Ein junger Musiker, Cellist bei den Münchner Philharmonikern, gerät ins Visier des Staatsschutzes. Polizisten ermitteln gegen ihn, laden ihn vor. Das einzige Vergehen, das sie Johannes König, 27, vorwerfen: Er hat einen Artikel des Bayerischen Rundfunks (BR) unkommentiert auf seinem Facebook-Profil geteilt.
Der BR, nicht gerade für links-autonome Hetze berüchtigt, illustrierte diesen Beitrag mit einer Fahne der Kurden-Organisation YPG. Deswegen erschien das Foto automatisch auch auf Königs Pinnwand. Grund genug für die Polizei, gegen den Musiker vorzugehen. Und nicht nur gegen ihn.
Ermittlungen in München:Staatsanwälte schießen im Fall der Kurden-Flagge übers Ziel hinaus
Haben sie einen Verdacht, müssen Staatsanwälte Straftaten nachgehen. Das muss aber verhältnismäßig sein - und das ist es im Fall der Kurden-Fahnen nicht.
Königs Geschichte zeigt, wie rasch man in die Fänge der Staatsschützer stolpern kann. Benjamin Ruß ist das durch Sitzen gelungen, vorzugsweise mitten im Weg von Nazi-Demos. Der linke Aktivist hat zudem die Proteste gegen den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau 2015 mitorganisiert. Für die Polizei ist er also kein Unbekannter. Nachdem Ruß im März 2017 eine YPG-Fahne als Hintergrundbild auf sein Facebook-Profil geladen hatte, riss den Staatsschützern der Geduldsfaden.
Bewaffnete Spezialeinheiten stürmten seine WG und die Wohnung eines Freundes wegen Verstoßes gegen das Vereinsverbot. Ruß fanden sie nicht, der war gerade im Urlaub. Wie später den Cellisten König zeigte die Polizei auch den Aktivisten Ruß wegen der YPG-Fahne an.
Im Januar jedoch kassierte das Amtsgericht die Anzeige und lehnte es ab, Ruß zu bestrafen. Für die Münchner Staatsanwaltschaft war die Sache damit aber keineswegs erledigt; sie reichte Beschwerde ein gegen die Entscheidung, jetzt muss sich das Landgericht mit dem Fall befassen.
Schuld an der verworrenen Rechtslage ist eine schwammige Regelung des Bundesinnenministeriums. Einerseits gehört die YPG zur internationalen Koalition im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS), sie wird von den USA protegiert und unterstützte den Bundesnachrichtendienst. In diesem Sinne ist sie ein Verbündeter des Westens - und in Deutschland nicht verboten.
Andererseits wird ihr eine große Nähe zur PKK nachgesagt. Die Arbeiterpartei Kurdistans jedoch ist hierzulande verboten, die EU führt sie als terroristische Organisation. Die Konsequenz aus dieser Konstellation: YPG-Fahnen sind dann verboten, wenn sie stellvertretend für die PKK gezeigt werden, entschied das Bundesinnenministerium im März 2017. Doch wie beweist man das?
Den Schlamassel müssen nun König, Ruß und andere ausbaden. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, Ruß hätte sich explizit von der PKK distanzieren müssen, als er das Foto hochlud. "Hier trifft sich wohl das Interesse der türkischen Regierung, Oppositionelle zu verfolgen, mit dem des bayerischen Innenministeriums, linke Aktivisten zu drangsalieren", ärgert sich Ruß' Anwalt Mathes Breuer. "Es ist ein Unding, dass wegen ein paar Bildern auf Facebook Ermittlungsverfahren und sogar Hausdurchsuchungen durchgeführt werden."
Tatsächlich geht die Münchner Polizei derzeit verstärkt gegen YPG-Sympathisanten vor. Sie bestätigt Anzeigen gegen "etwa zehn Personen", weil sie wie König den BR-Artikel teilten oder wie Ruß anderweitig das Bild einer YPG-Fahne ins Internet stellten. Zehn Anzeigen in zwei Monaten sind erheblich: Im ganzen Jahr 2016 erwirkte die Polizei gerade mal drei solcher Anzeigen, allesamt wegen des Zeigens von IS-Flaggen.
Blieben die Staatsschützer ihrer neuen Linie treu, müssten demnächst wohl mehr als hundert neue Anzeigen folgen. Denn mehrere Medien berichteten über Königs Fall, auch die SZ. Etliche Nutzer teilten die Online-Version des Artikels, bei dem ebenfalls das Foto einer YPG-Fahne zu sehen war.
Muss der Münchner Staatsschutz nun zusätzliches Personal einstellen? "Mir sind derzeit keine weiteren Anzeigen bekannt", sagt ein Polizeisprecher. "Wir durchforsten das Internet nicht gezielt danach." Wie die Polizei auf das Profil des Cellisten gestoßen sei, wisse er allerdings nicht.
Der Münchner Polizei ist, das hört man heraus, der Rummel um Johannes König unangenehm. Sie beruft sich auf das Legalitätsprinzip, die Verpflichtung, Straftaten zu verfolgen, wenn man auf sie stößt - und schiebt die Verantwortung, in diesem Fall die gelbe YPG-Fahne, weiter an die Staatsanwaltschaft.
Die schiebt ihn wieder zurück mit dem Argument, man könne ja gar nicht anders, als Eingaben der Polizei gründlich zu bearbeiten. Keine Seite erweckt den Eindruck, sonderlich überzeugt zu sein von der Anzeige gegen König - zurückgezogen wurde sie aber nicht. Und im Fall Ruß kämpft die Staatsanwaltschaft verbissen weiter für eine Verurteilung.
Es wäre interessant zu erfahren, wie viele solcher Anzeigen im vergangenen Jahr bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sind und wie diese Fälle ausgingen, doch dazu schweigt die Behörde. Sie teilt mit, Angaben dazu seien "leider nicht möglich". Das Gesetz sieht eine Strafe von bis zu einem Jahr Haft vor, doch ob eine solche jemals verhängt worden ist, "können wir leider nicht rückwirkend überprüfen".
Am Ende bleibt die Ungewissheit, was tatsächlich verboten ist und was erlaubt. Das zeigen Beispiele aus dem rechten Spektrum: Während das Hakenkreuz verboten ist, ist das Tragen der Reichskriegsflagge nicht mal eine Ordnungswidrigkeit. Den Gebrauch der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" erlaubte der Bundesgerichtshof mit der Begründung, dass sie im Wortlaut nicht von der SS gebraucht worden sei.
"Welche Symbole und Abzeichen in welcher Verwendung verboten sind, kann weder abschließend noch exemplarisch benannt werden", teilt das bayerische Innenministerium mit. Die Staatsanwaltschaft aber wirft König und Ruß vor, sie hätten es besser wissen müssen.
Benjamin Ruß weigert sich, das Bild der YPG-Fahne von seinem Profil zu löschen. "Ich werde nicht im vorauseilenden Gehorsam alles tun, was der Staat und dessen Institutionen sagen", sagt er. "Wozu so was führen kann, sollten wir wissen." Zu einem ähnlichen Fall sprach nun das Landgericht Aachen ein Urteil: Das bloße Zeigen einer YPG-Fahne auf Facebook, entschied das Gericht am Donnerstag, sei nicht strafbar.