Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Sein Leben ist ein Wunder

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Der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz erzählt von der Nachkriegszeit in Waldram

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Kurz nach Kriegsende kommt Leslie Schwartz in das Lager Föhrenwald. Der damals 15-jährige ungarische Jude ist von der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie gezeichnet. Er ist stark abgemagert und wiegt nur noch 35 Kilogramm. Mit mehreren jungen Männern ist er in einem Häuschen in der New-York-Street untergebracht und schläft in einem Stockbett. "Wir waren nur interessiert, erst einmal zu fressen", sagt der heute 85-Jährige, als er am Dienstag vor der alten Unterkunft steht. Deshalb hätten sie sich mit Sardinen und Thunfisch aus Dosen vollgestopft, sagt er.

Mehrere Monate lang verbrachte Schwartz bis Juli 1946 in dem Lager für so genannte Displaced Persons, die den Holocaust überlebt hatten. Danach wanderte er in die Vereinigten Staaten aus. Jetzt steht er vor dem alten Häuschen in der Rupert-straße im heutigen Wolfratshauser Stadtteil Waldram und klingelt. Doch niemand öffnet.

Sybille Krafft, Vorsitzende im Förderverein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald", begleitet und interviewt ihn. Sie und ihre Mitstreiter arbeiten an einer Dokumentations- und Begegnungsstätte im ehemaligen Badehaus des Lagers. Dort sind Ausstellungen, Führungen, Workshops, Vorträge und Zeitzeugengespräche geplant.

Es sei sehr wichtig, dass ein solcher Ort entstehe, sagt Schwartz. Vor allem in Deutschland besucht er seit vier Jahren Schulen und erzählt seine Geschichte. Die Nazis deportierten ihn 1944 im Alter von 14 Jahren nach Ausschwitz. Dort wurde seine ganze Familie ermordet. Er kommt ins Konzentrationslager Dachau, später nach Mühldorf am Inn. Kurz vor Kriegsende pferchen die Nazischergen 3600 jüdische Häftlinge in einen Todeszug Richtung Süden. Schließlich befreien US-amerikanische Truppen sie bei Tutzing.

Verbitterung über sein Schicksal ist nicht zu spüren. Er zeigt eines der drei Bücher, in die Schüler nach seinen Vorträgen hineinschreiben. Das lese er immer vor dem Einschlafen, sagt er. "Ich habe die jungen Leute sehr lieb." Schön seien auch seine Erinnerungen an Föhrenwald. Hektisch sei das Leben gewesen. Viele junge Leute seien auf den Straßen gewesen. Es habe Spaß gemacht, dort zu sein vor allem der jungen Mädchen wegen, sagt er. Eine von ihm Verehrte ließ ihn allerdings abblitzen, weil er damals zu jung war, erinnert er sich.

"Mein Leben ist ein Wunder", sagt er zum Abschied. Eine Stunde vorher hatte ihn Fördervereinsmitglied Karlheinz Rauh mit dem Auto aus Gars am Inn abgeholt, wo Schwartz vor Schülern erzählt hat. Jetzt muss er weiter mit dem Auto zum Münchner Flughafen. Nebenbei erwähnt er noch, dass ein Film über sein Leben entstehen soll. Darin werde ihn Dustin Hoffman verkörpern, sagt er. Wenn gedreht werde, müssten er und die Filmcrew unbedingt nach Wolfratshausen kommen, wünscht sich Krafft.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2015
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