Aufstellen, Notenblätter in die Hand und lossingen - das ist der vertraute Anblick eines Chorkonzerts. Bei aller Liebe zur Musik ganz schön konventionell. Eine völlig andere Sängerbegegnung möchte hingegen Yoshihisa Kinoshita in Gang bringen. Wenn am Freitag, 10. Juni, 48 Jugendliche aus drei verschiedenen Ländern - Ägypten, Litauen und Deutschland - in der Loisachhalle auftreten, sind sie Teil eines spannenden Experiments.
Die intuitive Fähigkeit, den anderen auch ohne gemeinsame Sprache zu verstehen, soll dabei im Vordergrund stehen, erklärt der Kinderchorleiter der Musikschule Wolfratshausen. Denn seine Erfahrung ist, dass das krampfhafte Kleben an vorgegebenen Noten und Texten und die Angst vor falschen Tönen die zwischenmenschliche Beziehung stört. Stattdessen möchte er ausloten, ob es so etwas wie eine internationale musikalische Verständigung gibt, wenn sich die jungen Sänger und Sängerinnen ohne das starre Korsett aus formalen Strukturen über die nonverbale Kommunikation wie Mimik, Gestik und Tonfall mitteilen. "Sprache besteht über die kognitive Bedeutung hinaus aus Rhythmus und Musik, wer sich darauf einlässt, bekommt viel mehr Zwischenmenschliches mit", erläutert Kinoshita. "Dass so eine völlig andere Wahrnehmung entsteht, ist das Tolle."
Auch Musikschulleiter Manfred Heller wünscht sich, dass sich etwas entwickelt, das die Sprach- und Kulturgrenzen überwindet. Denn bei dem Chorprojekt geht es nicht nur ums gemeinsame Singen, sondern um die zugrundeliegende Friedensbotschaft durch den Abbau von Vorurteilen: "Wenn wir Menschen es schaffen, uns auf diese Weise zu verständigen, dann schlagen wir uns nicht gegenseitig die Köpfe ein."
Zu den beiden Jugendchören, dem Pasch-Chor aus Kairo und dem Chor Hzg sound des Hermann-Sudermann-Gymnasiums Klaipeda in Litauen hat Kinoshita bereits vor Jahren den Kontakt geknüpft. Auf Initiative des Goethe-Instituts Kairo und dank einer Förderung eines Erasmus-Programms kommen die Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren mit dem Kinderchor der Wolfratshauser Musikschule eine Woche am Tegernsee zusammen, um unter dem Motto "You(th) can sing" mit Komponistin Helga Pogatschar das neue Chorstück zu entwickeln.
Gemeinsame Übungen sollen dabei Impulse für die Kreativität setzen. Etwa, indem die jungen Sänger nicht in Reih und Glied auf der Bühne stehen, sondern sich im Raum bewegen, bis sich einer entschließt, innezuhalten und zu singen, was das Zeichen für die anderen ist, ebenfalls stehenzubleiben. Welche Silben schlussendlich die Kehlen der Chormitglieder verlassen, ist bewusst völlig offen. Sie dürfen getrost ihr Eigenleben entfalten. "Das kann die Muttersprache sein, das kann eine neue Sprache sein, vielleicht ist es auch la-la-la oder lo-lo-lo", so Heller, der auch das Publikum auf die ungewohnte Darbietung einschwören will. "Der Zuhörer muss es aushalten, dass die Form nicht immer klar definiert ist." Das soll nicht heißen, dass es ganz ohne Strukturen geht. Mithilfe einer Reihe von Regieanweisungen soll das neue Chorwerk sogar weltweit adaptierbar und aufführbar sein.
Das Konzert in Wolfratshausen ist der erste Höhepunkt des Projekts und besteht aus einem traditionellen und einem innovativen Programmteil. Zunächst stellt sich jeder Jugendchor mit seinem eigenen Repertoire vor, es folgt ein gemeinsamer Auftritt und anschließend der experimentelle Teil, der im Workshop am Tegernsee entwickelt wurde. In den darauffolgenden Monaten sollen die Chöre das Konzept weiterentwickeln, auch durch Online-Meetings, und sich in einem Jahr wiedertreffen zu einem Abschlusskonzert mit einer endgültigen Form.
You(th) can sing: Drei Jugendchöre - ein Konzert; Pasch-Chor aus Kairo, Hzg sound aus Litauen und Wolfratshauser Kinderchor, Konzert am Freitag, 10. Juni, Loisachhalle Wolfratshausen, Beginn 18 Uhr, Eintritt frei, Spenden erbeten