Wolfratshausen:Umzug ohne Stimme

Eine Frau darf am Sonntag nicht wählen, weil sie erst seit Februar an ihrem neuen Wohnort gemeldet ist.

Von Michael Korell

Bitter enttäuscht von den Kommunalwahlen ist eine schon jetzt. Dabei ist ganz egal, wie das Ergebnis aussehen wird. Eine Neu-Wolfratshauserin, Jahrgang 1945, ärgert sich über das bayerische Kommunalwahlrecht. Das besagt, dass eine der Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht ist, dass sie am Wahltag seit "mindestens zwei Monaten im Wahlkreis" wohnt. Die Regel schließt Bürger davon aus, als Souverän an der Urne zu agieren. Denn mit dem Umzug erlischt das Wahlrecht am alten Wohnort. So ergibt sich eine Lücke von für zwei Monaten.

Allerdings ist das nicht nur in Bayern so geregelt. In fast allen anderen Bundesländern muss man sogar drei Monate im Kreis wohnen, außer in Nordrhein-Westfalen, da sind es nur 16 Tage.

Die Dame, die, wie sie sagt, politisch sehr interessiert ist, hat sich extra vorab gut über ihre neue Heimat informiert. Sie ist am 21. Februar aus dem Landkreis München nach Wolfratshausen gezogen. "Vor Gott und den Gesetzen sind doch alle gleich" sagt sie. "Ich bin aber nicht so gleich, dass mein Wahlrecht mit mir umgezogen wäre." Sie verstehe schlichtweg nicht, warum man ihr die Kompetenz abspreche, sich ein Urteil zu bilden. Sie fühle sich "bevormundet und entmündigt".

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, sagt das Grundgesetz. Das Volk übt sie in freien, gleichen und geheimen Wahlen aus. Die ausgeschlossene Dame will daher die Sache nicht auf sich sitzen lassen: "Das ist mein Recht und darauf bestehe ich!", sagt sie entrüstet.

So einfach ist das alles aber nicht. Franz Kohout, Professor für Politische Systemforschung an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg, sagt, er sehe die Chancen, dass die Frau ihr Recht durchsetzen könne, eher schlecht. "Fristen haben Sinn", erklärt er, denn es handle sich bei Wahlen um einen enormen Verwaltungsaufwand, der nur dann zu bewältigen sei, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt sei, wer wählen dürfe. Es geht also mehr darum, den sauberen Ablauf einer Wahl zu gewährleisten, als jemanden auszuschließen.

In der Zeit, in der die Kommunalwahlgesetze entstanden, war der technische und bürokratische Aufwand für die Listenerstellung viel größer als heute. Aktenberge mussten überprüft werden, und das ohne Computer. Daher hatte die Regelung "ihren guten Grund, um die Wahl für die Behörden ,handhabbar' zu machen", sagt Michael Weigl, Politikwissenschaftler an der Universität München.

Heute bräuchte man eine so lange Frist eigentlich nicht mehr. Denn das Wählerverzeichnis werde erst am Tag vor der Wahl fertiggestellt, erklärt Franz Gehring, Amtsleiter im Wolfratshauser Rathaus. Er verweist aber darauf, dass ohne eine Frist die Möglichkeit bestünde, doppelt abzustimmen: einmal per Briefwahl in der alten Gemeinde und persönlich in der neuen. Allerdings könnte man selbst das heute ausschließen, sagt Gehring. Denn elektronisch ließe sich schnell abgleichen, ob eine Bürgerin in ihrer alten Gemeinde Briefwahl beantragt hat. Dann könnte man sie immer noch von der Wählerliste der neuen Kommune nehmen.

Bei den nächsten Wahlen darf die Wolfratshauserin wieder an die Urne. Nur umziehen darf sie davor nicht.

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