Neue Ausstellungsreihe :Die süße Geschichte eines Wolfratshauser Hauses

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Den Auftakt zur neuen Reihe „Häusergeschichten“ machte das Eiscafé Cristallo am Untermarkt 12, mit dabei waren (v.li.) Günter Eibl, Annekatrin Schulz, Martin Melf, Silke Vogel, Mary und Fabio Faganello, Magdalena Hagn (Hausbesitzerin), Maurizio Faganello und Klaus Heilinglechner. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit 400 Jahren wird am Obermarkt 12 Naschwerk verkauft: Wo einst die Konditorei Hagn gesellschaftlicher Treffpunkt war, setzt nun das Eiscafé Cristallo die Tradition der Lebzelter fort.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

In der kleinen Vitrine ist verschiedenes Geschirr ausgestellt, wie es vor hundert Jahren zur Grundausstattung eines gehobenen Cafés gehörte: Eine Kaffeekanne, ein Serviertablett, Teegläser, eine Eisschale auf schlankem Fuß, alles aus Silber. Und eine Art Puppenbesteck, bei dem man nicht auf Anhieb weiß, wozu es diente. „Damit hat man Pralinen serviert“, erklärt Magdalena Hagn zu dem Set aus langstieligem Schäufelchen mit passendem Löffel und Gabel. Mit ihnen konnte man die zarten Schokoladenstücke stilvoll greifen, ohne die Finger zu benutzen. Die 92-jährige ehemalige Kaffeehaus-Chefin hat die Geschirrstücke mitgebracht, die um 1920 herum für die Eröffnung des Café Hagn angeschafft wurden.

Das Café Hagn im Untermarkt 12, circa 1925. (Foto: Hartmut Pöstges)

„Häusergeschichten“ heißt die neue Ausstellungsreihe der Stadt Wolfratshausen. Den Anfang macht das Gebäude am Obermarkt 12. Früher war hier das Café Hagn zu Hause und heute ist es das Eiscafé Cristallo, das zum Ausstellungsbeginn auf den Tag genau sein 35-jähriges Gründungsjubiläum feiern konnte. Das Haus ist aber noch viel länger eine Anlaufstelle für Schleckermäuler. Genauer gesagt fast 400 Jahre: Im Jahr 1630 wurde es erstmals als Betrieb eines Lebzelters erwähnt. So nannte man früher die Spezialbäcker, die Lebkuchen herstellten. Um auf die geschichtsträchtige Vergangenheit aufmerksam zu machen, haben Stadtmuseum, Stadtarchiv und Stadtbücherei in einer Kooperation eine Ausstellung aus historischen Fotos, Hintergrundinfos und verschiedenen Gegenständen zusammengestellt, die im Cristallo während der Öffnungszeiten zu sehen sind.

Das Café Hagn zwischen 1940 und 1950. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Markt sei früher von vielen Handwerkern geprägt gewesen, erklärt Referatsleiter Manfred Melf, der die Idee dazu hatte, die Geschichte einiger alter Häuser in Wolfratshausen näher zu beleuchten. Zu den ansässigen Zünften gehörte auch der Lebzelter im Obermarkt 12, der nicht nur sein Gewürzgebäck, sondern auch den Honigwein Met verkaufen durfte. Im 18. Jahrhundert sei als Getränk der Kaffee dazugekommen, weiß Melf, ein kulinarisches Andenken der Türken, die bekanntlich einst vor Wien standen. Damit wurde der Übergang zum Café- und Konditoreibetrieb geschaffen. Ende des 19. Jahrhunderts war dort das Café Schiller angesiedelt. 1920 kaufte der aus Freising stammende Konditor August Hagn das Haus und den Betrieb. Das Café entwickelte sich zum gesellschaftlichen Treffpunkt.

Der letzte Schrei: Speiseeis

Ein Hauch von Noblesse in den Wolfratshauser Alltag brachte die Herstellung von Speiseeis, damals der letzte Schrei, ein Plakat im Schaufenster wirbt für „Gefrorenes“, wie auf einer alten Aufnahme zu sehen ist. Auch die nächste Generation war bekannt für ihre feinen Backwaren. Die Zuger Kirschtorte sei damals der Renner gewesen, erinnert sich Magdalena Hagn, die zur Ausstellungseröffnung gekommen ist.

Eine Spezialität sei auch die als „Schiraff“ ausgesprochene Girafftorte mit ihrer Baiserhaube gewesen, bei der man beim Backen höllisch aufpassen musste, dass die weiße Eiweißglasur nicht verbrannte. Sie heiratete Alfred Joseph Hagn, den Sohn des Gründers, der auch Konditor war und führte zusammen mit ihm das Café, bis ihn eine Mehlallergie zwang, den Beruf zu wechseln. Seit 1973 kamen und gingen verschiedene Pächter, wie zum Beispiel die Familie Grill. Alfred Hagn starb 2020, seiner Witwe gehört bis heute die Immobilie.

Neuanfang nach der Katastrophe

Die Café-Tradition setzte sich mit Renato Faganello fort, der am 29. November 1989 das Eiscafé Cristallo eröffnete. „Seit Tag eins bin ich dabei, als 18-Jähriger habe ich mit dem Vater angefangen“, erzählt Maurizio Faganello, der in dritter Generation Eismacher ist und das Cristallo mit Ehefrau Mary und mittlerweile auch Sohn Fabio führt. Es war die Katastrophe des Vajont-Dammbruchs, der den Lebensweg der Familie aus Venetien bestimmte: Im Jahr 1963 verursachte ein Bergsturz eine gewaltige Flutwelle, bei dem das norditalienische Städtchen Longarone vollständig ausgelöscht wurde. Unter den 2000 Menschen, die starben, waren auch die Eltern des jungen Renato Faganello, der daraufhin einen Neuanfang als Gelatiero in Deutschland wagte und dem es nach verschiedenen Stationen schließlich in Wolfratshausen am besten gefiel.

V.li.: Günter Eibl, Annekatrin Schulz, Martin Melf, Silke Vogel, Mary und Fabio Faganello, Magdalena Hagn (Hausbesitzerin), Maurizio Faganello und Klaus Heilinglechner. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Vater habe immer von einem Eiscafé mit allen Schikanen geträumt, dafür sei ihm nichts zu teuer gewesen, erzählt Maurizio Faganello und zeigt auf die pompöse Theke aus Marmor, die es heute noch gibt. Auch ihm als heutigem Cristallo-Chef ist nicht nur das Haus am Obermarkt 12 ans Herz gewachsen, sondern ebenso die Eigentümerfamilie Hagn, mit der stets bestes Einvernehmen geherrscht habe. Dass er die lange Vergangenheit schätzt und pflegt, lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass nach wie vor alle Kuchen im alten und noch tadellos funktionierenden gemauerten Backofen vom Café Hagn, Baujahr 1958, gebacken werden. „Mir gefällt es, wenn etwas Geschichte hat“, sagt Maurizio Faganello. 

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