, die Adresse facebook.com/muenchen habe nicht mehr ins Konzept des Netzwerkes gepasst. Dass die Seite einfach abgeschaltet wurde, ohne vorher das Stadtportal zu informieren, löste auf Seiten von Betreibern und Fans Verärgerung aus. Ein Problem für die Stadt war zudem, dass über Facebook viele Stadtinformationen an Bürger und Touristen verbreitet werden. Wenn dieser Kanal erst einmal gelöscht ist, fehlt der Stadt ein wichtiges Sprachrohr und Marketinginstrument.

Nach einigem Hin und Her ging die Seite dann doch wieder online. Doch nur ein Teil der Fans war automatisch wieder dabei. Um an Informationen zu kommen, musste man erneut auf den Gefällt-mir-Button klicken. Heute können die Nutzer auf der Seite wieder Fotos der Eisbärenbabys aus dem Tierpark Hellabrunn, ein Interview mit dem früheren Torwart und Bayern-Profi Sepp Maier und Veranstaltungshinweise etwa zum Münchner Fasching lesen. Derzeit hat die Seite mehr als 405.000 Fans.

Prominenz online

Nackter Oberkörper, angesagtes Tattoo, gestylte Haare: So präsentiert sich Marcel Nguyen seinen Fans auf Facebook. In der Hand hält er stolz zwei Silbermedaillen. Die hat der Kunstturner aus München bei den Olympischen Spielen 2012 in London gewonnen. Seit damals ist der DeutschVietnamese mit dem stahlhart trainierten Oberkörper bekannt und beliebt. Mehr als 259 000 Fans mögen seinen Auftritt in dem sozialen Netzwerk. Auf seiner Facebook-Seite findet man Fotos seiner Wettbewerbe, seiner Reisen und seiner Freundin. Letzteres scheint die weiblichen Fans nicht zu stören, sie schreiben weiterhin unter die Fotos des leicht bekleideten Sportlers schwärmerische Kommentare wie "Sexy", "Geiler Kerl" und "Ein Traum von einem Mann".

Es gehört für prominente Sportler zum Geschäft, einen Facebook-Account zu haben. Nach dem Motto: Die Zahl der Gefällt-mir-Angaben, also der Bekanntheitsgrad, sagt auch etwas über den Marktwert eines Sportlers aus. Und jeder präsentiert sich unterschiedlich und bekommt verschiedene Reaktionen. Bei Sebastian Schweinsteiger zum Beispiel schmachten Frauen nicht so offensiv auf der Pinnwand, dafür kann der FC-Bayern-Spieler mit knapp 2,8 Millionen Fans angeben.

Klar, dass die Sportler ihre Fan-Seiten auf Facebook nicht unbedingt selbst pflegen. Wofür gibt es denn Manager und PR-Leute? Doch bei Schweinsteiger findet man immer wieder sogenannte Selfies (selbst mit der Handykamera aufgenommene Bilder), etwa im Bademantel am Pool oder in der Sonne auf einer Plaza in Valencia. Schweinsteiger weiß sich darzustellen. Sogar mit Heino posiert der medienerfahrene Bayern-Profi. "Super Typ!", postet er über den volkstümlichen Schlagersänger.

Nicht immer bekommen Prominente positive Resonanz auf ihrem Profil. Bisweilen wird Schweinsteigers Seite auch von Fans gegnerischer Mannschaften geentert. Da ist dann ziemlich Unflätiges - an dieser Stelle nicht Druckreifes - zu lesen.

Austeilen und einstecken

Ginge es nach Facebook, müsste sich Dieter Reiter keine Sorgen machen. Auf seiner Seite in dem sozialen Netzwerk hat der Münchner Oberbürgermeister-Kandidat der SPD rund 6500 Fans. Sein Konkurrent von der CSU, Josef Schmid, hat circa 5800, die Grünen-Kandidatin Sabine Nallinger etwa 1800. Doch soziale Medien wie Facebook entscheiden nun mal keine Wahlen.

