"Künstlerische Intervention"Der rote Faden von Czernowitz nach Föhrenwald

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Blickfang mit Hintergrund: Susanne Hanus hat eine Straßenlaterne mit der Dachrinne des Badehauses am Waldramer Kolpingplatz im Rahmen einer "Künstlerischen Intervention" verstrickt.
Blickfang mit Hintergrund: Susanne Hanus hat eine Straßenlaterne mit der Dachrinne des Badehauses am Waldramer Kolpingplatz im Rahmen einer "Künstlerischen Intervention" verstrickt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Susanne Hanus weist im Erinnerungsort Badehaus mit "Verstrickungen" auf Familien- und Weltgeschichte hin.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Der Leiterwagen ist im Erinnerungsort Badehaus das Symbol für die Heimatvertriebenen. Nach dem ersten Abschnitt des Museums, der die Nazizeit und die Zwangsarbeit in den Rüstungsbetrieben im Wolfratshauser Forst beleuchtet, und dem zweiten Raum, der jüdische Zeitgeschichte aufleben lässt, finden sich im dritten Sektor Fotos und Dokumente jener Menschen, die nach den jüdischen Überlebenden der Schoah in Föhrenwald angesiedelt wurden. Der Leiterwagen ist hier das zentrale Exponat. Auf ihm steht eine der Fluchtkisten, in denen die Vertriebenen ihre Habseligkeiten mitnahmen. Seit wenigen Tagen ist dieser Holzwagen von einem Gespinst aus Fäden umfangen. Die Penzberger Künstlerin Susanne Hanus hat ihn in ein Objekt ihrer "Verstrickungen" verwandelt.

Unter dem Titel "Verstrickungen" überzieht Hanus seit mehr als zwanzig Jahren an verschiedenen Orten, international, im öffentlichen Raum, meist unangemeldet, Plätze, Häuser, Bäume, Säulen, sogar eine Bushaltestelle mit farbigen Wollfäden. Im Waldramer Badehaus hat sie dies nun auf Einladung des Trägervereins unter Leitung von Sybille Krafft getan. Es ist die sechste "Künstlerische Intervention" in diesem Haus, und es ist die erste einer Frau.

Unter dem Titel "Verstrickungen" überzieht Hanus seit mehr als zwanzig Jahren Plätze, Häuser, Bäume, Säulen mit Wollfäden, nun auch das Waldramer Badehaus.
Unter dem Titel "Verstrickungen" überzieht Hanus seit mehr als zwanzig Jahren Plätze, Häuser, Bäume, Säulen mit Wollfäden, nun auch das Waldramer Badehaus. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Susanne Hanus hat eine Straßenlaterne mit der Dachrinne des Gebäudes am Waldramer Kolpingplatz verstrickt; hat rote Fäden kreuz und quer über den kleinen Hof auf der Rückseite des Hauses gespannt und hell-petrolfarbenes Garn wie einen Trichter rund um den Leiterwagen gezogen. "Man kann das ja aufladen mit allen möglichen Bedeutungen", sagt die Künstlerin über ihre temporären Installationen. Die Historikerin Sybille Krafft etwa verweist darauf, dass "wir alle mit unserer Familiengeschichte in die allgemeine Geschichte verstrickt sind".

Die Künstlerin Susanne Hanus nebst ihrer Installation im Badehaus.
Die Künstlerin Susanne Hanus nebst ihrer Installation im Badehaus. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Und eben die Familiengeschichte treibt auch Susanne Hanus um. Im Badehaus erzählt sie - neben den Verstrickungen - in Bildern vom Leben ihrer Großmutter. Imposant und freundlich wirkt diese Ernestine Hanus auf einem Foto. Sie raucht Zigarre und bläst Kringel in die Luft. Ihre Geschichte aber ist mit wechselvollen Phasen der Weltgeschichte eng verknüpft.

