Zweiter Weltkrieg:2078 Bomben in 20 Minuten

Die Blindgänger in Geretsried stammen aus einem Angriff der US-Armee.

Von Felicitas Amler

Eine Stadt, die überwiegend auf NS-Rüstungsbunkern aufgebaut wurde, ist sich der Gefahren immer bewusst: In Geretsried lebt man mit Altlasten aus der Munitionsherstellung; das zeigt sich regelmäßig beim Erstellen von Bebauungsplänen, wenn das Landratsamt auf die sogenannten Rüstungsverdachtsflächen hinweist. Quecksilber, Blei, Sprengstoffreste wurden bei Untersuchungen Anfang der Neunzigerjahre etwa im Wald nahe dem Schulzentrum entdeckt. Auch Bombenfunde sind in Geretsried keine absolute Seltenheit. Zuletzt musste am 17. Oktober 2013 das Gebiet rund um den Fasanenweg im Stadtteil Gartenberg geräumt werden, weil dort ein 75 Kilogramm schwerer Blindgänger aufgetaucht war. Die Bombe US-amerikanischer Bauart war morgens auf einer Baustelle gefunden worden.

Die US-Armee flog gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, am 9. April 1945, einen Angriff auf das NS-Rüstungswerk der Dynamit Aktien Gesellschaft (DAG) im heutigen Gartenberg. Nach den Recherchen von Martin Walter, der für den Arbeitskreis Historisches Geretsried das in diesem März erschienene "Geretsrieder Heft" erarbeitet hat, waren es 76 amerikanische Flugzeuge und Jagd-Geleitschutz, die 2078 Bomben abwarfen. Zerstört wurden das Wachslager, die Lehrlingswerkstatt und das Packmittellager.

Der Einschlag im unterirdischen Wachslager habe zu einer sehr starken Rauchentwicklung geführt, erklärt Arbeitskreis-Mitglied Martin Bruckner: Entweder hätten die Amerikaner das für ein Zeichen eines Riesentreffers gehalten und seien deshalb abgezogen, oder sie hätten wegen des Rauchs ohnehin nichts mehr gesehen. Wachs diente der sogenannten Phlegmatisierung von Sprengstoff, denn damit wird die Empfindlichkeit gegen Schläge und Reibung herabgesetzt. Das Lager brannte vollständig aus, einige Leitungen waren zerstört, so ist es in der Chronik "Geretsried: Eine Doppelschwaige wird Stadt" nachzulesen. Der Angriff habe maximal 20 Minuten gedauert, sagt Bruckner.

Der Geretsrieder Rüstungsbetrieb habe, obwohl er einer der größten gewesen sei, auf der Prioritätenliste der US-Army relativ weit unten gestanden, weil vieles dort noch im Rohbau gewesen sei, erklärt Bruckner. Die Nazis hatten 1938 mit dem Bau im geschützten Föhren- und Kiefernwald begonnen. Im Norden Geretsrieds wurde die "Fabrik zur Verwertung chemischer Stoffe" errichtet, ein Betrieb zur Erzeugung von Sprengstoffen; im Süden ein Abfüllwerk für Munition und Minen der Deutschen Sprengchemie (DSC). Welche Dimensionen die Rüstungswerke erreichten, beschreibt Gerhard Aumüller, Co-Autor des aktuellen "Geretsrieder Hefts": 30 Kilometer Gleisanlagen wurden gebaut, 80 Kilometer Versorgungsleitungen sowie Unterkünfte für bis zu 8000 Arbeiter. Gigantisch waren auch die Kosten für die beiden Geretsrieder Munitionsfabriken: 182,9 Millionen Reichsmark.

Geretsrieder Hefte: "Zwei Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst", zehn Euro, im Rathaus erhältlich, außerdem in der Buchhandlung Ulbrich, im Stadtmuseum und im Geltinger Bürgerladen

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