Süddeutsche Zeitung

Wolfratshauser Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung:Die Ohren und Herzen öffnen

Schüler aus der Region stellen verfemte Autoren vor. Ihre Präsentationen stellen sie selbst zusammen. Manche fahren dafür bis nach Wien

Von Claudia Koestler, Wolfratshausen

Der Schock saß tief: In der vergangenen Woche waren an 30 von insgesamt 32 Tafeln die Plakate zur diesjährigen Wolfratshauser Gedenkveranstaltung zur Bücherverbrennung mutwillig abgerissen worden. Noch sind die Täter nicht ermittelt worden. Doch der Vorfall macht klar: "Jetzt erst recht müssen wir alle vor Ort klare Zeichen setzen und nicht aufhören, für Respekt, Toleranz und Verständnis einzutreten", sagt Assunta Tammelleo vom mitveranstaltenden Kulturverein Isar-Loisach (KIL).

Was den Plakatfrevlern von heute nicht gelingen wird, hatten die Nationalsozialisten in großem Rahmen vollzogen: Die Ausschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte, die nicht in ihr Menschen- und Weltbild passten. Bei zahllosen Feuern wurden im Jahr 1933 Bücher und Handschriften vernichtet, die Autoren verschwanden aus dem öffentlichen Bewusstsein - zum Teil bis heute. Und Heinrich Heine wusste: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."

82 Jahre später aber werden Schauspieler und Künstler in der Wolfratshauser Loisachhalle Texte verfemter Autoren vortragen. Bereits seit 2013 findet der Abend als Gemeinschaftsveranstaltung von KIL und dem Historischen Vereins Wolfratshausen statt, in diesem Jahr allerdings erstmals in der Loisachhalle und mit einem Programm, das seinesgleichen sucht. Neben Johano Strasser, Jan Weiler, Marcus H. Rosenmüller, Gisela Schneeberger und Maria Peschek haben auch die Zeitzeugen Rachel Salamander und Max Mannheimer ihr Kommen zugesagt.

Zudem werden Peter Probst, Wolfgang Ramadan, Michael Skasa, Franziska Sperr, Josef Brustmann und Claus Steigenberger mitwirken. Umrahmt wird die Lesung musikalisch von Klaus Doldinger, Biboul Darouiche, Patrick Scales, Gerd Baumann und dem Wolfratshauser Kinderchor. Als Schirmherren fungieren Charlotte Knobloch, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und Prälat Lorenz Wolf.

Vor allem sind auch wieder Jugendliche aus der Region eingebunden: Schüler und Schülerinnen der Gymnasien Geretsried, Icking, Schäftlarn und Waldram sowie der Realschule Wolfratshausen werden das Schicksal verfolgter Autoren beleuchten. Ihnen steht offen, wie sie das tun, sie müssen ihre Präsentationen nur in jeweils drei Minuten schaffen.

Anna Mair, Sebastian Moll de Alba Dessloch, Julia Ziegler und Sophie Melzer aus dem Gymnasium Schäftlarn etwa werden Elisabeth Castonier vorstellen. Ihre Recherchen packen sie in einen Vortrag mit Musik und bewegten Bildern. Die Geschichte der Autorin hat die Jugendlichen bereits längst gefesselt: Castonier war Tochter eines malenden Millionenerben und Enkelin eines im Dienst des Zaren wahnsinnig gewordenen Architekten. "Ihr schriftstellerisches Oeuvre war äußerst vielfältig, mit Blick für das Skurrile", haben die Schäftlarner entdeckt. Doch den Nazis war ihre kritische Einstellung suspekt.

Miria Samhammer und Lisa Napiletzki werden das Gymnasium Geretsried vertreten. Sie stellen dabei einen großen Unbekannten vor, den eigentlich jeder kennt: Bruno Balz. Er war einer der bedeutendste Textdichter des 20. Jahrhunderts und hat Gassenhauer geschrieben wie: "Kann den Liebe Sünde sein", "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n" oder "Davon geht die Welt nicht unter". Dabei hätte Balz' Leben dramatischer nicht sein können. Samhammer und Napiletzki werden in die Rolle Balz' schlüpfen und in einer abstrakten Form von Poetry Slam aneinandergereihte Gedanken präsentieren. "Wir haben anfangs gedacht, das wird schwer in drei Minuten", sagen beide. Inzwischen aber habe der Auftritt gerade durch die Kompaktheit eine dynamische Form angenommen. Kreative Stärke will auch das Ickinger Rilke-Gymnasium beweisen: Von dort aus begeben sich Sebastian d' Huc, Maximilian Schulz und Kilian Adolf auf die Spuren des österreichischen Dichters Theodor Kramer. Zwei Tage werden sie unterwegs sein, um vor Ort, in Wien und Niederhollabrunn, zu recherchieren und ihre Spurensuche dann als kurzen Filmclip zu präsentieren.

Einen bekannten Autoren neu entdecken, das strebt der Chor der 7. Jahrgangsstufe der Realschule Geretsried an: Sie präsentieren eine Vertonung von Ringelnatz' Gedicht "Ich hab' Dich so lieb". Kaya Cetin und Marlene Schenker werden zudem vorab im Dialog den Autoren kurz charakterisieren. "Berührend, herzerwärmend, nachdenklich und humorvoll zugleich", so wollen sie die Zuschauer anregen, weitere eigene Entdeckungen zu machen.

"Die Ohren der Zuhörer öffnen", das ist die Idee hinter dem Auftritt der Schüler des Ickinger Günter-Stöhr-Gymnasiums. Sie recherchierten über Moische Schulstein und verpacken ihre Erkenntnisse über den heute wenig bekannten Autoren in das vorab genannte Heine-Zitat, welches sie in zehn Sprachen proklamieren werden. "Es ist absolut motivierend, gegen das Vergessen zu arbeiten," betonen die Irschenhauser. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem verfemten Autoren und seiner Geschichte sei ihnen die Geschichte an sich nun wesentlich näher gekommen. Dieses eigene Erlebnis, Geschichte über persönlichen Bezug lebendig werden zu lassen, dem Publikum zu vermitteln, darauf freuen sie sich nun.

Das Gedenken an die Bücherverbrennung findet am Sonntag, 10. Mai, um 19 Uhr in der Loisachhalle statt. Karten zum Preis von 25 Euro sind an den bekannten Vorverkaufsstellen oder über www.muenchenticket.de erhältlich.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2015
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