Ernestine Hanus stammte aus Czernowitz, der einst so multikulturellen Stadt am Pruth in der Bukowina; jahrhundertelang zum Fürstentum Moldau gehörig, dann von den Österreichern besetzt, bis 1918 Teil der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, vorübergehend rumänisch, schließlich 1940 von der Sowjetunion eingenommen. Der Großteil der deutschen Bevölkerung wurde damals von den Nazis "heim ins Reich" geholt. So auch Susanne Hanus' Großmutter.

Eine wichtige Rolle im künstlerischen Wirken von Susanne Hanus spielt die Großmutter Ernestine Hanus aus Czernowitz (im Video zu sehen).
Eine wichtige Rolle im künstlerischen Wirken von Susanne Hanus spielt die Großmutter Ernestine Hanus aus Czernowitz (im Video zu sehen). (Foto: Harry Wolfsbauer)

Czernowitz, wo einst jüdische und nichtjüdische Deutsche, Rumänen, Ukrainer und Polen friedlich nebeneinander lebten und die Kultur in Blüte stand, sei für ihre Oma "eine Art Sehnsuchtsort" geblieben, erzählt die Künstlerin. Sie sei 24 Jahre alt und alleinerziehende Mutter eines Sohnes gewesen, als sie aus diesem "Klein-Wien" umgesiedelt wurde, und sie habe sich in ihrer neuen Heimat fremd und nicht willkommen gefühlt. "Wahrscheinlich ist sie in der westlichen Welt niemals ganz angekommen."

Im Entree des Badehauses hat Susanne Hanus eine Ansammlung der Geschenke aufgebaut, die ihr die Großmutter ein Leben lang gemacht hat.
Im Entree des Badehauses hat Susanne Hanus eine Ansammlung der Geschenke aufgebaut, die ihr die Großmutter ein Leben lang gemacht hat. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Susanne Hanus sagt, ihre inzwischen verstorbene Großmutter sei "eine der letzten Zeitzeuginnen der Czernowitzer Kultur" gewesen. Gemeinsam mit ihr und ihrem Vater Dietmar hat sich die Künstlerin im Jahr 2008 nach Czernowitz begeben. Diese "Drei-Generationen-Tour" hat sie in Wort und Bild dokumentiert. Sie sieht das Leben ihrer Oma "stellvertretend für viele andere", und das tut auch die Badehaus-Leiterin. Krafft sagt, unter den Föhrenwald-Zeitzeugen sei eine ganze Reihe aus Czernowitz - eine Verstrickung im positiven Sinn also.

Maria Mannes trug Selma Meerbaum-Eisingers Kurzbiografie vor.
Maria Mannes trug Selma Meerbaum-Eisingers Kurzbiografie vor. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Drei bedeutende künstlerische Zeitzeugen ließen Maria Mannes und Elisabeth Voigt, aktive Mitwirkende des Badehauses, bei der Vernissage am Sonntag zu Wort kommen: Rose Ausländer, Selma Meerbaum-Eisinger und Paul Celan. Mit Gedichten dieser drei Czernowitzer und mit Flötenmusik, gespielt von Gesa Hepbildikler und Simone Tränklein, wurde die Matinee umrahmt. Anschließend konnten die Verstrickungen besichtigt werden. Für Krafft schließt sich damit ein Kreis, denn Verstrickungen, so erzählt sie, hätten die "Badehäusler" schon bei der Einrichtung ihres Museums deutlich machen wollen - mit den gestrickten grünen Kronen der stilisierten Föhren unter dem Dach des Hauses.

Susanne Hanus löst ihre Verstrickungen am Ende der Installation übrigens mit der Schere - so einfach ist es mit den geschichtlichen und familiären Verstrickungen freilich nicht.

Am Ende der Installation steht eine Schere - mit der die Verstrickungen gelöst werden.
Am Ende der Installation steht eine Schere - mit der die Verstrickungen gelöst werden. (Foto: Harry Wolfsbauer)
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