Zeckenforscher:Jagd auf die Blutsauger

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"Die Leute denken, wir suchen nach Ufos oder kommen vom Mond", sagt Gerhard Dobler. Die Männer in Weiß suchen jedoch nach Zecken. (Foto: Florian Peljak)

Manchmal rufen Spaziergänger die Polizei, wenn sie Gerhard Dobler begegnen: Der Münchner Virologe erforscht Zecken - und verrät, wie man sich am besten schützt.

Von Philipp Schulte, München

Ein Mann in einem weißen Plastikanzug läuft durch den Wald. Er zieht ein weißes Leinentuch hinter sich her. Laub knirscht, Vögel zwitschern. Das Tuch gleitet über Pflanzen und Gestrüpp. Nach einer Weile kniet sich der Mann mit dem Plastikanzug hin und betrachtet das Tuch. Er sucht nach Tieren, vor denen alle anderen Wald-Wanderer flüchten. Gerhard Dobler, Brille, Schnauzer und Halbglatze, jagt Zecken.

Spaziergänger riefen schon die Polizei

Manche Spaziergänger rufen die Polizei, wenn sie Dobler und seine ebenfalls weiß gekleideten Kollegen durch den Wald laufen sehen. "Die Leute denken, wir suchen nach Ufos oder kommen vom Mond", sagt er. "Mittlerweile sagen wir den Behörden deshalb vorher Bescheid, wenn wir mit mehreren unterwegs sind." Wir, das sind er und andere Virologen. Sie haben eine besondere Vorliebe für Zecken, in denen unterschiedlichste Krankheitserreger stecken.

Doblers Leinentuch täuscht der blinden Zecke einen Wirt vor. Diese Tiere sind darauf aus, sich an Tier oder Mensch zu heften, um sich von deren Blut zu ernähren. "Sie nehmen unsere Schritte und Schweiß wahr", sagt Dobler. 200 bis 300 Zecken klammern sich normalerweise nach einer Stunde an seinen Köder. Bevor sie den Irrtum bemerken, nimmt er einige in einer Dose mit. Sie ist an seiner Brust mit Klebeband befestigt.

Auch im Englischen Garten ist Vorsicht geboten

Damit er hier im Wald zwischen München und Oberschleißheim nicht selbst von einer Zecke gestochen wird, klebt er die Übergänge seines Anzugs zu den Stiefeln dreifach mit Klebeband ab. Doch selbst das hilft nicht immer. "Sie überstehen die Dusche und Waschmaschine. Bei einem Waldspaziergang sollte man möglichst helle Kleidung tragen, die Hose in die Strümpfe stecken und auf den Wegen bleiben", rät der Virologe.

850 Zeckenarten gibt es weltweit, 17 davon in Deutschland. Das Gefährliche: Ein Viertel aller Zecken tragen einen Krankheitserreger in sich. Sie lauern im Frühsommer am Waldrand und an Lichtungen im Laub oder kniehohen Gras. Im Winter sitzen sie tiefer im Wald. Außerdem mögen sie Büsche und Hecken. So ist auch im Englischen Garten Vorsicht geboten. 20 bis 30 Prozent der Zecken dort haben den Erreger der Lyme-Borreliose in sich, sagt Dobler.

Wird man von einer Zecke gestochen, sollte man sie so schnell wie möglich mit einer Pinzette entfernen und die Stelle mit einem Wunddesinfektionsmittel reinigen. "Der Erreger der Lyme-Borreliose überträgt sich nach zwölf bis 16 Stunden, nachdem die Zecke angefangen hat zu saugen", sagt der Forscher. Eine Infektion zeige sich durch rote Ringe, die sich nach zwei bis vier Wochen um die Stichstelle herum bilden. Dann sollte man schleunigst zum Arzt gehen.

Drei bis vier Menschen sterben jedes Jahr am FSME-Virus

Bei einer Infektion mit dem Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME)-Virus ist eine Behandlung hingegen chancenlos. Drei bis vier Menschen sterben jährlich an dem Virus, das direkt mit dem Stich übertragen wird. Und: "Etwa jeder Zehnte der 300 bis 400 Infizierten pro Jahr bekommt neurologische oder psychische Probleme. Manche können den Arm nicht mehr richtig heben oder werden aggressiv", sagt Dobler. "Nur wenn man vorher geimpft ist, geht es glimpflich aus."

