Zauberei:Wie kommt der Tennisball aus dem Tablet?

Zauberei: Magie ist oftmals angewandte Physik - das weiß auch Simon Pierro.

Magie ist oftmals angewandte Physik - das weiß auch Simon Pierro.

(Foto: Stephan Rumpf)

Simon Pierro ist iPad-Magier - seine Videos haben mehr als 100 Millionen Menschen auf Youtube gesehen. Seit einem Auftritt bei Ellen DeGeneres wird er sogar von David Copperfield hofiert.

Von Philipp Crone

Magier sind Experten für angewandte Physik. Und sie dürfen nie das tun, was sie am liebsten machen würden. Allein das ist ja in der Branche der Berufsverblüffer schon fast ein wenig verblüffend, noch ganz ohne irgendeinen Trick. Das wird schnell klar, wenn Simon Pierro die Nummer mit den Tellern erzählt.

Simon Pierro - französisch ausgesprochen - ist ein 38 Jahre alter Mann, den auf den Straßen von Schwabing jeder für einen Juristen auf dem Weg zu seiner Kanzlei halten würde, bei der er demnächst Partner werden möchte. Kurzes ergrauendes Haar, Sakko, Hemd, dazu trägt er meistens ein über Jahrzehnte auf Hunderten Bühnen dieser Welt perfektioniertes Kinderriegel-Lächeln - und natürlich sein iPad. "Wenn ich das dabei habe, erkennen mich die Leute. Wenn nicht, dann nicht."

Pierro ist Zauberer, einer, der Bier aus dem iPad rinnen lässt oder den Tennisball auf dem Display zu einem echten in seiner Hand werden lässt. Der als iPad-Magier spätestens seit seinem fulminanten Auftritt in der US-Show von Ellen DeGeneres vor zwei Jahren zu den Großen der Zauber-Zunft gehört. Er sitzt an einem Nachmittag in seiner Wohnung in Schwabing, die aussieht wie ein Showroom für spartanisches Leben, und spielt eine Nachricht von David Copperfield ab, ehe er das schwere Los der Zauberer erklärt.

"Hai Saimon", sagt Copperfield mit tiefster Stimme, und bittet ihn dann um einen Rückruf. Er wolle Tricks kaufen, also die Lizenzen erwerben, diese Zaubernummern in Amerika exklusiv zu zeigen. Pierro hört Copperfield zu und sein Lächeln wird von kinderriegelig zu verträumt. Fast so, als ob er noch immer glaubt, in einem großen Zaubertrick gefangen zu sein, mit ihm als Obermagier, aber eigentlich ist alles zu surreal, der Erfolg, die Bewunderung.

Es reichen allerdings ein paar Minuten mit Pierro, um der Zauberei viele Zauber zu nehmen. Das sind eher keine idealistischen Menschen mit Umhang, die Kindermünder offen stehen lassen wollen. Das sind Geschäftsleute, die zwar sehr geübte Finger haben, vor allem aber einen Sinn für Technik. Analog und digital. Und die immer einen großen Drang unterdrücken müssen, also eben das, was sie am liebsten machen würden, nicht machen dürfen: "Wenn man wochenlang einen Trick entwickelt und einstudiert, manchmal mit großem finanziellen Aufwand, dann will man dem Gegenüber eigentlich ja unbedingt erklären, wie der funktioniert."

Zauberei: "Als Magier will ich dem Zuschauer ein Gefühl mitgeben, das er verloren hat: das Staunen."

"Als Magier will ich dem Zuschauer ein Gefühl mitgeben, das er verloren hat: das Staunen."

(Foto: Stephan Rumpf)

Pierro spricht etwa so schnell wie die Stimme am Ende der Arzneimittelwerbungen, statt "Arzt oder Apotheker" sagt er "Trick mit den Tellern", und dann erklärt er ihn, wie die Teller im Spülbecken ihre Farbe ändern. Er bricht mit der ersten goldenen Regel, dass man nichts verraten darf. Aber der Geschäftsmann in ihm weiß ja: Wenn man dadurch den Beruf des Magiers besser versteht und er sympathisch rüberkommt, gewinnt er - und verliert nur einen alten Trick.

Zunächst einmal beginnt die Nummer auf der Bühne mit ein paar Standard-Übungen. Pierro spielt einen Abspüler, der einen dreckigen Teller hält. Einmal mit dem Tuch drüber und er ist sauber. Dann zieht er das Tuch durch den Teller, lässt einen ganzen Stapel Teller verschwinden. So weit, so Klassiker. Die ganze Nummer dauert zehn Minuten, ist schon 15 Jahre alt und enthielt 40 von ihm über Wochen selbstentwickelte Tricks. Pierro überlegte sich also, was man alles mit Tellern machen könnte. Sie spülen, zum Beispiel. Also wollte er einen weißen Teller in ein Spülbecken halten, und der Teller sollte rot wieder rauskommen.

