Zahl der Radfahrunfälle steigt:Rambos auf zwei Rädern

Fahren ohne Regeln, dafür mit Ellenbogenmentalität: Weil die Radfahrer laut Polizei immer rücksichtloser werden, häufen sich die Unfälle.

Susi Wimmer und Marc Widmann

Ein Radfahrer wird abgedrängt und rast in den Gegenverkehr, ein anderer springt nachts ohne Licht über eine Bodenschwelle und knallt gegen einen anderen Radler - zwei Schwerverletzte innerhalb einer Woche. "Der Wind auf den Radwegen wird rauher", sagt Polizeisprecher Andreas Ruch. Im ersten Halbjahr 2007 stieg die Zahl der Unfälle mit Radlern um fast 30 Prozent.

Hep Monatzeder ist nicht nur sauer, er ist "stinkesauer". Seit Jahren setzt sich Münchens dritter Bürgermeister für die Radfahrer ein, aber die "düsen hier durch wie die Verrückten", zürnt der Grünen-Politiker - und meint die Dienerstraße neben dem Rathaus, wo eigentlich Schrittgeschwindigkeit verlangt ist. Mehrere Radler hat er schon "runtergezogen", sagt er, aber langsam sei seine Geduld erschöpft: Wenn weiter jeder so rast wie er will, müsse die Stadt überlegen, ob sie die Dienerstraße für die Radfahrer sperrt. Der CSU-Stadtrat Richard Quaas fordert ein Sicherheitskonzept für die gesamte Innenstadt-Radlstrecke.

Sorgen macht sich auch die Polizei: In den ersten sechs Monaten des Jahres zählte sie 1318 Fahrradunfälle - im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 1021. Die Statistik zu deuten, ist unter anderem Aufgabe von Dieter Bauer, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Verkehr im Polizeipräsidium München. "Natürlich spielt da die Witterung eine Rolle ", sagt er und erinnert an den langen Winter 2006. Vor allem aber bringt Bauer "die Mentalität der Radler" mit den steigenden Unfallzahlen in Verbindung. "Ein Drittel der Unfälle wird von den Radfahrern verschuldet. Das sagt schon was über ihr Verhalten aus."

Beispiel Residenzstraße: Hier gehört die Straße zwischen Marienplatz und Odeonsplatz allein den Fußgängern und Radfahrern. Trotzdem kracht es hier immer wieder. "Weil beide Verkehrsteilnehmer sich ohne Autos sicher fühlen - und jeder glaubt, er habe hier das Vorrecht", sagt Bauer. Auf dem zum Teil rot markierten Radweg denke der Fahrradfahrer, er habe Vorfahrt und verhalte sich "oft rücksichtslos". Der Fußgänger hingegen wähnt sich in seinem Reich "und denkt nicht daran, dass Radfahrer im Gegensatz zu Autos nicht zu hören sind".

Dass hier in der Nacht zum Freitag ein 27-jähriger Radfahrer aus Haidhausen lebensbedrohlich verletzt wurde, ist für Dieter Bauer aber ein unglücklicher Zufall: Der Unfallverursacher habe auf der Residenzstraße in der Dunkelheit maßlos übertrieben mit seinem Sprung über die Bodenwelle, der Entgegenkommende sei alkoholisiert gewesen. Beide waren ohne Licht unterwegs - und ohne Helm.

Rambos auf zwei Rädern

Sechs Radfahrer starben vergangenes Jahr auf Münchens Straßen, "fünf könnten noch leben, hätten sie einen Helm getragen", sagt Bauer. Allein in den ersten sechs Monaten 2007 verunglückten drei Radler tödlich, 1173 wurden verletzt. "Wenn sich die Leute aufs Fahrrad setzen, gelten für sie offenbar keine Verkehrsregeln mehr", meint Bauer. Und sie denken, dass man ihnen ohne Kennzeichen nichts anhaben kann.

Doch das ist falsch: Allein zwischen Januar und Mai verpasste die Polizei 1480 Radfahrern einen Strafzettel, weil sie bei Rotlicht über die Ampel gefahren waren. 25 Euro kostet das. Wenn die Ampel schon mehr als eine Sekunde lang Rot war, sind es 62,50 Euro Bußgeld. "Hauptproblemstrecken" sind für Bauer beispielsweise die Leopold- und Ludwigstraße und der Innenstadtbereich mit der Fußgängerzone.

Immer mehr Betrunkene

Eine weitere Tendenz: Die Polizisten holen immer mehr Betrunkene von den Fahrrädern. 60 Alkoholisierte im ersten Halbjahr 2007 stehen 29 vom Jahr 2006 gegenüber. "Das Problem ist, dass viele den Schluss ziehen: Heute will ich was trinken, deshalb fahre ich mit dem Rad", sagt Christoph Zindel-Kostelecky, der Münchner Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC).

Er kann sich nicht vorstellen, "dass Münchner Radfahrer rücksichtsloser sind als in anderen Städten". Die Durchschnittsgeschwindigkeit liege zwar höher als beispielsweise in Hamburg, aggressiver sei das Verhalten auf den Straßen aber nicht.

"Es gibt Menschen, die benehmen sich als Autofahrer daneben, als Fußgänger und als Radfahrer", sagt der ADFC-Vorsitzende, "das sind wahrscheinlich immer dieselben". Der ADFC-Experte bemängelt vor allem eine "teilweise erschreckende" Regel-Unkenntnis bei Radlern wie auch Polizisten. Kaum jemand wisse zum Beispiel, dass manche Radwege benutzungspflichtig seien, andere nicht.

Die Forderung des ADFC, die Radwegepflicht aufzuheben, hält Polizist Bauer dagegen für den falschen Weg. "Der Radfahrer muss vorausschauend fahren und sich von der Ellenbogen-Mentalität am Radweg verabschieden", sagt er. Wobei letztere schon so weit geht, dass auch das Phänomen Unfallflucht unter Radfahrern zunehme.

Allein 93 Radler entfernten sich im ersten Halbjahr 2007 unerlaubt vom Unfallort. "Absolut schäbiges Verhalten", kommentiert Bauer. Der krasseste Fall dürften die beiden Unbekannten gewesen sein, die vergangene Woche auf dem Isar-Radweg vor dem Patentamt einen Radler regelrecht abdrängten, so dass dieser auf die Gegenspur geriet und gegen einen anderen Radfahrer knallte. Der entgegenkommende Jurist erlitt schwere Verletzungen. Die Unfallverursacher flüchteten.

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