Zwei Aufführungen an einem Wochenende:Konfrontation mit dem Tod

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Ein eindrucksvolles Hörerlebnis, das lange nachwirkte, boten der KlangKunst-Chor, das Bachorchester Iffeldorf sowie die Solisten Judtih Spießer und Klaus Mertens unter dem Dirigat von Andrea Fessmann in der kalten Basilika der Klosters Benediktbeuern. (Foto: Manfred Neubauer)

Dem KlangKunst-Chor und dem Bachorchester Iffeldorf unter Andrea Fessmann gelingt in der Benediktbeurer Basilika eine fesselnde Aufführung des "Deutschen Requiem" von Brahms

Von Klaus-peter Volkmann, Benediktbeuern

Wenn es in der Geschichte berühmter Werke der Chormusik eine Besonderheit gibt, dann ist es das in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Johannes Brahms komponierte "Deutsche Requiem". Dem Werk liegt nicht der liturgische Text der kirchlichen Totenmesse zugrunde, vielmehr handelt es sich um eine frei gestaltete Trauer-Kantate mit geistlichen Texten aus der Bibel, die sich mit dem Tod und der tröstenden Hoffnung auf einen ewigen Frieden befassen. Am Wochenende führte der KlangKunst-Chor Iffeldorf unter der Leitung von Andrea Fessmann das berühmte Musikstück gleich zwei Mal auf eindrucksvolle Weise auf: am Samstag in der Basilika des Klosters Benediktbeuern und tags darauf im Gemeindezentrum Iffeldorf.

Mit knapp 30 Jahren hatte Brahms im Jahr 1861 begonnen, solche Texte aus der Bibel zusammenzustellen. Offenkundig hat ihn das Thema sehr bewegt, nicht zuletzt angesichts des Todes seiner Mutter sowie seines Freundes und Förderers Robert Schumann. Vertont hat er die Texte dann erst im Verlauf mehrerer Jahre. Das Ergebnis dieser Arbeit verhalf dem jungen, bis dahin noch wenig anerkannten Komponisten zum Durchbruch. So räumte der einflussreiche Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick seinem "Deutschen Requiem" den gleichen Rang ein wie Bachs "h-moll-Messe" und Beethovens "Missa solemnis".

Das Requiem liegt Andrea Fessmann, Leiterin der KlangKunst-Chores, schon lange besonders am Herzen. So überrascht es nicht, dass sie es selbst einstudieren und sich mit ihrem Chor erstmals den Herausforderungen dieses musikalischen Monuments der Romantik stellen wollte. Dazu musste zunächst der Chor deutlich vergrößert werden - immerhin etwa 90 Mitwirkende konnte sie für das Projekt gewinnen. Dann bedurfte das kleine Iffeldorfer Bach-Orchester der Erweiterung zu einem vollen Sinfonieorchester. Und für die Solopartien waren geeignete Solisten zu gewinnen. So wurden mit Judith Spießer (Sopran) und Klaus Mertens (Bariton) namhafte Künstler verpflichtet.

Die Beschäftigung mit dem "Deutschen Requiem" ist für Aufführende und Zuhörer gleichermaßen eine persönliche, heftig-emotionale Konfrontation mit dem Tod und der Frage nach dem Danach. Wie ein roter Faden durchziehen das Werk in den vertonten Bibel-Zitaten Gedanken an die Vergänglichkeit, an Trauer und Ängste, bis hin zum Trost - in der Hoffnung auf die Überwindung des Todes in einem ewigen Frieden. Den dabei aufscheinenden Spannungsfeldern hat Brahms mit seiner Musik eine ungeheure Eindringlichkeit verliehen, die es bei der Einstudierung zu erspüren und in jeder Aufführung dieser tiefgründigen Komposition zu vermitteln gilt. Dabei wird der Ablauf durchgängig von Chorsätzen bestimmt, in wenigen Passagen ergänzt um Beiträge durch die Gesangssolisten. Das groß besetzte Orchester begleitet nicht bloß, es steht als gleichrangiger Partner musikalisch eigenständig daneben.

"Selig sind, die da Leid tragen" - wie aus dem Nichts erreichen die ersten Töne den Zuhörer. Die Entwicklung des Spannungsbogens verlängerte Andrea Fessmann in den Beginn des zweiten Teils hinein. Mit einem extrem langsamen Tempo und ohne die Schritte der von Brahms notierten Vorgabe "marschmäßig" zu betonen, deutete sie das konsequente Voranschreiten um in eine tastend suchende Meditation - den Texten folgend, die sich mit der Vergänglichkeit allen Lebens befassen. Erst mit der Entwicklung hin zum kraftvollen "Des Herren Wort" hatte das Suchen ein Ende. Die Musik gewann schlagartig an Profil, die dynamischen Wechsel zwischen "Freude und Wonne" einerseits und "Schmerz und Seufzen" andererseits brachten die Zerrissenheit der Empfindungen unmittelbar zum Ausdruck - und der weitere Verlauf war damit vorgezeichnet.

Die Höhepunkte der Leistung, die der Chor erbrachte, ergaben sich gleich an mehreren Stellen. So gelangen im vierten Teil ("Wie lieblich sind deine Wohnungen") runde, ausgewogene Harmonien und blitzsaubere Einsätze in allen Stimmlagen. Mit der gleichen Qualität war auch der hoch dramatische sechste Teil zu hören. Vor allem die Steigerung hin zur "letzten Posaune" und zur Überwindung des Todes in "Hölle, wo ist dein Stachel", schließlich die große und kraftvolle Schlussfuge dieses Teils und am Ende die Rückführung in die Balance und den ruhigen Fluss des "Selig sind die Toten" wurden zu einem höchst eindrucksvollen Hörerlebnis.

Zu einem Ereignis wurden auch die Beiträge der Solisten. Klaus Mertens und Judith Spießer glänzten mit vollem Ton, einem strahlend-klaren Timbre und perfekter Artikulation. Das Orchester wahrte mit einer soliden Leistung, rhythmischer Stabilität und Aufmerksamkeit die in einem Kirchenraum stets schwierige Balance im Zusammenwirken mit dem Chor und den Solisten.

Nicht zuletzt ist das großartige Gelingen der Aufführung aber auch ein Ergebnis von Andrea Fessmanns inspirierender Ausdruckskraft, die sie beim Dirigieren mit einer klaren Taktgebung zu verbinden weiß. Dass das Werk seine Zuhörer innerlich erreichte, bewies die lange andauernde Stille nach dem Verklingen des letzten Tons - und der nachfolgende anhaltende Beifall in der ausverkauften Basilika.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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