An dieser Stelle beginnt der Techniker und der Tüftler in einem Magier zu arbeiten. Man unterhält sich mit Bühnenbauern und Requisiteuren, wie so ein Effekt zustande kommen könnte. Erste Idee: Drei Teller ineinandersetzen und mit einem Schlitz aufschneiden, so dass man sie mit einer Hand ineinander verdrehen kann und je nach Position der rote oder weiße Teller zu sehen ist. "Ich wäre also mit dem Teller ins Becken gegangen, hätte mit der Spülbürste den Schlitz verdeckt und den Teller verdreht." Aber es stellte sich heraus: Unter Wasser funktioniert das nicht. Das Pappmodell ohnehin nicht, und auch mit einem Kugellager war das nicht zu schaffen oder wäre sehr teuer geworden.

Zauberer sind besonders stolz, wenn sie andere Zauberer verblüffen

Auch das muss ein Zauberer können: Nicht nur Geld verschwinden lassen, sondern auch richtig investieren. "Zu der Zeit habe ich das Geld, was ich mit Auftritten verdient habe, in neue Nummern gesteckt." Das war am Anfang, heute hat er einen IT-Spezialisten angestellt, der mit ihm die nächsten iPad-Nummern entwirft.

Aber erst waren Teller, dann das Tablet. Pierro ließ feine farbige Plastikfolien in der Größe der Teller herstellen. Er steckte also den weißen Teller ins Wasser, drehte ihn, auf der Rückseite war er rot, zog den Teller raus und dabei trennte er mit dem Daumen eine Folie ab. Das ging mehrmals, so dass er auch plötzlich Herzchen auf dem Teller hatte. "Wenn man dem Expertenwissen folgt oder ein großes Budget hat, dann hätte ich das Problem anders gelöst."

Zauberer sind stolz, wenn sie verblüffen, sind sehr stolz, wenn sie die eigene Zunft verblüffen, indem sie neue Wege bei ihren Tricks gehen, und sind ganz besonders stolz, wenn bestimmte Menschen dann zu ihnen kommen, sich von dem Trick haben täuschen lassen und fragen, ob man ihnen die Sache erklären könne. "Ali Bongo, eine Zaubererlegende, kam zu mir und fragte danach." Da war Pierro 24. "Ich war so stolz auf den Effekt, dass ich ihn am liebsten jedem erklärt hätte." Da ist sie wieder, die größte permanente Last für einen Zauberer. Dass er die Tricks nicht erklären darf, obwohl er das am liebsten tun würde. Wobei das in der Branche von Pierro mit dem Dürfen und dem Machen so eine Sache ist.

Kein Trick ist geschützt. Pierro kann nichts tun, wenn jemand ihn kopiert. "In der Musik ist der Song eines Komponisten geschützt, bei uns ist es, um im Bild zu bleiben, so, dass jeder ein vorhandenes Lied einfach nachspielen darf." Und er kann so tun, als sei es seins. Manche allerdings halten sich an die Urheber-Idee, David Copperfield zum Beispiel. Er wollte von ihm die US-Lizenz für einen Trick, bei dem Pierro Menschen aus dem 3D-Drucker bauen lässt und sie zum Leben erweckt. Pierro sagt: "Im Kern geht es ja nie um den Trick."

Sondern? Schweigen. Lächeln. Spannung aufbauen. Nur Geduld, sagt Pierros Blick. Zauberer sind Bühnenprofis. Auf jeden Fall geht es immer um geübte und trockene Finger, gerade wenn man in der Today-Show in den USA und bei DeGeneres auftritt. "Da war ich sehr nervös." Aber es sollte seine beste Show werden, die vielen Jahre auf der Bühne machen da dann doch cool und ruhig.

20 Dollar verloren - viel Ehrgeiz gewonnen

Bis heute sind es 23 Bühnenjahre. Mit 15 lief der Mann aus Karlsruhe mit seiner Familie durch New York, ein paar Schritte vor den Eltern, einen 20-Dollar-Schein dabei. Dann traf er auf einen Hütchenspieler und ehe die Eltern eingreifen konnten, war der Schein weg, Pierro sauer und sein Ehrgeiz geweckt. Er wollte verstehen, seine Schwester schenkte ihm ein Zauberbuch. Mit Kartentricks bestritt er die allererste Show im Taubenzuchtverein, dann größere Auftritte, Messen, Hochzeiten. Er begann, Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren, zauberte nebenbei. Kurz vor dem Ende des Studiums rief Frank Elstner an und lud ihn ein in seine Sendung mit der Frage: "Siegfried & Roy-Award gewonnen, Diplomingenieur - warum willst du Gaukler werden?"

Beim Vorgespräch erzählte der Wirtschaftsingenieur dann dem Moderator, dass man die Zauberei ins Fernsehen zurückbringen könne, wo sie zu der Zeit kaum vertreten war. Ein halbes Jahr später kam Pierro wieder zu "Verstehen Sie Spaß", beim ersten Auftritt griff er einem Fluggast bei der Sicherheitskontrolle durch den Bauch. Er steigerte die Einschaltquoten, wurde fest engagiert. Das Problem: Die Redaktion wünschte, dass er seine Tricks am Ende der Show verraten solle.

