"Ruhe bewahren" - wenn das so einfach wäre. Das geht vielleicht noch bei den entspannten Gitarrenklängen des Duos "Picking Project", die sich virtuos in die Ohren schmeicheln. Aber spätestens als Luise Kinseher am Donnerstagabend im tief dekolletierten Schwarzen auf die Flussbühne stöckelt, ist die Ruhe dahin: Statt gelassener Entspanntheit verkrampfen sich Zwerchfälle, Hände werden wild aneinander geschlagen, die Atmosphäre ist aufgekratzt.
Kein Wunder: denn alles passt an diesem schönen Sommerabend, an dem kein Auge trocken bleibt, aber ausnahmsweise einmal der Himmel. Die Loisach fließt ruhig, der Springbrunnen spuckt Fontänen, Bürgermeister Klaus Heilinglechner freut sich über die bisherigen "hervorragenden Veranstaltungen" und Luise Kinseher ist in Bestform: "Ruhe bewahren" heißt das sechste Soloprogramm, das die 48-Jährige am Donnerstag auf der wieder ausverkauften Flussbühne spielt. "Das hat man fast nie, dass ein Wassergraben zwischen mir und dem Publikum ist", sagt die Niederbayerin, die vor vier Jahren schon einmal hier gespielt hat.
Die Zeit, sie ist grob gesagt die Klammer ihres Programms - das Warten und das Hetzen, Vergangenheit und Vergessen, Zukunft und Evolutionssprünge. Auch die Mama Bavaria darf kurz vorbeischauen und dem bayerischen Kabinett die Leviten lesen: "Der Söder völlig schmerzfrei, die Ilse lächelt immer, der Spaenle funktioniert nur, weil er an einer Ritalin-Infusion hängt." Seehofer sei der einzige, der nix nimmt. "Der kifft." Und natürlich gibt es bei Kinseher tiefgründige Sätze: "Früher ist man schneller gealtert, aber man hatte mehr Zeit."
Aber ob Quantenphysik oder Erkenntnistheorie: Am besten kann das doch die Mary from Bavary im geblümten Bademantel erklären: "Wenn's ihr ned von Haus aus scho moants, dass s' Deppen gibt, dann gibt's es ned", sagt sie schwer angeschickert. Überzeugend auch ihre Yoga-Übung "herabschauender Hund" ("obe und dann mit'm Arsch so auffe"), obwohl die Mary sich inzwischen tierisch aufregen muss über diese ewige "Bäläncerei". Sie gehört zum festen Personal im Kinseherschen Kosmos - eine umwerfende Figur, ehemals "famousmaryfrombavarytoptennumberonetoptitle"- Star, wie sie sich in knödeligem Englisch vorstellt. Unverzichtbar auch die resolute Hanseatin Helga Frese.
Wenig braucht Kinseher für ihr Typenkabarett: Brille und staubfarbenen Mantel übergezogen, Hände über der Brust gefaltet, und schon schnackt die Helga über ihren Mann Heinz, mit dem sie sich viel besser versteht, seit er sich an nichts mehr erinnert. Auch singen dürfen ihre Figuren: Einen Chanson à la Hildegard Knef und einen schmissigen Country samt Jodler, die Kinseher temperamentvoll und mit Inbrunst zum Besten gibt.
Am Donnerstag wurde das Figurenarsenal noch erweitert: es kamen dazu die selbständige Buchhalterin, der Gelddrucker, der Lebensmittelfachmann und der "Dampferer", also Heizungsbauer. Sie alle saßen im Publikum, wurden von Kinseher zu Beruf und Beziehungsstatus befragt - und schließlich ins Programm integriert. Improvisation und Interaktion mit dem Publikum sind feste Bestandteile ihrer Auftritte und Kinsehers große Stärke. Sie ist ganz in ihren Bühnenfiguren, hat sie vermutlich längst verinnerlicht, und fährt gleichzeitig die Antennen aus. Jeder abschweifende Blick eines Zuschauers wird registriert und kommentiert ("wo schaust du jetzt scho wieder hie? Ah, a Auto. Also ihr seid's wirklich ned reizüberflutet in Wolfratshausen"). Das Glockengeläut von Sankt Andreas und sogar ein arglos in der Loisach vorbei schwimmender Fisch fanden Eingang ins Programm ("Also, wenn des eure Fisch san, na ja"). Die Wolfratshauser spielten gerne mit und konnten nicht genug kriegen von dieser fulminanten Vorstellung. Auch die Kinseher hatte erkennbar ihren Spaß. "Merkt's ihr, wie's schee Nacht wird", sagt die Mary irgendwann sentimental. "Es gibt soviel Unerklärliches, so viele Sachen sind ein einziges Ministerium".