Wort und Bild:Die Lage im Blick

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Herbert Becke kombiniert Zitate Karl Valentins mit Fotos und öffnet der philosophischen Komik neue Assoziationsräume. Um die Zeit bis zur Bucherscheinung zu überbrücken, sind die Ergebnisse schon jetzt im Internet zu sehen

Von Oliver Hochkeppel

Herbert Becke ist der lebende Beweis für die These, dass das Milieu prägend ist. Der 70-Jährige ist im Harthof aufgewachsen, damals wie heute kein Vorzeigeviertel Münchens. Man darf vermuten, dass Becke von dort nicht nur seinen Dialekt her hat, sondern auch ein Gutteil seines ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, seines pragmatischen Tatendrangs, aber auch seines von der 68er-Bewegung befeuerten und von einer gewissen Sturheit verstärkten, mitunter provokativen Widerstandsgeistes. Und nicht zuletzt seinen Humor.

Früh entdeckte er Karl Valentin für und in sich. Schon mit 15 gründete er - nachdem er ein "Seminar für Ausdrucksschulung" des Jugendkulturwerks der Stadt besucht hatte - die "Valentinadenbühne", eine Theatergruppe mit zehn Jugendlichen, die Valentin-Karlstadt-Sketche aufführte. So demokratisch die Gruppe sonst arbeitete, den von ihm so verehrten Karl Valentin spielte Becke immer selbst. Und das immerhin gut fünf Jahre lang, bei Auftritten in Münchner Freizeitheimen, Altersheimen, Wirtshäusern, aber auch im Turmstüberl des Valentin-Karlstadt-Musäums oder im Deutschen Theater.

Dieser frühen Liebe ist Becke bis heute treu geblieben. Stets suchte und hielt er den Kontakt zu anderen Valentin-Fans und -forschern wie auch zum Nachlassverwalter, dem Anwalt Gunter Fette. Seit sechs Jahren ist er Vorstand der "Saubande", dem Verein zur Förderung der Münchner Volkssängerkultur und des Valentin-Karlstadt-Musäums. Und auch für sein neuestes Projekt fand Becke die Inspiration bei dem multiplen Unikum Karl Valentin, dem Volkssänger, Schriftsteller und Philosophen, dem Filmemacher, Schauspieler und Regisseur wie auch dem Sammler, Bastler und Erfinder. Unter dem Titel "Bilder-Sprache" hat er Texte und Sprüche Karl Valentins mit seinen Fotografien kombiniert.

Becke konnte da selbst einige seiner Vorlieben und Talente bündeln, die ihn fast ebenso lange beschäftigen wie seine Verehrung für das Münchner Original. Nach der Ausbildung zum Sozialpädagogen und einem Ausflug in die Lokalpolitik hatte Becke 1976 seinen ersten Job angetreten - der sein einziger bleiben sollte: 33 Jahre lang leitete er die von vier Kommunen getragene "Volkshochschule im Norden des Landkreises München" und machte aus einem kleinen Projekt weitsichtiger Bürgermeister die zweitgrößte Erwachsenenbildungseinrichtung in Oberbayern.

Abgesehen vom Organisatorischen setzte Becke an seiner VHS drei persönliche Schwerpunkte: Er ließ stets den gesellschaftlichen Diskurs aufgreifen und mischte sich ein; als begeisterter Fotograf pflegte er dieses Fach als Dozent selbst; und er veranstaltete, als dies abseits von ein paar Bühnen in den Städten noch nirgends üblich war, Kabarettabende. Der acht Mal im Jahr veranstaltete sogenannte "Kulturdonnerstag" im Garchinger Bürgerhaus war 22 Jahre lang am Stück ausverkauft - bei 740 Plätzen. Zusammengefasst ein Engagement, das Becke den Tassilo Kulturpreis der SZ und das Bundesverdienstkreuz einbrachte.

Jetzt also geht es nicht nur zurück zu Karl Valentin, sondern auch wieder zur Fotografie und seinem eigenen Humor. "Betrachter von Fotos sagen ja oft: 'Das Bild sagt mir nichts' oder 'Das Foto spricht mich nicht an'", erklärt Becke, "aber wenn Bilder sprechen könnten, was würden sie uns sagen? Das ist der Grundgedanke." Er durchforstete sein Fotoarchiv nach "valentinesken" Bildern und suchte zusammen mit Gunter Fette passende Sprüche und Texte Karl Valentins dazu aus, mit der zehnbändigen Valentin-Gesamtausgabe als Quelle. Darunter sind nun einige der bekanntesten Sprüche, aber auch völlig unbekannte und bisher kaum veröffentlichte skurril philosophische Texte. 400 Fotos kamen in die engere Wahl, 111 Wort-Bild-Paare sind am Schluss übrig geblieben, mit teilweise über 40 Jahre alten analogen Schwarz-Weiß-Negativen bis zu ganz aktuellen und noch nicht veröffentlichten Bildern.

Zu einigen Valentin-Zitaten hat Becke außerdem neue Fotos mit speziellen Perspektiven geschossen. Denn mit dem "Perspektivwechsel", besonders zur Perspektive von ganz unten, also der echten Froschperspektive, hat sich Becke zuletzt ausführlich befasst, die Kalender und Bücher "Münchner U-Bahnhöfe 'von unten gesehen'" und "München bodenständig" sind dabei herausgekommen. Wer will, kann auch dabei natürlich an Beckes Milieu-Prägung denken. Da sieht man dann zum Beispiel zu Valentins rigide alle Verkehrsteilnehmer voneinander trennender "Verkehrsordnung für die Stadt" aus der Sicht des Straßenpflasters einen einsamen Radler vorüberziehen. Oder bei Valentins Spruch zum NS-Rassenwahn "Bald hätten's noch wissen woll'n, ob der Kanarienvogel auch eine reine Abstammung gehabt hat" zwei goldene "Stolpersteine".

Zu einer Ausstellung und zu einem Buch soll auch die valentineske Bilder-Sprache werden, geplant ist bislang, dass der Volk Verlag das Werk im Sommer herausbringt. Weil aber im Moment natürlich alles unsicher und auch das "Valentin-Karlstadt-Musäum" bis auf weiteres geschlossen ist, deshalb Valentin-Fans leicht Entzugserscheinungen bekommen könnten, taucht die Sache jetzt schon mal vorab im Internet auf: Auf der Website der "Saubande" ( www.Saubande.com) wird jeden Tag um 11.01 Uhr (die Zeit, an dem das Musäum üblicherweise öffnet) ein Foto mit entsprechendem Valentin-Spruch veröffentlicht. Ein paar sind schon online.

© SZ vom 07.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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