Der Zuschauer giert nach einer Auflösung, er will nicht mehr grübeln, sondern verstehen, ein Aha-Gefühl. Pierro lehnte ab. "Es ist nicht notwendig. Das würde die Wahrnehmung allein auf den Trick lenken. Dabei geht es eben um das ganze Szenario. Ich kann den gleichen Trick in zwei unterschiedlichen Umgebungen zeigen und man wird ihn nicht wiedererkennen." Zum Beispiel, wenn er bei seinen iPad-Nummern einen Ball aus der Luft greift. Ohne iPad würde es niemanden mehr interessieren, wenn der Ball aber erst im iPad als Bild zu sehen ist und dann in Pierros Hand auftaucht und auf dem Display verschwindet, "dann fasziniert das".

Das iPad kam genau zur richtigen Zeit

Fünf Jahre lang zauberte Pierro bei "Verstehen Sie Spaß", griff durch Panzerglas und ließ live ein Auto verschwinden. Er entwickelte Tricks, die mit den Bildern in einem Fernseher neben sich auf der Bühne arbeiteten. Das Gerät wurde sein Standard-Utensil. Er drehte Filme und baute sie in seine Stücke ein. Immer ging es um das perfekte Timing, wenn er etwa den Fernseher von der Seite anblies und der Moderatorin die Haare weggepustet wurden. Dann kam 2010 das iPad raus und Pierro wusste: Das Timing wird durch ein Tippen auf dem Gerät ersetzt.

Er ließ seine Tricks nun von einem Software-Entwickler programmieren, zog Bildschirmfotos aus dem iPad, und kurz bevor Steve Jobs dann nach einiger Zeit ein neues Betriebssystem vorführte, lud er seine ersten iPad-Tricks auf Youtube hoch. Der Film wurde auf einer Tec-Seite geteilt und hatte nach dem ersten Tag 500 000 Aufrufe, nach einer Woche drei Millionen. Elstner rief wieder an, auch das Wall-Street-Journal. Pierro zauberte Dinge aus dem iPad, drehte einen Clip mit einem Schimpansen, der Nüsse aus dem Tablet schüttelt. Das Video wurde vom Rapper 50-Cent geteilt.

In der noch kaum eingerichteten Wohnung, Pierro ist gerade erst aus Berlin hergezogen, zeigt er noch einen Trick. Er hält einen Stapel handgemalter Geldscheine in der Hand, dann das iPad davor, so dass man sie durch die Kamera sieht. Plötzlich fangen sie an zu brennen, in der Kamera, und am Ende zieht er die Scheine wieder hervor, unversehrt, klatscht sie einmal in die Handfläche und es sind Dollarscheine. Digitale und analoge Tricks in einem. Die Software erkennt über die Kamera die Muster im Bild und spielt den Brennen-Clip ab.

Sieben Jahre macht Pierro jetzt schon iPad-Tricks, und als Unternehmer weiß er, dass sich das wohl irgendwann erschöpft. Ob er jetzt einen Tennisball oder einen Eisbecher aus dem iPad zaubert. "Entscheidend ist heute aber die Individualisierung." Er tritt auf Unternehmensveranstaltungen auf, lässt Lego-Steine erscheinen oder Angry Birds-Figuren, im Münchner Hofbräuhaus zapft er Bier aus dem iPad. Und für den SZ-Pressetermin hat er seine Tätowier-Nummer extra mit einem SZ-Logo neu programmiert. Er zaubert sich vor den Augen des Reporters also mit einem iPhone ein grün-weißes SZ-Tattoo auf den Arm.

Pierro ist Zauberunternehmer, wie alle Größen der Branche. Er hat ein Franchise gegründet, bei dem andere Magier seine Tricks in seinem Namen aufführen dürfen. Ein Auftritt einer Pierro-Kopie kostet dann einige Tausend Euro.

Man will dem Magier glauben

Ein Mann, der so oft auf einer Bühne stand wie normale Menschen im Supermarkt, kann das große Finale natürlich. Und bei einem Zauberer ist das große Finale die große Motivation hinter dem Ganzen. Also sagt er: "Als Magier will ich dem Zuschauer ein Gefühl mitgeben, das er verloren hat: das Staunen." Man könne sich im Zeitalter des Internets ja alles immer sofort erklären, dabei "gibt es Studien, wie das Staunen ganz bestimmte Hirnregionen anregt, die sonst nicht angeregt werden".

Und wenn Simon Pierro mit seinem wunderbaren Lächeln und seiner enormen Redegeschwindigkeit, bei der man immer denkt, wie er sich jetzt wohl gleich Luft in die Lunge zaubert, so spricht, dann kann er auch wunderbar die Aufmerksamkeit auf seinen vermeintlichen Idealismus lenken und davon weg, wie viel Geld er damit verdient, wenn er zum Beispiel für sieben Minuten Show nach Dubai fliegt, und dann weiter für fünf Minuten nach Moskau.

Alles nur eine geldgierige Illusion, diese Zauberwelt? Es ist wohl eher so wie bei einem Trick: Obwohl man weiß, dass etwas eher Banales dahintersteht wie Viel-Geld-Verdienen oder verdrehte Pappteller, will man dem Zauberer glauben. Erstaunlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: