Im Wolfratshauser Stadtrat wird eine Debatte geführt, ob im Stadtteil Waldram zwei Straßen umbenannt werden sollen: die Faulhaberstraße, benannt nach Kardinal Michael Faulhaber, der 35 Jahre lang Erzbischof von München und Freising war, und die Kardinal-Wendel-Straße. Beide, vor allem der bekanntere Faulhaber, sind wegen ihrer Haltung zum Nationalsozialismus umstritten. Auch bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche werden Vorwürfe gegen sie erhoben. Die gemeinsame Fraktion von SPD und FDP im Stadtrat hatte daher beantragt, sich mit den Straßennamen auseinanderzusetzen. Dies wird nun wohl im September geschehen. Nach einer kurzen Diskussion hat der Stadtrat beschlossen, einen Beschluss zum Thema zu vertagen.
Vor allem die Rolle Faulhabers während der NS-Zeit gilt als zweifelhaft. Die Stadt Würzburg hat 2022 nach einstimmigem Beschluss ihren Kardinal-Faulhaber-Platz in Theaterplatz umbenannt. Begründet wurde das damit, dass Faulhaber seine machtvolle Position nicht gegen die nationalsozialistischen Verbrechen eingesetzt habe. In München steht die Kardinal-Faulhaber-Straße auf der Liste der „Straßennamen mit erhöhtem Diskussionsbedarf“, einen Beschluss gibt es zu ihr bisher nicht. Die Fraktion von SPD und FDP wollte laut Antrag auch in Wolfratshausen „eine Diskussion anregen“, zumal den mit den beiden Straßen geehrten Kardinälen zudem im Missbrauchsskandal Fehlverhalten vorgeworfen wird. Zu diesem Zweck sollte Stadtarchivar Simon Kalleder „die bisherigen Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse“ zu den Vorwürfen als Basis für eine Diskussion zusammenstellen.
„Eine extrem schwer einzuschätzende Person.“
Kalleder verwies auf die umfangreiche Aktenlage – und auf Faulhabers Tagebücher, die seit 2013 vom Institut für Zeitgeschichte in München zusammen mit dem Münsteraner Lehrstuhl für Kirchengeschichte publiziert werden. In dem noch nicht abgeschlossenen Langzeit-Projekt, das online zugänglich ist, sind die Jahrgänge 1933 bis 1945 bereits publiziert, mit insgesamt mehr als 4000 Einträgen. Faulhaber sei „bei oberflächlicher Betrachtung eine extrem schwer zu verstehende und einzuschätzende Person“, fand Kalleder. So gebe es antisemitische Aussagen von ihm, andererseits habe er sich bereits in den 1920er-Jahren für die Juden eingesetzt. Dann habe er sich aber auch „erschreckend unempathisch“ geäußert. Faulhaber hat jedenfalls die Judenverfolgung nicht scharf verurteilt, den Krieg verteidigt und das missglückte Attentat auf Hitler verurteilt. Im November 1936 war er bei Hitler auf dem Obersalzberg zu Gast, als einziger Bischof, dem diese Einladung zuteilwurde.
Seine Fehleinschätzungen machten Faulhaber aber nicht zum Nazi, sagte Kalleder. Auch sei er kein Kriegsverbrecher gewesen wie etwa Weihbischof Mathias Defregger, dem man in Pöcking noch in den 1990er-Jahren eine Straße gewidmet habe, obwohl er als Wehrmachtsoffizier für die Ermordung von Zivilisten in Italien verantwortlich gewesen sei. Von einer Neubenennung würde er angesichts der Kontroverse um Faulhaber heute abraten, so der Archivar – auch weil „der Lokalbezug überschaubar“ sei: Der Kardinal sei lediglich zur Einweihung von Sankt Matthias in Waldram gewesen.
Ob der Stadtrat eine Umbenennung veranlasst, muss nun geklärt werden. Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste) hielt diese für unverhältnismäßig und angesichts des Aufwands und der Kosten für die Anwohner nicht vermittelbar. Ulrike Krischke (BVW) forderte zumindest einen QR-Code, der am Straßenschild auf die Kontroverse hinweist. Weil die Diskussion wichtig sei, wollte Assunta Tammelleo (Grüne) den Beschluss angesichts der üppigen Tagesordnung am Dienstag nicht übers Knie brechen. Ihr Antrag, ihn zu vertagen, wurde schließlich mit 15 zu acht Stimmen angenommen.
In elf Jahren drei Namen
Die Historikerin Sybille Krafft und Vorsitzende der „Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald“ verweist in dem Zusammenhang auf die Initiative ihres Vereins, alle 17 Straßen in Alt-Waldram mit kleinen Zusatzschildern zu versehen, die deren Umbenennung erläutern. „Dass in elf Jahren drei unterschiedliche Namen vergeben wurden, ist in Deutschland einzigartig“, sagt Krafft. Der entsprechende Antrag ist jedoch 2021 vom Kulturausschuss abgelehnt worden – aus Furcht, Verweise auf die NS-Zeit und Namen wie Adolf-Hitler-Platz könnten Unterstützer von falscher Seite anlocken. Eine Aufklärung in dieser Form hält Krafft indes für eine „viel stärkere Auseinandersetzung mit der Geschichte als eine bloße Umbenennung“. Diese sei auch beim Ortsnamen Waldram, der aus Föhrenwald gemacht wurde, der Versuch gewesen, die Geschichte auszulöschen.