Der Stadtteil Waldram in Wolfratshausen zählt zu den exemplarischen Orten, an denen sich die dunklen Seiten der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts und ihre Nachwirkungen unmittelbar verdichten. Erst ließ das NS-Regime dort die Siedlung Föhrenwald für Dienstverpflichtete und Zwangsarbeiter der nahen Sprengstoffs- und Munitionsfabriken errichten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebten für etwas mehr als ein Jahrzehnt jüdische Displaced Persons – Überlebende der Shoa – auf dem Areal. Schließlich siedelten sich kinderreiche katholische Heimatvertriebene an. Aus Föhrenwald wurde Waldram. Mit jeder Entwicklungsphase gab es neue Straßennamen.
Das macht den Stadtteil zu einem beispielhaften Lernort für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland. Insofern ist es wichtig und richtig, dass der Wolfratshauser Stadtrat über mögliche Umbenennungen der Kardinal-Faulhaber- und der Kardinal-Wendel-Straße diskutiert. Beide hohen Geistlichen, insbesondere aber Kardinal Michael von Faulhaber, sind wegen ihrer Haltung zum Nationalsozialismus umstritten. Auch bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche existieren Vorwürfe gegen sie. Wenn nun Stadtrat Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste) in der jüngsten Sitzung eine Diskussion für überflüssig erklärt, weil sich kein Waldramer daran störe, Wolfgang Weichlein (CSU) sogar von „Kokolores“ spricht, dann ist dies problematischer Populismus.
Kardinal Faulhaber mag kein überzeugter Nazi gewesen sein, weswegen Stadtarchivar Sim Kalleder aktuell davon abgeraten hat, die nach ihm benannte Straße neu zu bezeichnen. Faulhaber war aber zumindest eine ambivalente Persönlichkeit. Einerseits setzte sich der Kardinal für Juden ein, fiel aber gleichzeitig durch antisemitische Aussagen auf. Er verteidigte den Zweiten Weltkrieg und verurteilte die Judenverfolgung nicht scharf. Deswegen muss keine sofortige Damnatio memoriae aus dem öffentlichen Straßenbild erfolgen. Der Wolfratshauser Stadtrat will vor einer Entscheidung erst einmal Untersuchungsergebnisse aus München abwarten, wo etwa das Institut für Zeitgeschichte an einem laufenden Editionsprojekt der Tagebücher Faulhabers mitarbeitet. Das ist eine gangbare Option.
Eine Diskussion aber muss stattfinden. Zumal dann, wenn neue Erkenntnisse vorliegen. Das zählt zu den fundamentalen Aufgaben jedes politischen Gremiums. Nur wer die Geschichte kennt, kann auch die Zukunft demokratisch und rechtsstaatlich gestalten.