Krankheit und Tod:Noch einmal das Leben spüren

Krankheit und Tod: Ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bunds: der Wünschewagen.

Ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bunds: der Wünschewagen.

(Foto: Verena Müller/Bildextern)

Der Wolfratshauser Kurt Züge ist Fahrer im Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bunds und bringt damit Todkranke an ihren Traumort. Jeder Ausflug, sagt er, "muss ein wunderbarer Tag werden".

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Wenn Kurt Züge auf der Theaterbühne steht, spielt es für ihn eine gewichtige Rolle, für alle Facetten menschlichen Lebens emotional offen zu sein. Eben dies hilft ihm auch, sobald er sich als Fahrer an Steuer des sogenannten "Wünschewagens" vom Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) setzt. Die Hilfsorganisation ermöglicht damit Schwerstkranken, sich kurz vor dem Tod noch einmal einen Traum zu erfüllen - die Begegnung mit einem geliebten Menschen, einen Ausflug ans Meer oder in die Berge, einen Besuch im Konzert, im Kino oder im Tierpark. Züge selbst, der seit zwei Jahren in Wolfratshausen lebt, darf dabei allerdings nicht zeigen, wie sehr ihn diese Fahrten emotional berühren - selbst wenn es schwerfällt. "Jede Fahrt muss ein wunderbarer Tag werden", sagt der 65-Jährige, der als Außendienstmitarbeiter für Umwelttechnik tätig war und nun im Ruhestand ist.

Krankheit und Tod: Kurz Züge ist Fahrer eines Wünschewagens.

Kurz Züge ist Fahrer eines Wünschewagens.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Einfühlsam erzählt Züge von seinen bisher zehn Fahrten mit dem Wünschewagen. Wie dankbar die schwerkranken Menschen seien, beeindrucke ihn jedes Mal, sagt er. "Die strahlen dich an, das ist unfassbar." So habe er einen Fahrgast beispielsweise zum Grab der Schwester oder einen demenzkranken Maler zu dessen Ausstellung begleiten dürfen. Was der Künstler dabei über seine Eindrücke der Kriegs- und Nachkriegszeit erzählte, die er in seinen Bildern verarbeitet hatte, habe ihn überwältigt, so Züge.

Durch Medienberichten ist der 65-Jährige auf das Projekt aufmerksam geworden, das der Arbeiter-Samariter-Bund im Jahr 2014 initiierte. Vorbild dafür war die von Kees Veldboer gegründete Ambulance Wish Foundation in den Niederlanden. Inzwischen gibt es deutschlandweit 23 ASB-Wünschewagen. Drei der speziell umgebauten Krankentransporter sind im Freistaat stationiert - einer in Kaufbeuren im Allgäu, der zweite im fränkischen Erlangen und der dritte in München. An jedem der drei Orte gebe es um die 50 Fahrten pro Jahr, sagt Wolfgang Zettl vom ASB. 60 bis 70 Ehrenamtliche sind für den Wünschewagen in der Landeshauptstadt unterwegs. Für jede Tour braucht es einen Fahrer mit möglichst aktuellem Erste-Hilfe-Kurs sowie eine Person mit medizinischen Kenntnissen, mindestens mit der Qualifikation eines Rettungssanitäters. Für die Fahrgäste und ihre Begleiter sind die Fahrten und alles andere kostenfrei. Das Projekt finanziert der ASB durch Eigenmittel und Spenden.

Krankheit und Tod: Im Wünschewagen ist auch der Bär Wastl ein wichtiger Begleiter. Im Bild mit Kurt Züge (links) und dessen Kollegen Andreas Kotter.

Im Wünschewagen ist auch der Bär Wastl ein wichtiger Begleiter. Im Bild mit Kurt Züge (links) und dessen Kollegen Andreas Kotter.

(Foto: Arbeiter-Samariter-Bund/oh)

Gekleidet sind die Teams in dunkelblaue Polo-Shirts und Jacken, die das Wünschewagen-Logo des ASB tragen. Dadurch soll möglichst nichts an eine Krankenhausumgebung erinnern, sagt Zettl. "Wir wollen, dass die Menschen zumindest für ein paar Stunden ein bisschen Normalität spüren können." Die Wünsche sind so vielfältig wie die Menschen. Selbst eine Fahrt an die Nordsee oder das italienische Mittelmeer hat der ASB schon realisiert. Entscheidend sei, ob jemand auch transportfähig sei, sagt Zettl. Deshalb brauche es eine gewisse Vorlaufzeit, um zu planen. Abzuklären sei etwa, ob jemand mit einer Lungenerkrankung auf die Zugspitze mit ihrer sauerstoffärmeren Luft gebracht werden könne.

Besonders anrührend dürften Fahrten im Wünschewagen mit Kindern und Jugendlichen sein, aber eine solche Tour hat Züge bislang noch nicht erlebt. Er würde jedoch zusagen, wenn eine entsprechende Anfrage käme, sagt er. Das Thema Tod verdränge er nicht, das helfe ihm wahrscheinlich. Weil er schon in jungen Jahren zwei Menschen verlor, habe er sich mit dem Sterben auseinandergesetzt. "Für mich ist der Tod nicht mehr so bedrohlich." Womöglich wirkt Züge auch deshalb so lebenszugewandt und aktiv. Er hat bereits in Sportvereinen ehrenamtlich gearbeitet, und noch im Alter von 64 Jahren schloss er sich der Wolfratshauser Feuerwehr an, obwohl er wusste, dass er aufhören muss, wenn er die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht. So habe er erfahren, wie schön es sein könne, für sein Engagement wertgeschätzt zu werden, sagt Züge.

Eine seiner Aufgaben sieht er darin, den Wünschewagen bekannter zu machen. Deshalb habe er den Transporter schon bei Veranstaltungen präsentiert, erzählt er. Das sei wichtig, um Spenden und Personal zu gewinnen. Gerade Ehrenamtliche mit medizinischen Kenntnissen gebe es nur wenige. Dies bestätigt auch Wolfgang Zettl vom ASB. Für die ohnehin schon stark belasteten Mitarbeiter in Krankenversorgungsberufen sei es auch viel verlangt, sich da noch zusätzlich freiwillig zu engagieren. Für die Teams der Wünschewagen organisiert der ASB Fortbildungen, etwa um mit bettlägerigen Patienten umgehen zu können oder zu lernen, wie man mit Schwerkranken am besten kommuniziert. Ein Kriseninterventionsteam steht bereit, damit die Ehrenamtlichen belastende Situationen besser verarbeiten.

Von "emotionalen Eindrücken in einem positiven Sinne" spricht Züge, wenn er an die Fahrten denkt. Mehr als 60 Jahre hatte er in München gelebt, ehe er nach Wolfratshausen zog. Vor einigen Jahren hat er in Forstenried begonnen, Theater zu spielen. In der Flößerstadt wirkt er bei den Führungen "Splitter aus der Wolfratshauser Stadtgeschichte" mit, die von der Loisachtaler Bauernbühne organisiert werden. Einmal würde er gerne den Tod im Stück "Der Brandner Kasper" geben, sagt Züge. Wie er selbst mit dem Thema Sterben umgeht, seit er sich für den Wünschewagen engagiert? "Du wirst ein Stück dankbarer für dein eigenes Leben, nimmst Wertigkeiten anders war", sagt er. "Das verändert viel."

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