Süddeutsche Zeitung

Ziel für Wanderer, Mountainbiker und Tiroler Bauern:Ein letzter Sommer im Forsthaus Aquila

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Nach 13 Jahren haben Claudia und Sepp Bichlmair die Pacht für die Jausenstation im Tiroler Bächental gekündigt. Das Lenggrieser Paar führt den beliebten Ausflugsort nur noch bis Kirchweih weiter und freut sich auf mehr Ruhe

Von Benjamin Engel, Lenggries/Eben am Achensee

Mobiltelefone funktionieren im Forsthaus Aquila nicht. Die Jausenstation steht auf einer kleinen Lichtung im Wald, etwa neun Kilometer südlich von Fall am Sylvensteinspeicher. Lediglich über eine Satellitenverbindung ist das Pächterpaar telefonisch zu erreichen. Und der Strom für das Gebäude stammt aus einem hauseigenen Wasserkraftwerk. Damit dürfte die Immobilie der österreichischen Bundesforste zu den abgeschiedensten Plätzen in der Region zählen. Das Gebiet ist nur von Bayern aus über eine für den öffentlichen Verkehr gesperrte Straße mit dem Auto zu erreichen.

Genau deshalb hatten die Lenggrieser Claudia und Sepp Bichlmair vor 13 Jahren das frühere Forsthaus gepachtet. Damals stand das Gebäude im österreichischen Tirol wenige hundert Meter nahe der bayerischen Grenze leer. Doch jetzt hat das Paar einen Schlussstrich gezogen und den Pachtvertrag im Frühjahr gekündigt. Nur noch bis zum Ende der Wandersaison im Oktober an Kirchweih bewirten sie dort Gäste. "Es werden immer mehr Tage, wo wir an unsere Grenzen stoßen", begründet Claudia Bichlmair die Entscheidung. Schuld daran ist ausgerechnet, dass die Jausenstation so beliebt ist. Das hat vor allem der Boom des Mountainbike-Fahrens in den Bergen bewirkt. Dank elektronisch unterstützter Modelle sind die Reichweiten für Touren sehr viel größer geworden. Damit schaffen es nun immer mehr Gäste auf der geteerten, nur mit Genehmigung für Autos geöffneten, schmalen Asphaltstraße umso leichter zum Forsthaus Aquila. "Wir haben das mehr als 13 Jahre gemacht", sagt die 49-jährige Wirtin. "Jetzt haben wir gesagt, irgendwann ist es einmal gut." Ihr Mann arbeitet für die Straßenmeisterei und wird bald 60 Jahre alt.

Dies hat das Paar bewogen, sich zu verändern. Bichlmair schildert, dass sie und ihr Mann sich darauf freuen, im nächsten Jahr einfach einmal im Sommer auch Urlaub machen zu können. Und ihr Mann sei bei den Gebirgsschützen aktiv. Seit sie die Jausenstation führten, habe er keine Zeit mehr gehabt, mit den anderen Mitgliedern zu Fronleichnam auszurücken. Zu Geburtstagsfeiern zu gehen, sei wegen der Übernachtungsgäste schwierig. 15 Betten gibt es im Forsthaus Aquila, die das Wirtepaar an Gruppen von mindestens zehn Personen vermietet. Vermissen wird Bichlmair allerdings die vielen Stammgäste. Denn im Sommer hat sich das Forsthaus Aquila zum beliebten Ausflugsziel in der Region entwickelt. "Viele Freundschaften sind so entstanden", erzählt die Gastwirtin. Zum Einkehren seien auch die Tiroler Bauern gerne gekommen, welche die Almen im Bächental bewirtschaften. Jahr für Jahr quartierte sich außerdem eine Wandergruppe aus Nordbayern im Forsthaus ein, um die umliegenden Berge zu erkunden. Eine Runde von Schafkopfspielern zählte genauso zu den langjährigen Stammgästen wie Mountainbiker.

