Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 5:Hinrichtung im Hinterhof

Im Sommer '83 wird in Wolfratshausen ein kroatischer Dissident brutal ermordet. In Auftrag gegeben hatte die Bluttat der jugoslawische Geheimdienst.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Geheimagenten bevorzugen unscheinbare Schauplätze für ihre Operationen. So betrachtet ist der Tatort des wohl brutalsten und mit Sicherheit aufsehenerregendsten Mordes der jüngeren Geschichte in Wolfratshausen gut gewählt: ein schmuckloser Funktionsbau aus der Nachkriegszeit an der Sauerlacher Straße, an dem täglich Tausende Autos vorbeifahren. Im Erdgeschoss gibt es heute eine Anwaltskanzlei und eine Bäckerei, darüber Wohnungen mit Balkonen.

Eine Einfahrt führt hinunter zu den Garagen auf der Rückseite, dazwischen zwei Büroräume mit weißen Türen und Lamellenjalousien hinter den Fenstern. Dort wurde Stjepan D. am 28. Juli 1983 erschossen und erschlagen. Die Polizei fand die Leiche des 57-Jährigen am folgenden Tag in einer Blutlache, sechs Kugeln der Kaliber 7,65 und 22 in der Brust, den Schädel zertrümmert. "Exilkroate liegt ermordet im Keller" meldete die SZ damals in der Wochenendausgabe.

Der schnurrbärtige Mann war kein Unbekannter: D., der vor seinem Exil Marketingmanager des staatlichen jugoslawischen Ölkonzerns gewesen war, hatte ein Jahr zuvor Asyl in München beantragt. Der kroatische Dissident hatte zahlreiche regimekritische Schriften veröffentlicht. Seine letzte wollte er am Vormittag des 28. Juli mit handschriftlichen Korrekturen versehen in Druck geben - in dem Wolfratshauser Souterrain, in dem er sein Leben aushauchte. Das Landeskriminalamt schloss von Anfang an "politische Hintergründe nicht aus". Wenige Tage später machte der "Kroatische Nationalrat", die Dachorganisation der Exilkroaten, in München auf einer Pressekonferenz den jugoslawischen Geheimdienst für den Mord verantwortlich und setzte für Hinweise auf die Täter 50 000 Mark Belohnung aus. Sein Vater sei "exekutiert" worden, erklärte der damals 29-jährige Sohn.

Bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden, dauerte es allerdings mehr als 33 Jahre. Am 3. August 2016 verurteilte das Oberlandesgericht München die beiden Hintermänner zu lebenslanger Haft wegen Mordes: den ehemaligen Chef des Geheimdienstes SDS in der Teilrepublik Kroatien, Zdravko M., und seinen einstigen Mitarbeiter und Leiter der Abteilung "feindliche Emigration", Josip P. Das Gericht sah es nach einem mehr als zwei Jahre dauernden, von internationalen Medien verfolgten Prozess als erwiesen an, dass die beiden 74 und 71 Jahre alten Männer, die Kroatien nur auf Druck der EU ausgeliefert hatte, die Liquidation D.s in Wolfratshausen angeordnet und organisiert hatten. Eine späte Genugtuung für die Hinterbliebenen der mehr als 30 jugoslawischen Dissidenten, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren auf deutschem Boden ermordet wurden. Die beauftragten Mörder wurden bis heute nicht gefasst.

Vor 36 Jahren hat sich in Wolfratshausen ein regelrechter Agententhriller zugetragen

Aus dem Urteil mit insgesamt 822 Unterpunkten ergibt sich ein Agententhriller um Vertrauen und Verrat, der sich vor 36 Jahren in der beschaulichen Loisachstadt zugetragen hat. Stjepan D., der vor seinem Exil auch als Informant für den BND gearbeitet haben soll, hatte fünf regimekritische Bücher mit Titeln wie "Kommunismus - der große Betrug" verfasst und galt als aussichtsreicher Kandidat der kroatischen Separatisten für ein politisches Führungsamt nach einem Umsturz. Dass der jugoslawische Geheimdienst nach seinem Leben trachte, hatte er bereits in einem Interview mit der Bild am Sonntag im Dezember 1982 erklärt. Die Wohnung, in der er mit seinem Sohn in München lebte, hielt die Polizei geheim, ebenso das Kennzeichen seines Autos. D. hatte in Wolfratshausen den Verlag "Das Kroatische Buch" angemeldet und schrieb auch regelmäßig für die Exil-Zeitung "Der Kroatische Staat".

