Wolfratshausen:S-Bahn nimmt Rollstuhlfahrer nicht mit

Wolfratshausen: Rollstuhlfahrer sind oft auf die Hilfe anderer angewiesen.

Rollstuhlfahrer sind oft auf die Hilfe anderer angewiesen.

(Foto: Hartmut Pöstges)
  • Ein Fahrer der S-Bahn-Linie S 7 hat einen Rollstuhlfahrer am Bahnhof Wolfratshausen stehen lassen.
  • Die Bahn hat sich für den Vorfall entschuldigt.
  • Der Einstieg in die S-Bahn ist für die meisten Rollstuhlfahrer nur an der ersten Tür des vordersten Wagens über eine Rampe zu bewältigen.

Von Martin Brjatschak

Christoph Krug kann kaum fassen, was ihm kürzlich passiert ist. Der 22-Jährige benötigt den Rollstuhl und ist daher oft auf die Hilfe anderer angewiesen. So auch vor wenigen Tagen. Da hatte ihm sehenden Auges ein Lokführer der S-Bahn die Tür vor der Nase zugemacht. Krug ist entsetzt. "Meine Mutter hatte sofort die Knöpfe an verschiedenen Türen gedrückt, aber es hat sich keine mehr geöffnet" erzählt Christoph Krug. Und dabei hätte der Lokführer ihn genau gesehen, betont er.

Die Bahn spricht auf Anfrage von einer "Verkettung unglücklicher Zufälle" und einer "missglückten Kommunikation" zwischen dem Lokführer und dem 22-Jährigen. Die Bahn entschuldigt sich aber für den Vorfall.

Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, benötigen im Alltag oftmals die Hilfe ihrer Mitmenschen. So ist der Einstieg in die örtliche S-Bahn für die meisten Rollstuhlfahrer nur an der ersten Tür des vordersten Wagens zu bewältigen. Dort gibt es nämlich einen speziellen Knopf. Wenn dieser gedrückt wird, signalisiert dies dem Lokführer, dass ein Passagier mit körperlichen Einschränkungen zu- oder aussteigen will. Daraufhin muss der Zugführer die Fahrerkabine verlassen und dem Betroffenen helfen. Er muss eine Rampe anbringen, damit der Rollstuhlfahrer die von Bahnhof zu Bahnhof unterschiedlichen Höhen zur S-Bahn überwinden kann.

Am Bahnhof Wolfratshausen habe sich Christoph Krug in Begleitung seiner Mutter dem vorderen Zugabschnitt der S 7 genähert. Der Lokführer sei währenddessen auf dem Bahnsteig gewesen. Wie der 22-Jährige schildert, hätten sich seine Mutter und er laut bemerkbar gemacht. Dies sei dem Lokführer nicht entgangen, berichtet Krug. Trotzdem sei er in die Fahrerkabine gestiegen. Dann habe er den 22-Jährigen per Durchsage zum Einstieg aufgefordert. Wenig später seien jedoch alle Türen verriegelt gewesen. Krug sei daraufhin zur Fahrerkabine gerollt und habe sich nochmals laut bemerkbar gemacht. Doch der Lokführer habe nicht reagiert und wortlos das Fenster geschlossen, berichtet Krug weiter.

Christoph Krug war lange vor seiner geplanten Abreise am Bahnsteig angekommen. Er hatte sich, wie Krug sagt, mit einem Bekannten verabredet, der an der Münchner S-Bahn-Station Harras auf ihn wartete. Der Bekannte habe ihm beim Aussteigen helfen wollen. Deshalb sei es für ihn wichtig gewesen, den verabredeten Zug zu bekommen, erklärt Krug.

Dass die "verpasste" S-Bahn gar nicht "seine" war, hat Christoph Krug erst später erfahren. Denn die Bahn sei etwa zehn Minuten verspätet abgefahren. Trotzdem verstehe er die Reaktion des Lokführers nicht. "Es hätte nur wenige Sekunden gedauert, die Rampe auszulegen und mich mitfahren zu lassen" sagt er.

Der Pressesprecher der Bahn erklärt, das Verhalten des Lokführers sei auf den bereits erteilten "Abfahrtsbefehl" zurückzuführen. Der Mann habe somit nicht anders handeln können. Die S 7 verkehrt auf einigen Abschnitten eingleisig. Dies ist unter anderem zwischen Wolfratshausen und Icking der Fall. Da in Icking bereits die nächste S-Bahn gewartet habe, habe der Lokführer zügig abfahren müssen, betont der Bahnsprecher. Er äußerte dennoch "tiefes Bedauern" und entschuldigte sich im Namen der Bahn für den Vorfall. Es sei ein "strammer Prozess", den ein Zug vor dem Abfahren durchlaufe, erklärt er. Diesen habe der Lokführer nicht unterbrechen können.

Mit der nächsten Bahn um 19.44 Uhr - und auch sonst - habe es laut Christoph Krug keine derartigen Probleme gegeben. Trotzdem habe er sein Erlebnis auf Facebook öffentlich gemacht. Bereits nach kurzer Zeit entwickelte sich eine rege Diskussion über das Ereignis. Der Post habe jedoch nicht nur zu der Debatte auf Facebook geführt, sondern noch etwas anderes bewirkt: Christoph Krug solle sich mit der Bahn in Verbindung setzen, schlägt der Bahnsprecher vor. Dann könne man "bilateral" neben einer persönlichen Entschuldigung auch eine mögliche Entschädigung für den unglücklichen Vorfall besprechen.

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