Süddeutsche Zeitung

Zwischen Bad Tölz und Wolfratshausen:Frischer Lesestoff aus dem Kühlschrank

Im Landkreis gibt es immer mehr "offene Bibliotheken". Das kostenlose Tauschen von Büchern an frei zugänglichen Plätzen spart Geld und Ressourcen - und verspricht Überraschungen.

Von Silver Lucia Breitkopf und Stephanie Schwaderer

Der Bestseller, der doppelt daheim im Bücherregal steht, der Thriller, den man nie zu Ende gelesen hat oder der Reiseführer vom vorletzten Urlaub: Sie alle sind zu schade für die Papiertonne - und ideale Kandidaten für einen öffentlichen Bücherschrank. Auch im Landkreis gibt es immer mehr solcher offener Umschlagplätze für Lesestoff, an denen sich Bücherfreunde gratis bedienen dürfen. Die Wolfratshauser SZ hat sich in vier Gemeinden umgeschaut.

Deining

In diesem Kühlregal, das im Deininger Bushäuschen steht, ist für jeden Geschmack etwas dabei. Zwar findet man keine belegten Brötchen und keinen frischen Salat, dafür aber Klassiker wie "Der Medicus" von Noah Gordon sowie Koch- und Kinderbücher. Die "Wilden Hühner" gibt es gleich doppelt, und wer Probleme mit Windows 10 hat, könnte den passenden Ratgeber aus dem Regal ziehen. Die Idee zum Bücher-Kühlschrank hatte Brigitte Unterholzner. Die Gemeinderätin suchte einen Ort für ihre vielen ausgelesenen Bücher. Gemeinsam mit Hans Spindler entfernte sie deshalb den Motor aus einem Kühlregal, das die Deininger Bäckerei Köglsperger gerade ausrangiert hatte, zimmerte ein paar Bretter hinein - und fertig war der Bücherschrank. An der Haltestelle "Gasthaus zur Post" dürfte die Wartezeit für Pendler nun schnell vergehen.

Den ersten Krimi hat Spindler ins Kühlregal gestellt: "So wahr mir Gott helfe" von John Lescroart. Er steht noch immer dort. Grundsätzlich gibt es nach Auskunft der beiden Gemeinderäte aber einen regen Bücherwechsel. Besonders Heimatkrimis seien heiß begehrt und schnell vergriffen. Der originelle Bücherschrank hat noch einen weiteren Vorteil. Unterholzner und Spindler planen, ihn wieder an die Stromleitung anzuschließen. Die Innenbeleuchtung funktioniert noch. Auch wenn die Tage wieder kürzer werden, stünde dem Lesen im Deininger Bushäuschen dann nichts mehr im Weg.

Icking

Über das skurrilste Buch, das sie jemals in ihrem Bücherschrank vor dem Ickinger Rathaus gefunden hat, möchte Traudl Bergau lieber nicht sprechen. Das sei ihr ein bisschen peinlich, sagt sie. Dagegen erzählt sie begeistert davon, wie ihre Idee für den kleinen Literatur-Tauschplatz vor einigen Jahren Wirklichkeit wurde. Der Gemeinderat sei zunächst skeptisch gewesen und habe gegen die Aufstellung eines Bücherschranks vor dem Rathaus votiert. Anni Baumgartner jedoch, die Inhaberin des Schreibwarengeschäfts und des Feinkostladens am Rathausplatz, sei für sie in die Bresche gesprungen. Baumgartner pachtete den Grund, auf dem der Schrank stehen sollte. Damit war das Problem, wer die Haftung im Zweifelsfall übernehmen sollte, gelöst. 2014 wurde der Ickinger Bücherschrank eingeweiht. Traudl Bergau hatte das edle Stück eigens von einem Schlosser anfertigen lassen. Die Mäzenin spendete auch die ersten Bücher. Inzwischen habe sie wohl Hunderte beigesteuert, sagt sie. Und obwohl sie mittlerweile von Irschenhausen nach Schwabing umgezogen ist, bleibt sie ihrem Projekt treu. Ausrangierte Bücher stellt sie in den Ickinger Bücherschrank und in keinen anderen.

