Musikalische Ausbildung:"Die piepsen ja nicht, die singen ja richtig!"

Musikalische Ausbildung: Mit Schnute: Chorleiter Yoshihita Kinoshita zeigt seinen Schülern, wie es gemacht wird.

Mit Schnute: Chorleiter Yoshihita Kinoshita zeigt seinen Schülern, wie es gemacht wird.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Yoshihisa Kinoshita darf einmal mehr mit dem Wolfratshauser Kinderchor zum Deutschen Chorwettbewerb nach Hannover fahren. Zu Besuch bei der letzten Probe vor dem großen Auftritt.

Von Enno Lug, Wolfratshausen

"Süsi-Süsi-Süsi", "Sosa-Sosa-Sosa" und dann noch der Zungenbrecher "Sieben Sänger sitzen summend südlich im Sahara-Sand": Es ist Dienstagabend, kurz nach halb sechs, in der Musikschule Wolfratshausen. Wie jede Woche steht Yoshihisa Kinoshita vor gut dreißig Jugendlichen und singt Aufwärmübungen vor. "Auf lalala!", ruft der Chorleiter, den hier alle nur "Yoshi" nennen, während er eine schnelle Tonfolge am Klavier anstimmt. Und die Kinder singen. "Beim Runtergehen verliert ihr die Spannung", bemerkt Kinoshita, der inzwischen vor seinem Flügel steht, die Kinder hin- und herdirigiert, damit sie "auf Lücke" stehen und er sie alle sehen kann. Und wenn ihm was nicht gefällt, singt er Anweisungen dazu: "Zähne auseinander", "Locker flockig!" oder "mit Schnute". Gesang füllt den ganzen Raum, die Jugendlichen verstehen, setzen seine Vorgaben um. Das Ergebnis ist ein reiner, ein glasklarer Klang - und das schon beim Warmsingen. Es die letzte Probe vor dem nächsten großen Auftritt.

Beim Deutschen Chorwettbwerb in Hannover vom 3. bis zum 11. Juni werden sie auftreten, gemeinsam mit den besten Amateurchören der Republik. In der Kategorie F1, also bei den Kinderchören bis 16 Jahre, messen sich die Wolfratshauser mit fünf anderen Chören aus ganz Deutschland. Alle vier Jahre findet dieser Wettbewerb statt, unter Kinoshita ist der Chor bereits zum vierten Mal in der Endrunde. Qualifiziert haben sich die Jungen und Mädchen im Alter von zwölf bis 17 Jahren beim Landeswettbewerb im vergangenen Jahr, wo sie "mit hervorragendem Erfolg" abgeschnitten haben.

Kinoshita überlegt gemeinsam mit den Kindern, wie sie mehr "Sound" erzeugen können

Nach gut 20 Minuten Einsingen ist es dann so weit. Das erste von fünf Stücken für den Wettbewerb soll geprobt werden: "Memento salutis auctor" von William Byrd aus dem frühen 17. Jahrhundert - das Lieblingslied von Pepina. "Es ist einfach so gefühlvoll", sagt die Vierzehnjährige. "Ich mag diese Kirchenlieder gern, man kann vieles selbst schaffen, und sie haben eine starke Atmosphäre!"

Kinoshita gibt den ersten Ton am Klavier vor, die Kinder nehmen ihn auf, summen ihn nach. Kinoshita dirigiert an, der erste Ton erklingt - und Kinoshita winkt ab. "Nein, das ist nicht gut, das ist der erste Ton, den wir singen, der muss gut sein!", hadert er - und überlegt gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, wie sie es hinbekommen, mehr "Sound" zu erzeugen.

Versuch Nummer zwei klappt dann auf Anhieb. Himmlische Klänge erfüllen den ganzen Raum, die gesamte Musikschule. Eine bunte Mischung aus 31 Jungen und Mädchen: im Klang vereint, verschiedene Stimmen im weichen Zusammenspiel, melodisch und stimmungsvoll. Mit einem perfekten Dreiklang endet das Stück. Kinoshita sieht immer noch Potential nach oben. "Diese dreieinhalb Minuten müsst ihr durchhalten - Körperspannung! Ich würde das nie zu euch sagen, wenn ich nicht wüsste, dass ihr das könntet!" 31 Gesichter schauen ihn hochfokussiert an.

Wie schafft man es, die Energie von pubertierenden Jugendlichen so zu bündeln? "Wir singen nicht, weil wir gewinnen wollen, sondern weil wir gerne singen", sagt die Schülerin Luzia auf die Frage nach dem Erfolgsgeheimnis. "Wir sind eine Gemeinschaft", bestätigt Kinoshita. "Wir freuen uns genauso, wenn andere gut singen." Auch er ist beeindruckt von den Kindern: "Ich find's einfach toll, das Ensemble ist super. Die piepsen ja nicht, die singen ja richtig! Und das, obwohl sie auch schon einen langen Tag hinter sich haben."

Nach dem Lüften steht "Im Walde" auf dem Plan, ein Pflichtstück aus der Romantik. Innerhalb von wenigen Sekunden wird aus dem schnatternden Haufen Jugendlicher wieder ein hochkonzentrierter Klangkörper, jedes Augenpaar ist fixiert auf die Handbewegungen des Chorleiters. Auch dieses Stück unterbricht Kinoshita zwischendurch, macht Späße, erklärt, was ihm wichtig ist: "Ihr müsst lebendig sein, man muss das Gefühl haben: Sie stehen nicht nur da - sie leben!"

Bei dem modernen Stück "Snowforms" beginnen alle mit dem selben Ton. Daraus wächst ein fließender Übergang zwischen Singen und Summen, zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit. Es entsteht ein kraftvolles Gesamtbild: schwierigste Harmonien in perfekter Intonation. Das "Crescendo" ist womöglich bis ins Rathaus zu hören, beim "Piano" vernimmt man im Saal die Trompete aus dem Obergeschoss der Musikschule.

"Wir sind gut vorbereitet, da kann nichts mehr schiefgehen"

Dann ist Pause. Eine gute Viertelstunde reden die Kinder untereinander, rennen herum, kreischen und spielen. Direkt danach wird der schwungvolle "Java Jive" angestimmt. Und der erste Ton sitzt perfekt. Die Stimmung ist ausgelassen. Unterbrechung: "Es wär' so schön, wenn es richtig wäre, was ihr singt. Aber es ist nicht das Wichtigste. Es muss der Groove drin sein!", sagt Kinoshita lachend. "I love coffee, I love tea, I love the Java Jive and it loves me!", singen die Kinder groovig zurück.

Nachdem sie auch das letzte Stück, ein alpenländisches Volkslied namens "Fein sein - Beieinander bleiben" geprobt haben, ist Kinoshita zufrieden: "Wir sind gut vorbereitet, da kann nichts mehr schiefgehen." Und die Kinder? Nervös, sagen sie, seien sie bei einem Konzert immer. Doch Pepina ist zuversichtlich: "Das merkt man in dem Moment dann gar nicht mehr."

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