Dass die Wohnungsknappheit die Kommunen im Münchner Speckgürtel vor große Herausforderungen stellt, lässt sich in Wolfratshausen gut beobachten. Die Stadt ist mit gerade einmal 9,14 Quadratkilometern Gesamtfläche samt Bergwald und FFH-Gebiet an der Isar sowie circa 19 000 Einwohnern die am dichtesten besiedelte im Landkreis. Die Wachstumsmöglichkeiten in der Fläche sind minimal, in den Ortsteilen soll die Nachverdichtung aufs Notwendige beschränkt und wertvolles Grün für die Lebensqualität aller möglichst erhalten bleiben. Da sind sich die Mitglieder im Stadtrat einig. Wenn man mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen will, bleibt also nur der Weg nach oben.
Doch wie hoch ist hoch genug? In dieser Frage scheiden sich in Wolfratshausen die Geister. Einig war man sich da bisher nur bei den Firmengebäuden. Schon im Dezember 2017 hatte der Stadtrat beschlossen, den Bebauungsplan für das Gewerbegebiet am Hans-Urmiller-Ring so zu ändern, dass dort fortan sechs Geschosse erlaubt sind – bis dato waren es vier. Bei Wohngebäuden aber blieb es bislang bei Absichtserklärungen. So hieß es zwar, dass man den Ausbau von Dachgeschossen erleichtern wolle, damit Eigentümer im Bestand vergleichsweise unkompliziert neuen Wohnraum schaffen können. Eine einheitliche Regelung aber gibt es nicht. Dass es diesbezüglich noch keine klare Linie in der Stadtpolitik gibt, hat sich vor der Sommerpause mal wieder gezeigt. In Bauausschuss, Stadtrat und Ferienausschuss wurden zwei konträre Beschlüsse gefasst: Einmal wurde ein im Bebauungsplan nicht vorgesehenes zusätzliches Vollgeschoss gestattet, das andere Mal nicht.
Günther Eibl befürchtet eine Änderung der Stadt-Silhouette
In der Juli-Sitzung des Bauausschusses hatten die Stadträte über einen Antrag auf Baugenehmigung für ein Zweifamilienhaus zu entscheiden, das am Loisachufer entstehen soll. Die Eigentümerin hatte für den Anbau an ein bestehendes Gebäude (Hausnummer 28) ein Grundstück der Stadt erworben. Das Vorhaben war laut Sitzungsvorlage bereits zweimal zuvor nicht öffentlich behandelt worden. Die Stadträte hatten dabei geringfügige Überschreitungen der Bebauungsplanvorgaben in Bezug auf die Baulänge und die Dachneigung befürwortet, ein drittes Vollgeschoss jedoch abgelehnt. Als Vollgeschoss gilt laut bayerischer Bauordnung ein Stockwerk, wenn die Deckenhöhe auf mehr als zwei Dritteln der Grundfläche 2,30 Meter übersteigt. Der Bebauungsplan für das Grundstück am Loisachufer schreibt an dieser Stelle zwingend zwei Vollgeschosse vor, nicht mehr und nicht weniger. Im modifizierten, nun vorgelegten Antrag wurden aus drei Wohneinheiten zwei, das Dachgeschoss soll jedoch mit vier „Zwerchhäusern“ errichtet werden und wird dadurch laut Verwaltung „rechnerisch ein Vollgeschoss“.
In der Diskussion zeigten sich zwei Lager im Stadtrat: Die CSU-Stadträte sowie Gerlinde Berchtold (SPD) befürchteten einen Präzedenzfall und beharrten auf Einhaltung des Bebauungsplans. Man schaffe sonst für jedes Gebäude im Geltungsbereich „die Option, aufzustocken“, warnte Günther Eibl (CSU) und befürchtete, „dass die Silhouette in Wolfratshausen dann in ein paar Jahren ganz anders aussieht“. Das restliche Gremium jedoch sah die Überschreitung als akzeptabel an, weil das Gebäude sich gut in die Bebauung der Nachbarschaft einfüge und diese in der Höhe auch nicht überschreite. Seit jeher gebe es unterschiedliche Dachlandschaften in der Altstadt, sagte BVW-Sprecher Josef Praller, weil die verschiedenen Gewerbe wie Seilereien, Schlossereien und andere unterschiedliche Raumhöhen gebraucht hätten. Ob die Änderung ein zusätzliches Vollgeschoss auslöse, sei unerheblich, sagte Praller. „Für uns ist es erheblich, dass mehr Wohnraum geschaffen wird, und sich das Gebäude einfügt.“ Da die Einzelfallentscheidung des Stadtrats von diesem Faktor abhänge, sei die „Nachahmungsfähigkeit begrenzt“, fand Hans Schmidt (Grüne). Das zusätzliche Vollgeschoss wurde schließlich mehrheitlich befürwortet, auch in der Stadtratssitzung wenige Tage später.
„Ein Schwarzbau ist für mich ein Schwarzbau“, sagt der Bürgermeister
Anders fiel die Entscheidung hingegen bei einem Vorhaben wenige Meter entfernt am Johannisplatz 3 aus – obwohl die dafür nötige Bautätigkeit deutlich geringer ausfallen soll: Im ersten und zweiten Obergeschoss eines Gebäudes will der Eigentümer zwei Arztpraxen in fünf Wohnungen umwandeln. Dafür aber müssten die bestehenden Dachgauben nachträglich legalisiert werden. Denn diese lösen nach Einschätzung der Unteren Bauaufsichtsbehörde im Landratsamt ein drittes Vollgeschoss aus. Zulässig sind im Bebauungsplan aber nur zwei. Als der Antrag auf Nutzungsänderung im Ferienausschuss des Stadtrats Anfang August behandelt wurde, wollten ihm nur die beiden Grünen-Stadträte im Gremium ihr Einvernehmen erteilen: Hans-Georg Anders und Hans Schmidt sahen die Umnutzung unproblematisch, da sich vom Bauvolumen nichts ändere und das Gebäude ja seit vielen Jahren so bestehe. Der Rest des Gremiums aber lehnte ab.
Dass das Einvernehmen mit zwei zu acht Stimmen abgelehnt wurde, hat wohl auch damit zu tun, dass der Stadtrat seit dem Abrissbescheid für die in illegalen Dimensionen errichteten Häuser am Isarspitz seine harte Linie wahren will. Auch das Obergeschoss in dem Gebäude am Johannisplatz sei so ursprünglich nicht genehmigt worden, erklärte die Leiterin des Planungsreferats, Sabine Trinkl. Die Baugenehmigung von 1974 sehe eigentlich kleinere Gauben vor. Wie lange das Gebäude so bestehe, spiele für ihn da keine Rolle, sagte Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW). „Ein Schwarzbau ist für mich ein Schwarzbau.“