Die Demokratie brauche öffentliche Räume, in denen Menschen in sicherem Rahmen diskutieren können, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär am Dienstagabend im Foyer der Loisachhalle in Wolfratshausen – auf einer Debatte, die genau das einlöst. Martin Lorenz hat für die Initiative „Gemeinsam für Demokratie und Vielfalt“ eingeladen, mit den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises über Politikverdrossenheit zu sprechen – und circa 80 Leute sind gekommen, um zuzuhören. Auf dem Podium fehlt allerdings der FDP-Bundestagsabgeordnete Daniel Föst, weil er erkankt ist. Für ihn ist Tim Sachs aus Bichl eingesprungen, der noch kein Mandat hat, aber zur Bundestagswahl als Direktkandidat antritt. Für die SPD ist Sebastian Roloff da, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis München-Süd. Die CSU hat keinen Ersatz für den heimischen Wahlkreis-Abgeordneten Alexander Radwan geschickt, der terminlich verhindert ist.
Der Grüne Abgeordnete Bär spricht das Gefühl vieler Bürger, dass der Staat nur noch schlecht funktioniere, in seinem Eröffnungsstatement direkt an. Beispielhaft nennt er die Bahn, die Bundeswehr, das Gesundheitssystem und auch die Digitalisierung. So mache etwa Lettland vor, dass Behörden auch ohne viel Papier arbeiten könnten, sagt er. Sein Fazit: „Ich denke, wir müssen einiges für einen funktionierenden Staat investieren.“ Zudem seien Politiker gefragt, denen das große Ganze wichtiger sei als nur darauf zu schauen, wie sie persönlich am besten vorankämen. Für den öffentlichen Diskurs seien die sozialen Medien, die Menschen mittels Algorithmen in bestimmte Richtungen trieben, sehr problematisch.
Lösungen erarbeiten, um Extremisten die Themen wegzunehmen
Wie Politiker sprechen, ist laut Roloff von der SPD auch einer der Gründe, warum Menschen dem demokratischen System zunehmend misstrauen. „Wir haben Angst vor Kontroversen“, sagt der Jurist. „Es wäre gut, wenn wir aus dem Nichtssagenden rauskommen.“ Es nütze nichts, alles schönzureden, nur um nicht anzuecken. Als Beispiel nennt er das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen, das klar verfehlt worden sei. Statt der Debatte aus dem Weg zu gehen, müsse die Politik vielmehr erklären, dass der Ukraine-Krieg mit daraus folgenden höheren Baukosten und -preisen sowie Fachkräftemangel dafür ursächlich seien, so Roloff.
Der Bichler Tim Sachs weist den Begriff der Politikverdrossenheit zurück. „Ich sehe eher eine Vertrauenskrise in die Politik“, sagt der FDP-Bundestagskandidat. Über den demografischen Wandel sei genauso schon in den 1980er- und 1990er-Jahren debattiert worden, ohne dafür Lösungen zu erarbeiten. Die brauche es aber, um extremistischen Rändern die Themen wegzunehmen. Die Politik müsse darauf antworten, wie das Wohnen wieder leistbar werden oder eine ökologische Wirtschaftstransformation gelingen könne. Wenn sie aber immer nur das Gleiche mache, gehe nichts voran. „Im Wahlkampf muss Polarisierung sein“, findet Sachs. „Wir können den Bürgern Diskussion zumuten.“ Anschließend hätten die Parteien die Aufgabe, Politik für alle Bürger zu machen.
Uneinigkeit in der Frage nach einem AfD-Verbot
In der Frage, ob es einen Verbotsantrag für die AfD geben soll, zeigen sich Differenzen auf dem Podium. Bär und Roloff treten klar dafür ein. Sachs hingegen kann zwar nachvollziehen, dass darüber debattiert wird. Wenn ein Verbot aber der einzige Lösungsansatz sein solle, frage er sich, ob die Politik damit nicht versagt habe.
Unterschiedlich reagieren die anwesenden Politiker auch, als ihren Parteien ein 17-jähriger Zuhörer vorwirft, in den vergangenen Jahren nichts gegen steigende Lebensmittelpreise, das gesunkene Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum oder die wirtschaftlichen Probleme getan zu haben. Die wirtschaftlichen Probleme rührten daher, dass die russische Regierung den Gashahn abgedreht habe, antwortet Bär. Roloff räumt ein, dass es Wohlstandsverluste gebe. Die Lebensmittelpreise seien aber durch den Ukraine-Krieg entstanden. „Wenn die Bundesregierung nicht gehandelt hätte, wäre die Situation viel schlechter.“ Richtig sei, dass das Sicherheitsgefühl abgenommen habe. Polizeistatistiken zeigten dagegen, dass sich die Lage nicht verschlechtert habe. Sachs findet es aber wenig hilfreich, damit zu argumentieren, wenn er etwa an die Betonpoller vor Christkindlmärkten denke, die es in seiner Kindheit nicht gegeben habe.

Um Vertrauen wieder zurückzugewinnen, plädiert Beatrice Wagner, die sich als Ickinger SPD-Vorsitzende aus dem Publikum meldet, dafür, die während der Pandemie ergriffenen Maßnahmen ehrlich zu beleuchten. Dass die Politik sich über fachliche Einschätzungen hinwegsetzte, habe sie in ihrem demokratischen Verständnis sehr getroffen. „Es wird aber nichts aufgearbeitet“, sagt sie. Roloff erklärt seine Hoffnung, dass das der neue Bundestag angehe. Bär betont dagegen, dass in seiner Welt die Pandemie keine Rolle mehr spiele. Die Politik habe kein Mittel gefunden, eine gemeinsame Erinnerung herzustellen.
Ein Allheilmittel gegen den Vertrauensverlust kann das Politiker-Trio erwartungsgemäß nicht ausmachen. Auch als der Kreisobmann des Bauernverbands Peter Fiechtner der Bundespolitik den ständig größeren Bürokratismus vorwirft, bleiben die Abgeordneten eine Antwort schuldig. Sie betonen aber den Wert der Medien- und Bildungskompetenz, um sich dagegen zu wehren, dass Radikale den Staat unterwandern. Dann meldet sich Andreas Wagner, der einst Bundestagsabgeordneter der Linken war und nun Mitglied der SPD ist: Politiker sollten eigene Ideen in den Vordergrund stellen, statt sich einen Überbietungswettbewerb zu liefern, dass die Gegenseite völlig falsch liege, wirft der Geretsrieder ein – und liefert damit ein gutes Schlusswort.