Die Lage der Wolfratshauser Altstadt zwischen Bergwald und Loisach mag reizvoll sein. Dass sie bei Starkregen jedoch auch gefährlich ist, weiß man spätestens seit dem Frühsommer 2016, als heftige Niederschläge sich in einer Flutwelle bis in die Marktstraße ergossen, die auch Teile des Hanges unterhalb des Golfplatzes mit sich riss. Nach Diskussionen und Schuldzuweisungen wurde oben auf dem Plateau ein Rückhaltebecken für solche Fälle geschaffen. Dass man aber in Zeiten des Klimawandels langfristig mehr tun muss, war dem Stadtrat auch klar. Per Beschluss im Gremium wurde daher 2017 ein staatlich gefördertes Konzept zum Sturzflutrisikomanagement in Auftrag gegeben. Dieses soll dabei helfen, Überschwemmungen zu vermeiden, sowie gefährdete Gebäude und ihre Bewohner zu schützen. Sechs Jahre nach dem Murenabgang ist es nun im Stadtrat vorgestellt worden.
Wolfgang Deffner, der das Konzept gemeinsam mit Daniela Augustin vom beauftragten Ingenierbüro Sweco GmbH aus Bremen vorstellte, bremste gleich zu Beginn die Hoffnungen: Man dürfe keine dezidierten Planungen erwarten, sagte er. Vielmehr handle es sich bei dem Konzept „um ein Kochbuch mit verschiedenen Rezepten: Ein paar Zutaten haben Sie zu Hause, ein paar muss man jetzt noch einkaufen und dann mit dem Kochen anfangen.“ Die Analyse des Büros für den gesamten Altstadtbereich vom Golfplatz über dem Bergwald bis zum Westufer der Loisach, die Augustin dann stichpunktartig präsentierte, bildet jedoch eine wichtige Grundlage für weitere Maßnahmen, die die Kommune gemeinsam mit Eigentümern und Akteuren aus Land- und Forstwirtschaft und Gewerbe ergreifen sollte.
Als Sturzflut, diese Definition stellte Augustin ihren Ausführungen voran, bezeichne man „kurzfristig auftretende, große oder sehr große Oberflächenabflüsse innerhalb eines Siedlungsgebiets aufgrund lokal auftretender Starkregen“. Für das Konzept habe ihr Büro zunächst in einer Bestandsanalyse die Topografie der Altstadt am Bergwald samt Bebauung und Infrastruktur betrachtet und dann im Anschluss auch mithilfe einer Berechnung für die Gewässer dritter Ordnung, also kleinere Bäche in kommunaler Verantwortung, die Gefahren ermittelt. Daraus habe sich schließlich die unterschiedliche Betroffenheit der verschiedenen Gebäude im Falle einer Sturzflut ergeben, die in verschiedenen Farben auf einer Karte eingezeichnet wurden. Damit könne man Schutzziele für „besonders schützenswerte Risikoobjekte“ definieren, etwa besondere Gebäude wie Kindergarten, Schule und Rathaus. In der letzten Phase gehe es dann um konzeptionelle Maßnahmen, die Augustin in die Kategorien technischer Schutz, natürlicher Rückhalt und Vorsorge unterteilte. Hier sei „die Lage leider nicht so einfach“, sagt Augustin. Technische Maßnahmen wie Rückhaltebecken, Dämme oder Erdwälle seien aufgrund der Topografie im Bergwald schwierig.
Vier Maßnahmen haben die Ingenieure jedoch in ihrem Papier als neuralgische Punkte im Untersuchungsgebiet identifiziert: So könne man am Kathi-Kobus-Steig das Wasser, das dort dann nicht gedrosselt abläuft und „einfach losschwappt“, wie Augustin sagte, gezielt ableiten. Auch am Burgholz und am Eichheimweg sei dies möglich. Dort könne man etwa mit Mauern ein gewisses Volumen schaffen, um das Wasser gezielt in Richtung Untermarkt und Loisach abfließen zu lassen. An der Äußeren Münchner Straße wiederum lasse sich ein Graben mit Wall für die Rückhaltung errichten. Und am Rauchergraben könne man das Volumen für die Rückhaltung von Regenwasser erhöhen. Dazu empfahl Augustin verschiedene Objektschutzmaßnahmen wie wasserdichte Kellerfenster und mobile Dammbalken-Systeme. Als besonders gefährdet hatte sie mit ihrem Team das AWO-Seniorenheim nahe am Mühlbach, sowie den Kindergarten St. Sebastian identifiziert. Dieser sei jedoch, wie Augustin sagte, nur bei „Gefahrenüberlagerung“ betroffen, wenn also das gesamte Einzugsgebiet vom Starkregen betroffen sei, was Augustin als „Worst-Case-Szenario“ beschrieb.
„Generell muss man sagen, dass eine Maßnahme ohne die andere nicht ausreicht“, erklärte Deffner. Vielmehr müsse man „das große Ganze sehen“. Er empfahl der Stadt, die Prioritäten nun auf die Rückhaltung am Eichheimweg, Schutzmaßnahmen für gefährdete Objekte und die Aufklärung der Eigentümer zu legen. Das vorgelegte integrale Konzept sei „nur der erste Punkt“. Die Schutz- und Vorsorgemaßnahmen müssten nun geplant, rechtlich genehmigt, umgesetzt und dann dauerhaft betrieben werden. Mit der Karte könnten die Eigentümer sehen, ob sie im Falle einer Sturzflut betroffen seien und sich dann von Fachleuten beraten lassen.
Die Stadträte dankten für das Konzept, dessen Ausarbeitung auch wegen mehrerer Personalwechsel bei Sweco so lange gedauert hatte, wie die Ingenieure einräumten. Es werde der Stadt als „Fahrplan oder Rezept in dieser essenziellen Bedrohung“ dienen, sagte BVW-Sprecher Josef Praller, „und uns viele Jahre beschäftigen und auch einige Euros in den nächsten Haushalten kosten“. Laut Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) soll nun per Ausschreibung ein Planungsbüro für die ersten Maßnahmen gefunden werden, die man dann „je nach Haushaltslage nacheinander umsetzen“ werde.