Süddeutsche Zeitung

Wolfratshausen:Neues Leben am Schwankleck

Das Haus der ehemaligen Buchhandlung Schwankl am Wolfratshauser Obermarkt hat jüngst viele Wechsel erlebt. Nun hat der Kulturverein Isar-Loisach dort seinen Kunstturm etabliert. Dieser darf nach Willen der Vermieter auch gerne zur Dauereinrichtung werden

Von Barbara Szymanski, Wolfratshausen

Menschenauflauf, Tanzmusik, dazwischen neongelb gewandete Security-Leute und der Duft von Holzofen-Pizza: Was ist da los am Schwankleck? Wie es an diesem lauen Feiertagsabend aussieht und sich anhört, gibt es rund um das markante, gleichnamige Gebäude mit dem vorwitzigen Türmchen mal wieder Kultur. Das Motto dieses Events mitten in der Wolfratshauser Innenstadt: Kunst, Licht, Klang. Den Kunst-Bestandteil macht dabei die Ausstellung von Exponaten der ägyptischen Karikaturistin Doaa El-Adl aus, der Klang wird von der Klaus-Ammann-Combo aus München erzeugt und Licht, der Begriff steht für eine Installation von Günter Klügl von No-Design.

Hereinspaziert also am Schwankleck, der Straße mit der scharfen Kurve und dem stetig fließenden Verkehr. Der Kulturabend mitten im Sommerloch ist schließlich mit "Life is a Cabaret" betitelt, organisiert vom rührigen Kulturverein Isar-Loisach, kurz KIL. Keiner der rund 200 Gäste zu Beginn des Abends ärgert sich über die rumpelnde Harley Davidson oder den aufheulenden Motor des Mustang-Modells, mit dem Steve McQueen in Bullitt durch San Francisco raste. Und wenn die Glocken von Sankt Andreas nachdrücklich zur Abendmesse einladen, legt die Klaus-Ammann-Combo zwischen "Rote Lippen soll man küssen" und "Fly me to the Moon", hübsch Frank Sinatras Welthit nachempfunden, eben eine künstlerische Pause ein. So ist das eben mitten im urbanen Leben, wenn dort Kunst geboten wird.

"Mutig, in der kulturellen Schockstarre so etwas auf die Füße zu stellen", findet Alfred Fraas, Stadtrat und Wolfratshauser Kulturreferent, der die knackig aufspielende Combo mit energischem Fußwippen begleitet und bei "Marina" von Rocco Granata munter die Lippen bewegt.

Der Mann im Frack lächelt ebenfalls tapfer, obwohl er sehr schwitzt in seinem schwarzen Gewand. Es ist Günter Klügl, der zusammen mit Andrea Weber, stellvertretende KIL-Vorsitzende, diese Kulturveranstaltung ausgeheckt hat. Seit vielen Jahren bedient er sonst als Drummer bei der Ammann-Combo Blech und Fell, betreibt das Lichtstudio No Design und ist Mitglied bei KIL. Der vielseitige Kulturschaffende und Tüftler bekommt das Lächeln nicht aus dem Gesicht, wenn er auf das Rotlicht in den Fenstern und auf den Schattenfilm in den verhängten Schaufenstern des jetzt Kunstturm genannten Schwankl-Hauses angesprochen wird: "So bleibt man im Gespräch."

Klügl findet, dass es der kleinen Stadt an der Loisach sehr gut anstünde, sich mehr für die Kultur einzusetzen. "Da steckt eine Menge Potenzial drin in den Wolfratshausern, das kann man bei den alle zwei Jahre stattfindenden Kunstmeilen erkennen, bei dem fast alle Läden mitmachen." Wer finanziert nun diesen Event? Bei dieser Frage lächelt Günter Klügl nicht mehr. Der Verein hoffe auf Spenden, Sponsoren und einen Zuschuss von der Stadt. Noch würde der Verein den Event aber vorfinanzieren - auch im Hinblick auf eine Wiederholung, natürlich mit neuen Ideen - irgendwann in diesem Jahr.

Monika Schille, Mitglied der Einzelhandelsfamilie, die in dem Haus bis vor einigen Jahren die namensgebende Buchhandlung betrieben hat, freut sich ebenfalls: "Es ist ganz in unserem und meinem Sinn, wenn man sich wegen Corona nicht ganz aus der Kultur zurückzieht." Sie könne sich gut vorstellen, dass der Kunstturm eine Dauereinrichtung wird. Zudem habe sie das ausgefeilte Sicherheitskonzept überzeugt. Andrea Weber ist ebenfalls gut drauf angesichts des großen Zuspruchs von jungen und älteren Gästen. Denn die Familie Schille hat für diese Veranstaltung nur einen kleinen Obolus an Miete verlangt. Sie weist darauf hin, dass es sich bei den Karikaturen der Ägypterin Doaa El-Adl um eine Wanderausstellung handle, die kurz vor den Ausgangsbeschränkungen in der Kulturbühne Hinterhalt in Gelting zum Weltfrauentag zu sehen war.

Und wieder wird gelächelt. Diesmal sind es diejenigen, die sich die mit klarem Strich und kluger Farbgebung gezeichneten Karikaturen zum Thema "Die Welt der Frau" anschauen. Ganz bewusst bedient El-Adl das Klischee des orientalischen Mannes, mal mit grotesk entblößten Zahnreihen, mal mit Wohlstandsbauch oder mit einem kolossalen Schnauzbart - das Überzeichnen passiert aber immer mit Augenzwinkern. Was dieser Prachtkerl allerdings den Frauen zumutet, ist nicht mehr zum zwinkern. Da bildet eine Frau im roten Kleid einen Sessel für ihren Herrn oder eine andere wird mit gefletschten Zähnen einfach aufgeraucht. Die markanten Zähne sind auch zu sehen bei einem Exponat, bei dem ein Männlein einer starken Frau eine Blume im Schritt abschneidet - ein Statement gegen die Beschneidung. Auch Malala hat El-Adl eine Zeichnung gewidmet, auf der ein kleiner Mann der übergroßen, runden Friedensnobelpreis-Trägerin einen Orden umzuhängen versucht.

Und jetzt wird's hell im 1. Stock. Günter Klügl hat eine kleine Box ertüftelt, die Licht durch Kristallgläser seiner Oma lenkt und zauberische Gebilde und Reflexionen an der Decke erzeugt. Und viele haben ihn auf offener Straße tanzen sehen: Hans Schmidt, den streitbaren Grünen-Stadtrat mit seiner Frau Lucia. Kultur in der Stadt lockt eben viele aus der Reserve.

Die Ausstellung "Die Welt der Frau" ist bis zum 30. August zu sehen, geöffnet jeweils am Freitag von 16 bis 20 Uhr, samstags von 10 bis 13 Uhr und 18 bis 21 Uhr und sonntags von 12 bis 17 Uhr

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Quelle:
SZ vom 17.08.2020
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