Süddeutsche Zeitung

Kursangebot in Dietramszell:Morgensport mit Melodie

Jazzsängerin Melanie Kemser lehrt seit Kurzem Yoga und hat so beide Leidenschaften ihres Lebens vereint: Bei ihren "Asanas" in Ascholding wird auch gesungen.

Von Veronika Ellecosta, Dietramszell

Auch wer Gesang mit Yoga zusammenbringt, beginnt die Übungsstunde mit Stille. Fünf Menschen, vier Frauen und ein Mann, sitzen morgens um neun auf den bunten Matten im Seminarraum in Ascholding, schließen die Augen und atmen. Melanie Kemser im Loutussitz, aufrechte Haltung, macht vor, wie es geht: Sie legt eine Hand aufs Brustbein, die andere auf den Bauch. Sie zeigt, wie sich Atemphasen verlängern lassen, wie nach dem Ausatmen eine kleine Pause, die Atemleere, entsteht, um die Stille in sich aufzunehmen. Dann singt sie leise eine einfache Melodie. Zuerst auf Deutsch, dann auf Englisch: "I am powerful, I am worthy, I am grateful for what I am." Zaghaft stimmen auch die anderen Teilnehmenden ein. Und die zarte Melodie ersetzt die Stille.

Dass im Yoga gesungen wird, ist keine neue Erfindung, wird Melanie Kemser später bei einer Tasse Zimttee erklären. Im traditionellen Yoga finden sich alte Schriften aus dem Sanskrit, die bis heute singend rezitiert werden. Rezitative heißen sie deshalb auch. Die Tradition will, dass sich die Melodien aus genau drei Tönen zusammensetzen. Aber Melanie Kemser wollte es ein bisschen anders machen und moderne Elemente einbauen. Deshalb komponiert sie Melodien für ihre Yogaeinheiten selbst und textet Affirmationen dazu. Vorzugsweise auf Englisch, denn Englisch ist die Sprache des Jazz, und Melanie Kemser ist hauptberuflich Jazzsängerin und außerdem Gesangspädagogin in der Musikschule Wolfratshausen. Sie sagt: "Englisch singt sich für mich schöner als Deutsch." Und die Affirmationen, die bringen eine Positivität ein, sie sollen den Menschen einfach guttun.

"Wenn du singst, bist du verletzlich, du kannst dich nicht verstellen", sagt Melanie Kemser auf die Frage, warum ihre Melodie im morgendlichen Yogakreis nur sehr leise mitgesungen wurde, warum die Hemmung, die eigene Stimme klingen zu lassen, für viele auch bei dieser kleinen Übung spürbar und hörbar war. "Für viele ist Singen auch Trauma. Es geht hier auch darum, aus der mit dem Gesang verbundenen Leistungsorientierung rauszukommen." Denn die größte Blockade, die Menschen am Singen hindere, sei oft eine mentale. Dabei sei Singen etwas Urnatürliches. "Bevor wir sprechen, geben wir Klänge von uns, wenn Kinder etwa brummen", sagt sie, legt die Lippen aufeinander und macht es vor.

In ihrer Yogastunde seien die Menschen eingeladen, auch ohne Gesangsbildung mitzumachen, sagt Kemser. Hier lasse sich auch ein Begriff aus dem Yoga anwenden: die Anpassung. "Es gibt für jede Übung eine Referenzhaltung, aber nicht jedes Individuum kann die einnehmen, sei es aus anatomischen oder krankheitsbedingten Einschränkungen. Der Ansatz im Yoga ist, dass das auch in Ordnung ist, diese Gelassenheit wollen wir hier üben. Es geht nicht um das Ergebnis, sondern um den Weg." Diese Idee gelte auch für die Gesangselemente, die Kemser in ihre Yogastunden aufnimmt.

Was Yoga und Gesang außerdem miteinander verbindet, ist die Atmung, erklärt Kemser. Gesungen werde nämlich beim Ausatmen- damit die Stimme kraftvoll werde, müsse anstelle der flachen Schnappatmung das Ausatmen bewusst in die Länge gezogen werden. Die Stimme diene andererseits aber auch dazu, die Atmung hörbar zu machen und sich ihrer bewusst zu werden - besonders dann, wenn man morgens außer dem Schlafmangel noch nicht viel von sich spürt und die Melodie etwas mehr ins Körpergefühl hineinträgt. Die bewusste Ausatmung sei eine Übung, die sich aufs Yoga übertragen lasse, sagt Kemser. Wie im Gesang müsse die Ausatmung bei den Asanas, den Yogaübungen, auf einem bestimmten Energielevel bleiben. Nie gehe es darum, mit einer Bewegung alle Spannung beim Ausatmen aus dem Körper zu lösen. Viel mehr bedeute das: mentale Entspannung, aber Aufmerksamkeit auf körperliche Vorgänge richten.

Das zeigt sich auch beim Üben der Asanas im Kreis der anderen Teilnehmenden: Bei der Übung "Tisch" soll der Oberkörper langsam nach vorne gebeugt werden, die Arme sind an den Seiten im rechten Winkel ausgestreckt. Dann folgt "Krieger eins", die Beine in Schrittstellung, Arme nach oben. Langsam, mahnt Kemser, weil der Körper morgens noch nicht so dehnbar ist und die Muskeln noch kalt sind. Langsam aber auch, um bei jeder Bewegung achtsam und in einer gewissen Spannung zu bleiben.

Schritt für Schritt führt Melanie Kemser an den Krieger drei heran, der Tisch diente lediglich dazu, den Rücken auf die Übung vorzubereiten, der Krieger eins war für Beine und Becken. Ein Bein wird nach hinten langgestreckt, der Oberkörper nach vorne gebeugt. Das erfordere Ruhe und Kraft, sagt Melanie Kemser zu den Teilnehmenden, und ihre Stimme und die eigene Atmung begleiten die Bewegungen. Die nackten Füße quietschen auf den Matten. Der ein oder andere Arm rudert beim Versuch, Gleichgewicht zurückzuerlangen, durch die Luft. "Wackeln ist in Ordnung", versichert Melanie Kemser und mahnt auch, die Arme nicht zu überstrecken, nicht zu streng mit dem eigenen Körper zu sein - um diese Zeit nicht und auch sonst nicht.

Am Ende wird wieder Stille praktiziert, wieder kommen die Teilnehmenden in den Lotussitz, eine Hand auf der Brust, eine auf dem Bauch. Melanie Kemser stimmt erneut die Anfangsmelodie an. Diesmal steigen die Teilnehmenden ein bisschen kräftiger in die Melodie ein, man könnte auch sagen: gelassener.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5737382
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/aip
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.