Literaturpreis der deutschen Wirtschaft 2025Castingshow ganz ohne Bashing

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Überzeugte die Jury mit seinem Langgedicht „Frieden ohne Krieg“: Yevgeniy Breyger ist der Gewinner des Literaturpreises der deutschen Wirtschaft 2025.
Überzeugte die Jury mit seinem Langgedicht „Frieden ohne Krieg“: Yevgeniy Breyger ist der Gewinner des Literaturpreises der deutschen Wirtschaft 2025. (Foto: Leander Rambichler-Praxmarer)

Wer heute mit seinen Texten erfolgreich sein will, muss sie auch überzeugend performen. Das öffentliche Wettlesen zum Literaturpreis der deutschen Wirtschaft an den Münchner Kammerspielen wird zum Ereignis.

Von Jutta Czeguhn

Freitagabend in den Münchner Kammerspielen. Yevgeniy Breyger und Hengameh Yaghoobifarah stehen im Foyer. Sieht sehr nach entspanntem Austausch zweier Literaten aus. Dann ruft der Theatergong in den Saal, die beiden nehmen in der ersten Reihe Platz. Dort sitzt bereits Elias Hirschl, der Dritte auf der Shortlist für den Literaturpreis des Literaturkreises der deutschen Wirtschaft 2025 und Konkurrent um 20 000 Euro Preisgeld. Ein dicker Batzen Geld für alle, die vom Schreiben leben wollen.

Die Auszeichnung ist eine mit langer Tradition im deutschsprachigen Literaturbetrieb. In die Ahnengalerie der Preisträger seit 1953 würde sich wohl jeder gerne einreihen: Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Günter Grass, Nelly Sachs. 2024 war es Dana Vowinckel, die mit ihrem Buch „Gewässer im Ziplock“ gewonnen hat.  Zum ersten Mal hatte da die Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel ihr Haus für die Wettbewerbslesung geöffnet. Eine Castingshow für junge Autoren ohne eitles Text-Bashing à la Klagenfurt, denn die Jury wird erst tags darauf im stillen Kämmerlein den Sieger ermitteln.

Die Kammerspielreihen sind nur halbgefüllt, vielleicht muss sich das Format – Moderation: Miriam Zeh – erst noch herumsprechen, das eher an den Berliner Lesewettbewerb Open Mike erinnert als an das Klagenfurter-Schaulesen. In jedem Fall aber sind Breyger, Hirschl und Yaghoobifarah großartige Performer ihrer Texte. Zudem bekommen sie noch glänzende Unterstützung aus dem Kammerspielensemble.

So hat Yevgeniy Breyger Schauspielerin Katharina Bach zur Seite, als Auszüge aus seinem Langgedicht „Frieden ohne Krieg“ zu hören sind. Der Lyriker, geboren 1989 in Charkiw in der Ukraine und als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling 1999 mit seiner Familie nach Deutschland übergesiedelt, tritt mit diesem Text aus der Sprachlosigkeit über Putins Angriffskrieg heraus. Journalartig verknappt, sezierend, bitter, berührend. Man kann sich ihm nicht entziehen.

Hengameh Yaghoobifarah wurde bekannt durch die Kolumne „Habibitus“ in der taz und Artikel für das feministische Missy Magazin. Yaghoobifarah erster Roman „Ministerium der Träume“ war ein Bestseller, jetzt ist „Schwindel“ erschienen.
Hengameh Yaghoobifarah wurde bekannt durch die Kolumne „Habibitus“ in der taz und Artikel für das feministische Missy Magazin. Yaghoobifarah erster Roman „Ministerium der Träume“ war ein Bestseller, jetzt ist „Schwindel“ erschienen. (Foto: Lior Neumeister)

Ein fluides Sprachexperiment ist Hengameh Yaghoobifarahs Roman „Schwindel“, es geht um queere Identität und um Begehren. Yaghoobifarah, 34, definiert sich als nonbinäre Person.  Yaghoobifarah performt mit den Ensemble-Mitgliedern Maren Solty, Annika Neugart, Konstantin Schumann und Stefan Merki eine Art Kammerspiel. Protagonistin Ava und ihre drei Affären haben sich ausgesperrt, harren nun auf dem Dach eines Hauses aus, es entwickelt sich ein skurriler Streit, in dem es nur vordergründig um Sandwiches geht. Hohe Dialogkunst ist das und natürlich hat „Schwindel“ längst seinen Weg auf eine Theaterbühne gefunden (Dortmund).

Mit „Salonfähig“ (2021) hat Elias Hirschl eine hinreißende Satire auf den Menschentypus der Ära Sebastian Kurz geschrieben, gnadenlos komischer Horror ist auch sein aktueller Roman „Content“.
Mit „Salonfähig“ (2021) hat Elias Hirschl eine hinreißende Satire auf den Menschentypus der Ära Sebastian Kurz geschrieben, gnadenlos komischer Horror ist auch sein aktueller Roman „Content“. (Foto: Petra Weixelbraun/Zsolnay)

Der Wiener Elias Hirschl, 31, hat schon Texte für Theaterstücke verfasst, er ist Musiker, Spoken-Word-Künstler, Essayist und Romanautor. 2022 gewann er Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb. Sein hochkomischer Roman „Content“ dreht sich um moderne Arbeitswelten, Firmen, in denen Digitalschrott produziert wird, abstruse Clickbait-Listen. Eine apokalyptische, psychedelische Welt, unterworfen dem Totalitarismus der Algorithmen, die, so befürchtet nicht nur Hirschl, längst Realität ist. In den Kammerspielen lachen sie Tränen.

Herausragend sind alle drei Kandidaten, weshalb der Jury, so erfährt man am nächsten Tag, die Entscheidung nicht leicht gefallen sei. Der Gewinner heißt Yevgeniy Breyger.

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