Wann immer das Philharmonische Orchester Isartal ein Abokonzert gibt, ist die Loisachhalle rappelvoll. Hier in Wolfratshausen ist das hochmotivierte Orchester ja daheim, und niemand will verpassen, wie Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn ein nicht nur für Laien sehr ambitioniertes Programm auf die Bühne bringen. Schon lang vor Konzertbeginn wuseln deshalb Musikerinnen, Musiker und Publikum wirklich aller Altersklassen im Foyer und im Saal durcheinander, jeder kennt anscheinend jeden und will den Künstlern noch Erfolg und Glück wünschen.
Die Beweislage zu Wolfgang Amadé Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur, KV 622, ist nicht eindeutig, denn weder vom Komponisten noch über Anton Stadler, den Widmungsträger des Klarinettenkonzerts, ist ein Autograf überliefert. „Das hat der Virtuose und Instrumententüftler wohl verschmissen“, erzählt der Solist Georg Arzberger. Aber die Indizien sind überzeugend, dass Mozarts allerletztes Solokonzert für eine Bassettklarinette konzipiert und so auch kurz vor seinem Tod uraufgeführt wurde. Auf einem späteren Programmzettel findet sich eine Zeichnung von Stadlers Bassettklarinette, und man kennt frühere Werk-Skizzen, eindeutig für ein solches Instrument. Vor allem aber gibt es in der Version für die übliche A-Klarinette viele Stellen, an denen absteigende Läufe durch einen Sprung nach oben dann unterbrochen werden, wenn deren tiefster Ton erreicht ist. Eine Bassettklarinette kann solche Passagen musikalisch zwingend um vier Halbtöne weiter nach unten führen. „Nur so kann Mozart es gemeint haben“, sagt Arzberger. Wie inzwischen fast alle großen Klarinettisten unserer Zeit spielt er dieses Konzert nur noch mit seinem „Luxusliner“, knapp 20 Zentimeter länger als die übliche Klarinette, und mit einem wärmeren Ton in allen Registern.
Das Orchester stellt die drei Themen des ersten Satzes vor, ehe der Solist das erste übernimmt und es gleich danach schon umspielend variiert. Der Dirigent und künstlerische Leiter der Konzertreihe, Henri Bonamy, lässt das Orchester nicht nur im ersten Satz deutlich „vor Ohren führen“, dass das Konzert trotz des berühmten Soloparts vor allem sinfonisch gedacht ist. Das traumschöne Thema des Adagios ist ein anrührendes Lied, dieses Idyll bleibt im ganzen zweiten Satz erhalten. Die Klarinette präsentiert auch das fröhliche, wiederkehrende Rondo-Hauptthema des dritten Satzes. Es kostet dann von Herzen die tiefen Lagen aus, und auch, dass kein anderes Instrument, aufgrund der von Mozart geliebten Klangfarbe, so hinreißend dudeln kann. Die besinnliche Zugabe hatte vorher wohl kaum jemand gehört: Robert Schumanns „Abendlied“, wie es Ferruccio Busoni für seinen Vater bearbeitet hat, der ebenfalls Klarinettist war.
Bewährungsprobe nach der Pause
Für Mozart braucht es nur eine reduzierte Besetzung mit sechs Bläsern. Die eigentliche Bewährungsprobe für das Orchester kommt also nach der Pause, wenn es in voller Größe von fast 80 Instrumenten auf die Bühne kommt. Peter Iljitsch Tschaikowskys Sinfonie Nr. 5 e-Moll, op. 64, braucht Pauken und Trompeten, auch Posaunen und Tuba. Man ahnt, wie lang Bonamy und das Orchester geübt und geprobt haben.
Düster, bedrohlich und so leise wie möglich beginnen die Klarinetten das einleitende Andante mit dem Mollthema, das als „Schicksalsmotiv“ alle vier Sätze in verschiedensten Erscheinungsformen prägen wird. Das Allegro con anima des Hauptthemas ist nur ein Tempohinweis, von der italienischen Wortbedeutung „vergnügt, fröhlich“ kann auch in etwas aufgehellten forte-Passagen keine Rede sein. Der Satz endet so beklemmend wie sein Beginn.
Ohnehin mental labil, befürchtete Tschaikowsky zur Entstehungszeit dieser „Schicksalssymphonie“, am Ende seiner Schaffenskraft zu sein. So erklärt sich sein niederschmetterndes Urteil: „Ein misslungenes Werk, zu bunt, zu massig, unaufrichtig, zu lang“.
Positive Erhabenheit
Das perfekt geblasene Hornsolo zu Beginn des zweiten Satzes lässt aufhorchen – dabei ist ein Musikstudent erst am Vortag für die erkrankte Hornistin eingesprungen -, wie immer wieder auch die ausgezeichnete erste Fagottistin. Sehr lang bleibt der Satz vordergründig sanglich, bis das Schicksalsmotiv plötzlich noch einmal im dreifachen Fortissimo hereinbricht, dessen Urgewalt man sich noch rabiater hätte vorstellen können. Nach der „Valse“ des dritten Satzes kommt das Schicksalsmotiv noch einmal als Hauptthema des Finales, aber in ganz neuer, nach Dur gewendeter Gestalt. Die Sinfonie endet mit einem sich sieghaft gebärdenden, scheinbar strahlenden Marsch. Nur klingt der Triumph unecht, aufgesetzt, mit dem dieser letzte Satz nach so viel Düsternis unbedingt positive Erhabenheit ausstrahlen will. Das liegt aber an der Zerrissenheit des Werks, nicht an den Musikern.
Der Dirigent hat beide Hände voll zu tun, um sein Laienorchester für dieses Riesenwerk beisammen zuhalten. Aber selbst, wenn der Klang immer wieder mal zerfasert, etwa bei höllisch heiklen Tutti-Pizzicati, die selbst Profis Probleme bereiten können, findet man unter Bonamys unerschütterlicher Leitung schnell wieder zueinander. Und mit verdientem Jubel, teils im Stehen, verabschiedet das Publikum sein Orchester bis zum April.