Wolfratshausen und Penzberg bieten Hilfe an:Gastfamilien für GAU-Opfer

Japanische Kinder in bayerischen Gastfamilien aufzunehmen ist nicht einfach. Trotzdem wollen viele Menschen aus Wolfratshausen und Penzberg helfen.

Klaus Schieder

Gaby Marschner hat einen anstrengenden Tag. Seit dem Morgen hängt sie ständig am Telefon in ihrem Büro. Immer wieder rufen Leute an, aus Wolfratshausen, dem Landkreis, dem gesamten Bundesgebiet. "Da haben Sie Glück, dass Sie jetzt durchgekommen sind", sagt die Sekretärin des Wolfratshauser Bürgermeisters. Erst am Tag zuvor hatte Helmut Forster bekanntgegeben, dass seine Stadt japanische Kinder aufnehmen will und Gastfamilien sucht, falls es zu einem Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima kommt. Seither, sagt der Bürgermeister, läuteten ununterbrochen die Telefone im Rathaus, kämen E-Mails auf E-Mails herein. "Wir haben schon über 100 Gastgeber", sagt er.

Japan nach dem Tsunami - Flucht aus Tokio - Mädchen mit Stofftier

Auf der Flucht aus Tokio hat dieses Mädchen sein Stofftier dabei. In Wolfratshausen haben sich viele Menschen gemeldet, die japanischen Kindern helfen möchten, sollte sie durch die Atomkatastrophe in Fukushima erkranken.

(Foto: dpa)

Seit 24 Jahren pflegt Wolfratshausen eine Städtepartnerschaft zu Iruma, das nördlich von Tokio in der Präfektur Saitama liegt, 240 Kilometer von Fukushima entfernt. Die Einladung an die Kinder findet Gudrun Leeb eine wunderbare Sache. Toll, sagt sie, "wie sich die Stadt blauäugig in diese Sache reinstürzen will". Aber eines müsse der Kommune, müsse auch den Gastfamilien klar sein: "So einfach ist das nicht." Zwei Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl gründete Leeb den Verein "Ost-West-Ost-Kontakte", der Sommerfreizeiten für weißrussische Kinder organisiert, die von den Folgen der Strahlenverseuchung bedroht sind. Bei allem Ferienspaß, sagt Leeb, hätten die Kleinen oft Heimweh gehabt. "Sie weinten, wenn sie ins Bett gingen, und wir wussten nicht warum."

Grundsätzlich hält sie es für richtig, die jungen Gäste aus Fernost nicht in irgendwelchen Turnhallen, sondern in Familien unterzubringen. Doch die Gastgeber bräuchten Unterstützung, sagt sie. "Interessanterweise sind es ja meist ärmere Leute, die Kinder aufnehmen." Ganz oben auf ihrer Liste der "tausenderlei Notwendigkeiten" stehen Dolmetscher und Betreuer. Sodann müsse die ärztliche Versorgung sichergestellt sein, Versicherungsfragen seien zu klären. Und die Gastgeber sollten sich bewusst sein, dass "einmal vier Wochen Ferien nichts bringen", so Leeb. Wichtig sei ein kontinuierlicher Kontakt, "dann baut sich eine Freundschaft auf". Eine schmerzvolle mitunter. Leeb erzählt von einem Jungen aus Weißrussland, der in den Ferien mehrmals nach Bayern kam. Und jetzt, als junger Mann, habe er Hodenkrebs. "Das ist so eine Zeitbombe, die Radioaktivität ...", sagt Leeb.

Von Blauäugigkeit mag Bürgermeister Forster nichts wissen. "Wir bereiten uns fast generalstabsmäßig vor." Dies betreffe die Unterbringung, die Verpflegung, die Betreuung. Die Stadt könne auf einige Dolmetscher in Wolfratshausen zurückgreifen, andere kämen aus Iruma. Durch die lange Städtepartnerschaft wisse man auch, was Japaner gerne essen, was nicht. Die medizinische und eventuell psychologische Versorgung sieht er ebenfalls nicht als Problem: "Wir haben genug Ärzte, die sich zur Verfügung stellen." Aber auf alles, räumt Forster ein, "kann man sich jetzt nicht zu 100 Prozent vorbereiten".

Unwägbarkeiten gibt es auch bei der Finanzierung. "Es kommen große Kosten auf die Stadt zu", prophezeit Leeb. Alleine die Flüge für 50 Kinder kämen auf etwa 100000 Euro. Solche Ausgaben könne Wolfratshausen nicht schultern, sagt Forster. "Die Flüge müssen von den Eltern bezahlt werden, aber wir werden die Kosten hier voll übernehmen." Am Geld solle die Solidaritätsaktion jedenfalls nicht scheitern. Die Stadt will noch einen Spendenaufruf starten, "den Rest tragen dann wir". Japanische Kinder will auch die Stadt Penzberg beherbergen. "Ich denke nicht so an das Finanzielle, im Vordergrund steht die humanitäre Hilfe", sagt Bürgermeister Hans Mummert. Zu den Vorbereitungen mag er sich noch nicht näher äußern. "Es sind viele Sachen abzuklären." Allerdings sei das Angebot der Stadt "nicht nur ein Lippenbekenntnis".

Und dann gibt es da noch den Partnerschaftsverein Iruma in Wolfratshausen. Die zweite Vorsitzende Christine Löffler hatte schon häufig zwei Mädchen aus Iruma bei sich zu Gast. Nach dem Erdbeben hatte sie vergeblich versucht, die beiden telefonisch zu erreichen. Sie hoffe, dass nichts Schlimmes passiert sei, sagt Löffler. Nachdenklich fügt sie hinzu, dass es bei einem Super-GAU wohl nicht viel nütze, wenn Kinder aus Japan "bloß vier Wochen" da seien. "Und was dann?"

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