Die vertrieb der Geretsrieder Krunoslav P. , dem die Druckerei in der Wolfratshauser Garage gehörte. Was Stjepan D. nicht wusste: Sein Landsmann und vermeintlicher Vertrauter arbeitete als informeller Mitarbeiter für den SDS, der Abteilungsleiter Josip P. hatte ihn 1975 angeworben. Mit ihm soll sich der Geretsrieder mehrmals getroffen haben, unter anderem in Belgien, Westberlin, Italien und Spanien. In Luxemburg händigte Krunoslav P. laut Urteil dem Geheimdienstfunktionär den Ersatzschlüssel für die Druckerei in Wolfratshausen aus, den Josip P. dann den beauftragten Killern zusteckte. Der Geretsrieder Informant war ein wichtiger Zeuge im Prozess gegen die einstigen SDS-Bosse. Krunoslav P. war bereits 2008 wegen des Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er war verdeckten Ermittlern auf den Leim gegangen, die vorgegeben hatten, ein Buch über seine Agententätigkeit verlegen zu wollen.

An jenem sonnigen Donnerstagvormittag des 28. Juli 1983, so hat es das Gericht anhand zahlreicher Zeugenaussagen rekonstruiert, brachte D. seinen Zeitungsartikel in die Wolfratshauser Garage, wie er es mit Krunoslav P. verabredet hatte. Sein Auto hatte er zuvor aus Angst, beschattet zu werden, auf einem entfernten Parkplatz abgestellt. Um 11.30 Uhr wollte er sich mit seiner Geliebten zu einer Bootsfahrt auf der Isar in der Nähe treffen. Dort aber kam er nie an.

Er öffnete das Garagentor und legte sein Manuskript wie vereinbart auf den Kopierer. Als er sich umdrehte, um zu gehen, schossen zwei Männer, die ihn im Hinterhalt erwartet hatten. D. wollte fliehen und wurde in den Rücken getroffen. Als er zu Boden ging, gaben die Mörder weitere Schüsse auf ihn ab. Schließlich soll ein dritter Täter "mit einem scharfen Schlagwerkzeug, wahrscheinlich einem Haumesser oder Kampfmesser" mehrmals auf seinen Kopf eingeschlagen haben. Der 57-Jährige starb an einer zentralen Hirnlähmung und einer starken Einblutung im Brustraum infolge eines Lungenschusses. Ein pensionierter Wolfratshauser Polizist, der damals zum Tatort gerufen wurde, sprach als Zeuge vor Gericht vom "bleibenden Eindruck, dass es eine Hinrichtung war".

Dort, wo man Stjepan D.s Leiche fand, hat Thomas Buchner heute seine Kanzlei. "Mein Schreibtisch steht da, wo er erschossen wurde", sagt der Fachanwalt für Arbeits- und Verkehrsrecht. Er habe die Räume vor mehr als sechs Jahren übernommen, im Wissen um ihre grausige Vorgeschichte. Den Mord habe er "schon immer wieder im Hinterkopf", sagt der 45-Jährige. Auch seine Mitarbeiter wüssten Bescheid. Allein schon, weil sein Büro immer wieder Gegenstand von Ermittlungen in diesem Fall war.

So haben LKA-Mitarbeiter die Räume im November 2014 mit Laserscannern und einer Panoramakamera erfasst, um ein 3D-Modell des Tatorts anzufertigen. "Wir hatten hier praktisch einen Drehtag", sagt Buchner. Das habe seine Arbeit zwar behindert, sei aber auch "sehr spannend" gewesen. Der Rechtsanwalt hat den Prozess gegen die Hintermänner mit großem Interesse verfolgt - auch die Ablehnung der Revision durch den Bundesgerichtshof im Mai 2018, seit der das Urteil rechtskräftig ist. "Es ist schon ein gutes Gefühl, dass der Fall jetzt abgeschlossen und so etwas wie Gerechtigkeit wiederhergestellt ist", sagt Buchner.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2019
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