Tag des offenen Denkmals in Wolfratshausen:Bühne frei für die Gotteserfahrung

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Die Stadtpfarrkirche von Wolfratshausen hat zum Tag des offenen Denkmals ihre Türen geöffnet. Besucher konnten manch ein bislang unbekanntes Detail entdecken. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kirchenführung in der Wolfratshauser Stadtpfarrkirche bringt Ungewöhnliches zutage: Der Altar in St. Andreas ließ sich einst in eine Theaterkulisse verwandeln.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Kirchenbesichtigungen können eine öde Sache sein, wenn lediglich die einzelnen Ausstattungsmerkmale heruntergebetet werden. Richtig spannend ist es aber dann, wenn es jemand versteht, die Sakralgeschichte mit prallem Leben zu füllen.

Beim Tag des offenen Denkmals am Sonntag gab es eine solche Gelegenheit. Rund 50 Leute spazierten mit Ur-Wolfratshauser Martin Melf und Wiggerl Gollwitzer vom Historischen Verein durch die Stadtpfarrkirche St. Andreas und erfuhren dabei viel Spannendes und Ungewöhnliches. Zum Beispiel, dass der Altar eigentlich eine Bühne ist, auf der schon vor Jahrhunderten Theater gespielt wurde. „Das ist etwas ganz Besonderes“, erklärte Melf dazu. Die alten Holzkulissen dafür lagern heute noch hinter dem Altar, gemeinsam mit gut einem Dutzend bis zu 400 Jahre alter, reich verzierter Zunftstangen. Auch dieser kleine, rumpelkammerähnliche Raum, zu dem normalerweise nur der Pfarrer Zutritt hat, durfte besichtigt werden.

Die Tour durch die Stadtpfarrkirche St. Andreas in Wolfratshausen hat der Historische Verein organisiert. (Foto: Harry Wolfsbauer)
Hinter dem Altar stehen 16 historische Zunftstangen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Freilich bekam das Volk in der Wolfratshauser Stadtpfarrkirche nicht Schiller oder Shakespeare zu sehen, sondern Bibelszenen. Dafür konnte das große Altarbild aufgekurbelt werden. Mehrmals im Jahr wurde die Bibel nachgespielt, wie etwa an Ostern mit der Auferstehung Christi. Gemalte Kulissen und Holzfiguren dienten als Requisiten. „Der Jesus hatte so einen Hakl am Kopf und damit konnte man ihn aus dem Grab ziehen, wenn alle das Gloria sangen“, so Melf. Das erbauliche Spektakel sei in der Reformationszeit so etwas wie die Antwort auf die neuen Evangelischen gewesen, mit der die Katholiken auf Kirche zum Anfassen setzten statt auf trockenes Luthersches Bibelstudium.

Die göttliche Botschaft durch Sinneserfahrungen näherbringen

Der Kulissenaltar, dessen Mechanismus zurzeit leider defekt ist, soll nach der Restaurierung wieder funktionstüchtig sein. Den Gläubigen die göttliche Botschaft durch Sinneserfahrungen näherbringen, dazu war auch das „Himmelfahrtsloch“ da. Eine runde, dunkle Öffnung mit abnehmbaren Deckel oben an der Decke über dem Langhaus, dort, wo die Kirchgänger sitzen. Sein Großvater habe noch davon erzählt, so Melf, dass an Himmelfahrt der Heiland buchstäblich in den Himmel gezogen wurde. An Pfingsten wiederum wurde der Heilige Geist in Form einer Taube herabgelassen.

Martin Melf führt durch die Stadtpfarrkirche. Der Mechanismus des Kulissenaltars soll nach der Restaurierung wieder funktionstüchtig sein. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kirche St. Andreas ist eine sehr alte. Die erste wurde 1484 geweiht, aber schon 1585 bauten die Wolfratshauser eine neue und prächtigere, die allerdings dem verheerenden Stadtbrand von 1619 zum Opfer fiel, als in der Mälze des Schererbräus ein Feuer ausbrach. Die neue Kirche (1626 geweiht) sollte noch größer als die alte werden, und vor allem zwei Kirchtürme haben mit der stolzen Höhe von hundert Metern. Weil aber der 30-Jährige Krieg dazwischenkam, war nur Geld für einen Turm mit dem Schrumpfmaß 56 Meter da. Immerhin sahen die einfallenden Schweden 1632 davon ab, die neue Kirche zu brandschatzen – die Ausstattung war nämlich noch nicht fertig und der Bau längst nicht so reich geschmückt wie heute. Weil die kahlen Mauern die Schweden an ihre eigenen kargen protestantischen Gotteshäuser erinnerten, blieb St. Andreas verschont und damit bis heute erhalten.

Knochen als Wächter des Glaubens

All diese Details wusste Martin Melf höchst anschaulich zu erzählen. Auch zu den zwei prächtig geschmückten Seitenaltären waren ungewöhnliche Details zu erfahren. So wurden nur wichtige Kirchen damals vom Papst mit einem Skelett bedacht, wusste Melf zu dem gläsernen Schrein mit den Reliquien des Katakombenheiligen Candidatus unter dem Bild des Heiligen Sebastian zu erzählen. Die menschlichen Knochen kamen im 17. Jahrhundert direkt aus Rom nach Wolfratshausen und waren dazu gedacht, eine Art Wächter des Glaubens zu sein.

Unter dem Bild des Heiligen Sebastian liegt ein Skelett. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der linke Seitenaltar mit der Muttergottes ist ortsgeschichtlich interessant. Wer wissen will, wie Wolfratshausen früher mal aussah, muss nur ein wenig näher hinschauen, um zu erkennen, dass im Hintergrund die typische Stadtkulisse dargestellt ist, mit dem Kreuzweg am damals noch ungewöhnlich baumlosen Bergwald. Und noch etwas ist anders in St. Andreas als in vielen anderen katholischen Kirchen. Während der Altarraum nämlich normalerweise der Geistlichkeit vorbehalten ist, befinden sich in der Stadtpfarrkirche links und rechts zwei Oratoriumsemporien. So heißen die Plätze, die den Rängen im Theater ähneln. Diese Einbauten, die es eigentlich nur in evangelischen Kirchen gibt, hatten sich die Wolfratshauser Bürger im Jahr 1837 erstritten. Allerdings durften dort nur die Wohlhabenden sitzen und die Plätze kosteten extra.

Nur auf die Besteigung des Glockenturms, die vorab irrtümlich angekündigt worden war, mussten die Teilnehmer der Kirchenführung verzichten - aus statischen Gründen. Ist die Generalsanierung von St. Andreas fertig, zu der die Arbeiten vor Kurzem begonnen haben und die rund 7,2 Millionen Euro kosten soll, wird aber auch dies wieder gefahrlos möglich sein.

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