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Doch das seien nur 30 Prozent der Menschen in Bayern. Eine Impfung empfiehlt er allen, die sich in der Natur aufhalten. Seit 2002 erkrankten in Deutschland insgesamt 3626 Menschen. Die meisten davon in Bayern. Das Virus gelangt über das Blut von der Stichstelle ins Gehirn. Leber und Milz sind die ersten angegriffenen Organe.

Fast alle Landkreise in Baden-Württemberg und Bayern sind FSME-Risikogebiete, darunter Ebersberg, Erding, Freising, Bad Tölz-Wolfratshausen, Aichach-Friedberg, das Ostallgäu kam dieses Jahr hinzu. Augsburg, Dachau, Starnberg, Fürstenfeldbruck und München sind bisher nicht betroffen. "Wir gehen davon aus, dass sich das Virus auch in Zukunft weiter ausbreitet." Um die Entwicklung zu verfolgen, sammeln Dobler und sein Team bis zu 20 000 Zecken pro Jahr. Tausend braucht er, um verlässliche Aussagen zu treffen.

Dobler führt das Referenzlabor für FSME

Das FSME-Virus trete nur an bestimmten Stellen sehr konzentriert auf, sagt Dobler. Warum das so ist, wissen er und seine Kollegen noch nicht. Jedoch haben sie festgestellt, dass es sich durch Mäuse, die üblichen Wirte, verbreitet. "Eine Zecke infiziert eine Maus mit dem FSME-Virus. Diese wiederum wird von einer Zecke gestochen, die das Virus bisher nicht in sich trug. Ohne Mäuse gäbe es das Virus nicht", sagt Dobler. Gibt es irgendwo in Deutschland den Verdacht auf eine FSME-Erkrankung, meldet das Robert-Koch-Institut in Berlin den Fall nach München. Dobler erhält die Daten, sein Labor bestätigt oder entwarnt. Es ist das Referenzlabor für FSME.

Anstatt durch einen Zeckenstich übertragen zu werden, könnte das Virus auch als B-Kampfstoff eingesetzt werden. Etwa mit Sprühflugzeugen oder in Granatenform. "Wir wissen, dass die Supermächte im Kalten Krieg an dem Virus forschten und ein Arsenal besaßen. Heute ist das offiziell nicht mehr so", sagt er. Dennoch steht seine Arbeit primär im Dienst der Bundeswehr, da er am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in Milbertshofen angestellt ist. Unter seinem weißen Anzug trägt der Oberfeldarzt beim Zeckensammeln Flecktarn.

Marschieren, grüßen, schießen: Das musste Dobler lediglich bei einer kurzen Ausbildung zu Beginn. Warum er sich vor einigen Jahren für die Bundeswehr entschied? "Es war die Qual der Wahl", sagt er. "Ich hätte auch zu einem zivilen Institut gehen können. Aber die Bundeswehr forscht intensiv nach Viren. Es ist wichtig, die Truppe besonders im Ausland vor Infektionen zu schützen." Auch seien seine Kameraden der Gefahr von Zecken ausgesetzt. Übungen finden meist im Wald statt, wo sie teilweise auch übernachten.

In Doblers Labor herrscht Schutzstufe drei von vier

Doch auch in seinem Institut in der Kaserne gibt es viele Zecken, genau genommen 50 000, die bei minus 80 Grad in einem Hochsicherheitsbereich lagern. Genauso wie 150 FSME-Virenstämme. Über dem Labor hängen Sirenen. Der Raum steht unter Unterdruck. Es herrscht biologische Schutzstufe drei von vier. Die Forscher arbeiten mit Vollschutzanzügen, die auch Ärzte in Ebola-Gebieten tragen. "Man darf keine Angst haben, die Viren in der Hand zu haben", sagt Dobler. "Aber auch niemals die Sicherheit vergessen. Wir haben hier alles Übel, was man sich vorstellen kann." Er meint die Japanische Enzephalitis sowie Gelb- und Denguefieber.

Teil seines 15-köpfigen Teams ist auch seine Frau, eine rumänische Zeckenforscherin, die er auf einer Zecken-Tagung in Sibirien kennenlernte. An den Wochenenden fahren sie nach Wackersdorf in der Oberpfalz, wo Dobler aufwuchs. Was man da macht, um sich von der Arbeit zu erholen? Gemeinsam auf Zeckensuche gehen.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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