Königsdorf

Solschenizyn Seite an Seite mit Amelie Fried, Winnetou II neben einem Schocker von Steven King: Im Königsdorfer Bücherhäuschen lernt man, Berührungsängste abzubauen. Zwei erwachsene Menschen finden gerade Platz in dem kleinen Gartenhäuschen, das sich hinterm Rathaus an die Garagen schmiegt. Mehr als tausend Titel warten derzeit darauf, wiederentdeckt zu werden. Seit zwei Jahren gibt es die 24-Stunden-Bibliothek, das Interesse ist groß. Schwarze Metallregale biegen sich unter den Bücherspenden, die teilweise in Dreierreihen stehen. "Ab und zu trifft uns auch der Schlag", sagt Viviane Zenau, die das Projekt zusammen mit Marlies Woisetschläger auf den Weg gebracht hat. Manche Leute missbrauchten den Bücherschrank als "Büchersarg". Immer wieder sei der Boden mit Bananenkisten voller Bücher vollgestellt, die offensichtlich "zur letzten Ruhe gebettet" worden seien.

Deshalb hat sie in der jüngsten Ausgabe des Gemeindeblatts einen eindringlichen Appell verfasst: "Die aktuellen Schurmuster für Walisische Bergschafe aus dem Jahr 1952" gehörten ebenso wenig in die offene Bibliothek wie die "Leibesertüchtigungsübungen für Knaben beim Skilaufen von 1967". Grundsätzlich funktioniere das System aber sehr gut, sagt Zenau. Es gebe eine starke Fluktuation, auch bei den englischsprachigen Büchern, denen ein eigenes Regal gewidmet ist.

Begehrt seien Belletristik und Reiseführer - im Gegensatz zu Kochbüchern und Bildbänden. Die sortiert sie gemeinsam mit Woisetschläger regelmäßig aus. Landen diese Bücher schließlich doch in der Tonne? "Nein", sagt Zenau, "Bücher schmeißt man nicht weg." Der Großteil ginge an den Lions Club, der zweimal im Jahr einen großen Flohmarkt in Bad Tölz organisiere; dort seien dann auch Kochbücher und Bildbände gefragt. Manchmal nimmt sie sich auch gezielt einzelner Bücherschicksale an. Einen alten Band über Heiratsbräuche im Elsass etwa, der im Bücherhäuschen gelandet war, hat sie einem kleinen Museum in der Rheinebene vermacht. "Die haben sich gefreut."

Münsing

Die Inspiration zu ihrer "Büchertauschecke" bekam Cäcilia Kohn in Kanada und Neuseeland. Dort stünden an vielen Straßenecken und Bushaltestellen Bücherschränke, an denen sich die Leute bedienen könnten, erzählt die ausgebildete Sängerin. Diese Idee wollte sie auch in ihr Café "Freiraum" integrieren. Gemeinsam mit der "Agenda Kultur" in Münsing stellte sie zur Eröffnung des Cafés 2013 zwei Bücherregale auf, hängte ein Schreiben dazu, das zum Büchertausch anregen sollte, und steuerte selbst ein paar erste Exemplare bei. "Das Regal hat sich schnell gefüllt", erzählt sie. Die Menschen seien froh, einen Ort für ihre Bücher zu wissen, die zwar ausgelesen, aber dennoch zu schade zum wegschmeißen seien.

Von Lehrbüchern über Atlanten bis hin zu Fantasybüchern und Krimis ist im "Freiraum" alles vertreten. Leider ab und zu auch kaputte Bücher oder private Dokumente. Das Fotoalbum einer Segelcrew sei wohl versehentlich in der Büchertauschecke gelandet, sagt Kohn. Hin und wieder müsse sie deshalb aussortieren - auch deshalb, weil mehr Bücher gespendet als herausgenommen würden.

Wer also noch nach einem spannenden Roman für den Urlaub sucht, kann es sich im "Freiraum" bei Kaffee und Kuchen gemütlich machen und genussvoll stöbern und schmökern.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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