Derzeit ist noch völlig offen, wie es mit dem Forsthaus Aquila weitergeht. Wie eine Sprecherin der österreichischen Bundesforste sagt, werde in alle Richtungen überlegt. "Es gibt Ideen für einer innerbetriebliche Nutzung", erklärt Pia Buchner. "Es kann aber auch sein, dass wir es weiter touristisch nutzen." Frühestens im Herbst rechnet sie mit einer Entscheidung.

Im Haus hatte bis 1997/1998 der zuständige Revierförster für das Bächental mit seiner Familie gewohnt. Anschließend hatte für fünf Jahre ein pensionierter Förster die Wirtschaft weitergeführt. In einer kleinen Holzhütte auf dem Grundstück existierte ein kleiner Ausschank für Gäste. Schließlich stand das Gebäude leer. Davon erfuhren die Bichlmairs. "Mein Mann ist als Kind schon immer vorbeigekommen", sagt die Wirtin. Verwandte aus der Familie bewirtschafteten Almen unterhalb des nahen Demeljochs. Dort habe ihr Mann als Kind bei der Arbeit geholfen.

Im August 2006 pachtete das Paar das Forsthaus Aquila. Ursprünglich hatten sich beide bloß für die Hütte neben dem Haupthaus interessiert. Doch die Bundesforste hätten den Komplex nur im Ganzen weitergeben wollen, sagt Bichlmair. Bis auf den Boden und die Holzvertäfelungen gab es im Forsthaus keine Einrichtung und keine Möbel mehr. Das Pächterpaar richtete die Räume bis zur Küche selbst ein. Auch die Terrasse bauten beide neu.

In der Wandersaison zwischen April und Kirchweih im Oktober ist das Forsthaus geöffnet. Montag und Dienstag ist Ruhetag. Zwischen dem Bächental und Lenggries pendelt Claudia Bichlmair täglich. Nur wenn Gäste übernachten, bleibt sie auch nachts dort. Ihr Mann kann wegen seines Berufs bei der Straßenmeisterei meist nur am Wochenende aushelfen - oder an manchen Tagen auch mehr, weil er viele Überstunden aus dem Winter abbauen kann. Außerdem springt noch die Mutter von Claudia Bichlmair ein, wenn sie Zeit hat. Zu dritt oder auch nur zu zweit zu disponieren, sei schwierig, sagt sie. Je nach Wetter müsse sie mit mehr oder weniger Essen kalkulieren.

Selbst an Schlechtwettertagen bemüht sich Bichlmair, zumindest über die Mittagszeit einige Stunden im Forsthaus zu sein. Weil keine Mobiltelefone im Gebiet funktionierten, gebe es dort per Satellit die einzige Telefonverbindung nach draußen, sagt sie. Das sei wichtig für die Almbauern, sollte etwa ein Unglück passieren, schildert Bichlmair.

Mit Strom versorgt das hauseigene Wasserkraftwerk das Forsthaus. Mehr als sieben bis acht Kilowatt Leistung schafft die Anlage aber nicht. Deshalb müssen die Bichlmairs genau überlegen, welches Gerät sie gerade nutzen möchten. Wenn alles vom Geschirrspüler und der Bierkühlung bis zur Kaffeemaschine und dem Wasserkocher läuft, kann es schon einmal passieren, dass die Lampen flackern. Wieder im Büro zu arbeiten, wie vor der Zeit als Wirtin, kann sich Bichlmair kaum mehr vorstellen. Der Kontakt mit Gästen würde der Lenggrieserin fehlen. Im Winter wird sie weiterhin auf einer Hütte am Brauneck arbeiten. Und im Sommer werde sich schon etwas finden, sagt sie.

Seit sie den Pachtvertrag gekündigt haben, nutzen viele Stammgäste noch einmal die Gelegenheit, um bei den Bichlmairs einzukehren. Zum Abschied an Kirchweih hat das Wirtspaar bislang nichts Besonderes geplant. "Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht", sagt Claudia Bichlmair. Bis dahin wird sie erst mal noch viele Gäste bedienen.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2019
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