Wolfratshausen:Noichls Weckruf für die Genossen

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Über Brexit und Ungarn, Löhne und Klimaschutz sprach die bayerische SPD-Spitzenkandidatin Maria Noichl in der Flößerei. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die bayerische SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl legt in Wolfratshausen einen energiegeladenen Auftritt hin

Von Veronika Ellecosta, Wolfratshausen

Der rote Salon in der Flößerei ist zum Bersten voll. Viele Anhänger der SPD aus dem Umkreis, Durchschnittsalter 60, haben sich versammelt. Sie sind vermutlich die letzten, die noch an ihre Partei glauben. In den hinteren Reihen schnarcht jemand. So laut, dass es bis nach vorne dringt. Und Maria Noichl, der bayerischen Europa-Spitzenkandidatin der SPD, kurz die Show stiehlt. Und das ist eigentlich gar nicht leicht. Denn Noichl zeigt Bühnenpräsenz und nimmt ihre Zuhörer mit, von Wolfratshausen nach Brüssel, ins Herz der EU. Sie schüttelt die Hände der Gäste, die eben noch das Bierglas gehalten haben. In der Flößerei herrscht fröhliche Wirtshausstimmung. Man ist hier unter sich. Die Spitzenkandidatin schafft es auch, den Schnarcher aus seinem Schlaf zurückzuholen.

Um Noichl eine Bühne bieten zu können, haben sich die Ortsvereine Icking, Geretsried, Schäftlarn und Wolfratshausen zusammengetan, so Beatrice Wagner, stellvertretende Vorsitzende der SPD Icking. Mehr Gäste bedeuteten mehr Reichweite und somit die Möglichkeit, prominentere Referenten zu holen. Die Bayern-SPD hat es schon lange schwer und seit der vergangenen Landtagswahl noch ein bisschen schwerer. Mit gemeinsamen Veranstaltungen, so Martin Bruckner, Vorsitzender der SPD Geretsried, wolle man nun die Ortsvereine stärken. Außerdem können überregionale Themen besprochen werden. Große Themen im urigen Gasthaus.

Die Zeit, um große Themen wie Europa zu diskutieren, ist jetzt. Maria Noichl, seit 2014 Mitglied der Europäischen Parlaments, hat die Nähe zu ihren lokalen Genossen nicht verloren. Wenn sie spricht, wird sie auch gerne mal etwas derber, was ihrer Authentizität keinen Abbruch tut. Mit Europa sei das wie mit dem Heiraten, wiederholt sie immer wieder. Da gebe es einen Scheidungsvertrag mit Großbritannien, nur das mit dem Möbelabholen haue noch nicht so hin. Das andere Land, Ungarn, habe sich mit Verstößen gegen Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und den Minderheitenschutz die Rote Karte vom Europäischen Parlament geholt. "Ein Land will gehen, das andere geht fremd", sagt sie dazu. Und wie es in einer Ehe Unterschiede in der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern gibt, kämpft Europa gegen große Gerechtigkeitslücken: Noichl spricht über die Lohnschere zwischen Ost- und Westeuropa und über die Konzentration von Vermögen auf einige wenige. "Die Konzentration ist Krebs in Europa."

Sie befürwortet die Abrüstung und die Schülerinitiativen zum Klimaschutz. Worüber sie auch spricht, sie erntet Beifall. Um keine Antwort ist sie verlegen, auch dann nicht, wenn sie mit Fragen aus dem Publikum konfrontiert wird. Zur CO₂-Steuer etwa, als deren Befürworterin sie sich zeigt, und zur Ohnmacht Europas gegenüber Orbán. Oder zur Flüchtlingsdebatte, ein Thema, das sie ausgespart hat. "Wir brauchen eine neue Afrikapolitik, eine neue Klimapolitik. Vieles muss sich ändern, aber nicht von Grund auf", sagt sie. Der Schlussappell an die Zuhörer, inzwischen aufgewacht und aufgeregt, erschöpft sich in der Aufforderung zum Urnengang, den man so schnell nicht vergisst: "Am 26. Mai muss die Radtour warten und der Töpfermarkt auch, denn es ist eine Schicksalswahl. Wählen wir einen feministisch-partnerschaftlichen Politikstil, wo ich mich nicht wie Putin mit nackertem Oberkörper aufs Pferd setzen muss."

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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