Reiter auf dem Spielplatz, Reiter bei einer Podiumsdiskussion, Reiter bei einer Demo: Als Kandidat setzt man sich in Szene. Ähnlich sehen auch die Beiträge der anderen Bewerber aus. Gerne werden zudem Zeitungsberichte oder Nachrichten aus der Stadt kommentiert. Mal, um die gegnerische Partei zu kritisieren. Das andere Mal, um sich selbst in positives Licht zu rücken. Bei Schmid bloggt seit Neuestem auch seine Gattin Natalie zu aktuellen Themen. Für die Kandidaten bietet Facebook eine Möglichkeit, mit den Bürgern in Dialog zu treten. Dabei müssen sie auch einige Kritik einstecken. "Mei, die Sprüche auf den Plakaten kommen so oberlehrerhaft rüber, dass man die Inhalte auch nur mit Humor nehmen kann. (...) Versprechen kann man ja viel, aber andere an den Pranger stellen für Fehler, die die CSU verbockt hat (...), ist ein ganz eigenartiger Stil", schreibt zum Beispiel jemand bei Josef Schmid auf die Seite.

Ein anderer schlägt Dieter Reiter vor: "Sie könnten mal zur MVG kommen und die Fahrer ansprechen, ob sie mit der momentanen Situation zufrieden sind." Und eine Wählerin schreibt auf die Pinnwand der Grünen-Kandidatin: "Na ja, Frau Nallinger, das wird schon noch ein steiniger Weg, vermutlich ohne Happy End." Parteien übergreifend gilt: Einstecken muss man können, wenn man sich als Politiker im Netz bewegt.

Dass bei allen OB-Kandidaten in Sachen Popularität Luft nach oben ist, zeigt die Seite des noch amtierenden Oberbürgermeisters: Christian Ude hat knapp 17 000 Fans. Für die stellt er zum Beispiel Kolumnen und Fotos online. Das hat zuweilen unfreiwilligen Witz: Beim Politischen Aschermittwoch in Vilshofen etwa machte er von der Bühne aus ein Foto des vollen Bierzelts und kommentierte auf Facebook. : "So sehe ich Euch von oben: Was für ein phantastischer Anblick!". Das kommt offenbar an bei der Facebook-Gemeinde. Ob sein Eintrag, bei dem er verkündet, einen ADAC-Preis bekommen zu haben, von Vorteil ist, muss der scheidende OB selbst wissen.

Mit dem Horst ins P 1

Sie sind für Jugendliche ein Riesenspaß - und für Polizisten ein Albtraum: Ausufernde Facebook-Partys, zumeist im elterlichen Heim, wenn Mama und Papa im Urlaub sind. Im Jahr 2012 erreichten Partys, zu denen via Facebook Hunderte oder gar Tausende Unbekannte eingeladen wurden, ihren Höhepunkt. Fast jeder dieser Veranstaltungen endete im größtmöglich vorstellbaren Exzess. Immer wieder hörte man von Festen, wie etwa dem eines 18-jährigen Ebersbergers. 3000 Jugendliche hatten sich auf der Internetplattform zum Feiern in seiner Wohnung angekündigt. Nachdem der junge Mann die ersten randalierenden Gäste noch selbst aus seiner Wohnung befördern konnte, zogen die Jugendlichen aus dem gesamten Großraum München durch die Ebersberger Innenstadt und machten richtig Krawall. Die Polizei verhängte gegen mehr als 50 Jugendliche Platzverweise.

Die Medienwirksamkeit von Facebook-Partys kam damals auch Horst Seehofer (CSU) zu Ohren. Da dachte sich der Ministerpräsident offenbar: Was die Jugendlichen können, kann ich schon lange - und lud im April 2012 alle seine Anhänger in dem sozialen Netzwerk in den Münchner Club P 1 ein. Außerdem versprach er Freigetränke, so etwas zieht ja immer. 2500 Fans kündigten ihre Teilnahme an, gekommen sind schließlich nur ein paar Hundert. Doch Seehofer war durch den Coup tagelang Gesprächsthema in der ganzen Stadt.

Mittlerweile, im Jahr 2014, ist die diebische Freude der Jugendlichen am Herausfordern der Eltern und der Staatsmacht wieder stark zurückgegangen. Wahrscheinlich waren die hohen Kosten für das in die Brüche gegangene Mobiliar dann doch etwas abschreckend. Oder das Provozieren ist einfach nur langweilig geworden. Bis heute ist allerdings die Frage offen: Wie schafft man es, "aus Versehen" Tausende Menschen einzuladen?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: