Youtube-Hit aus München:Goethes Faust in neun Minuten

Youtube-Hit aus München: Vom Flohmarkt direkt ins Rampenlicht: Michael Sommer holt kleine Figuren für seine Interpretationen von Theaterstücken auf die Bühne.

Vom Flohmarkt direkt ins Rampenlicht: Michael Sommer holt kleine Figuren für seine Interpretationen von Theaterstücken auf die Bühne.

(Foto: Catherina Hess)

Einmal pro Woche inszeniert Michael Sommer einen Klassiker der Weltliteratur auf Youtube - mit Playmobilfiguren. Und mehr als 500 000 Menschen schauen zu.

Von Florian J. Haamann

Das Ensemble von Michael Sommer umfasst mehr als 600 Schauspieler. Er ist Leiter des wohl größten Theaters der Welt. Mehr als 500 000 Menschen sehen zum Teil seine Stücke - und doch ist sein Erfolgsgarant nur winzig. 7,5 Zentimer groß, um genau zu sein. So groß sind seine Darsteller. Sein Zuschauerraum ist das Internet, die Bühne ein Tisch in seiner Pasinger Wohnung. Einmal pro Woche inszeniert Sommer, 42, dort höchst unterhaltsam einen Klassiker der Weltliteratur mit Playmobilfiguren. Die zehnminütigen Videos stellt er dann auf Youtube bereit, mittlerweile sind es weit mehr als 250. Und dort erfreuen sie sich riesiger Beliebtheit, mehr als sieben Millionen Aufrufe hat sein Kanal "Sommers Weltliteratur to go", absoluter Spitzenreiter ist Faust mit mehr als 500 000 Besuchen.

Wirft man einen Blick in die Kommentare unter den Videos wird schnell klar, bei welcher Zielgruppe Sommers Projekt am gefragtesten ist: den Schülern. "Witzig und informativ! Bock, mein Lehrer zu werden?", "Vielen Dank! Ich denke, du hast meine Klausur morgen gerettet", "echt gut, schreibe morgen Klausur und habe noch nichts getan", heißt es da beispielsweise. Einige berichten davon, dass ihre Lehrer die Videos empfehlen oder gleich im Unterricht zeigen. "Ich merke das auch an den Zugriffszahlen. Sonntagabend geht es los, da sieht man genau, was die Schüler über das Wochenende hätten lesen sollen. Freitags habe ich die wenigsten Besucher", sagt Sommer.

Für ihn sind die Videos ein zeitintensives Hobby. Bevor er ein Buch vorstellt, liest er es erst einmal komplett, selbst wenn er es schon kennt. "Alles andere wäre unredlich, mir geht es auch um Genauigkeit", sagt er. Danach plant er einen Arbeitstag ein: Skript schreiben, im Internet eine passende, kostenlose Kulisse suchen, Figuren wählen, drehen, schneiden. "Ich versuche das auf zwei Tage zu verteilen, Vormittags ist meine Äh-Dichte einfach geringer". Angefangen hat Sommer im Januar 2015, mittlerweile unterstützt der Reclam-Verlag das Projekt. Auch die Jury des Grimme-Online-Awards ist auf ihn aufmerksam geworden und hat ihn für den Publikumspreis nominiert, die Abstimmungsphase läuft gerade.

Entstanden ist die Idee allerdings schon 2013, damals war Sommer noch leitender Dramaturg am Theater Ulm. Auf dem Spielplan stand eine Inszenierung von "Dantons Tod". "Der Regisseur hatte beschlossen, die komplette Handlung zu streichen und nur noch die Protagonisten übrig zu lassen. Ich sollte dann die Einführung machen. Also habe ich mir Playmobil-Figuren aus dem Fundus geholt und den Besuchern damit die Geschichte erklärt", erzählt Sommer. Das Ganze wurde gefilmt und online gestellt. Es hat sich schnell gezeigt, das die Leute ein großes Interesse haben.

Das liegt wohl vor allem an der Art, wie Sommer die Klassiker präsentiert. Egal ob Woyzeck oder Harry Potter, er fasst die Handlung knapp zusammen, spitzt sie zu, findet eine moderne Sprache, schafft eingängige Bilder, lässt seine eigene Interpretation durchblicken. Dazu kommen seine angenehme Erzählstimme und natürlich die vielen kleinen Figuren, die er oft slapstick-artig miteinander interagieren lässt.

"Mir geht es nicht darum, eine Lektüre zu ersetzen"

"Mir geht es nicht darum, eine Lektüre zu ersetzen. Vielmehr will ich unterhalten und damit die Lust auf Literatur wecken", sagt Sommer und begegnet damit auch den vereinzelten Kritikern, die ihm vorwerfen, mit den Videos dazu beizutragen, dass Schüler keine Bücher mehr lesen. "Das gibt es doch schon immer. Und wenn jemand die Geschichte nicht selbst liest, dann versteht er sich auch nicht ganz. Deswegen wundere ich mich immer, wenn man nur mein Video schaut und dann trotzdem eine gute Note bekommt."

Sommer selbst jedenfalls liebt die Literatur und das Theater. Als Schüler wollte er unbedingt Schauspieler werden, sprach an vier Schauspielschulen vor. "Die haben mich aber nicht genommen und das war wahrscheinlich auch richtig." Also hat er Literatur studiert. Erst in Freiburg, dann in Oxford. Von dort ging es doch noch ans Theater. Nicht als Schauspieler, sondern als Regieassistent, Regisseur und schließlich Dramaturg. Elf Jahre lang blieb er in Ulm, bevor er als freier Dramaturg nach München zog. Das Spiel mit besonderen Formen begleitet seinen Weg seit Anfang an. In Ulm hat er ein Live-Streaming-Format eingeführt, später ein partizipatives Projekt mit Menschen mit und ohne Behinderung ins Leben gerufen und ein Stück mitentwickelt, das in Athen, London und München gleichzeitig aufgeführt würde - über Skype.

Heute tourt er noch mit einem kleinen Projekt eines Biberacher Theaters, in dem auch seine Figuren mitspielen, und ist Lehrer an einer Schule für Pädagogen. Die Youtube-Videos sind ein reines Hobby, das Geld, das er damit einnimmt, ist überschaubar. Im Januar hat er über eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich für neue Ausrüstung gesammelt. "Ich bin froh und dankbar, dass das geklappt hat. Ich war zwar zuversichtlich, weil ich knapp 60 000 Abonnenten habe, aber ich habe das auch schon einmal am Theater versucht und da sind wir gescheitert", sagt Sommer.

In den vergangenen Jahren hat sich Sommer freilich auch zu einem dem führenden Kenner von Playmobil-Figuren entwickelt. Zumal es oft gar nicht so einfach ist, die passenden Charaktere zu finden. "Bürgerliche Figuren aus dem 18. Jahrhundert gibt es in der Playmobil-Welt einfach nicht all zu viele", sagt er. Deswegen muss er immer wieder auf Tricks zurückgreifen. "Die Piraten haben glücklichweise meistens zumindest die Andeutung eines historischen Kostüms", sagt er. Ein Glücksfall sei auch eine Aktion des Amsterdamer Rijksmuseums gewesen. Das hat gemeinsam mit der Firma Playmobil Figuren zu vier seiner Gemälde gemacht: Rembrandts Nachtwache, dessen Porträts von Oopjen Coppit und Marten Soolmans sowie der Dienstmagd von Jan Vermeer. Ansonsten ist Somer auf allen großen Sammlerbörsen und bei Ebay unterwegs. Manchmal, erzählt er, bekommt er auch Figuren von Fans geschickt. "Ich empfinde das als große Ehre."

Und dann gibt es da noch einen der wenigen offiziellen Playmobil-Stores in Deutschland, direkt in einem Einkaufszentrum vor seiner Haustür. "Ich glaube einfach, das ist alles Fügung."

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