Erst kürzlich hat Juliane Meister eine blühende Frühlingsküchenschelle notiert. An einer Stelle in einem Auwald irgendwo an der Isar, wo genau, verrät sie nicht. Denn die Frühlingsküchenschelle mit ihren flauschigen Blüten gilt als stark gefährdet, und auch in den Auwäldern an der Isar gedeiht sie nur an wenigen Standorten. Um die seltene Blume zu schützen, sollte ihr Vorkommen also besser ein Geheimnis bleiben.
Die Samen von Pflanzen wie der Frühlingsküchenschelle wurden einst durch die wilde Isar an die Ufer und in die lichten Auwälder gespült, wo sie sich niederließen und aufblühten, um von den nächsten Fluten wieder fortgerissen zu werden. Ihrer Lebensart entsprechend heißen diese Arten Alpenschwemmlinge oder Kiesbankpioniere. Zu ihnen zählen heute seltene Orchideen wie der Frauenschuh, das Wanzenknabenkraut und die Spinnenragwurz oder unscheinbare Blümchen wie der Kiessteinbrech.
Juliane Meister wird in den kommenden Jahren öfter in den Auen im Landkreis unterwegs sein und die Alpenschwemmlinge zählen und monitoren. Erst kürzlich ist das dreijährige Projekt „Kiesbankpioniere“ des Landesbundes für Vogelschutz Wolfratshausen angelaufen, das sie leitet und dessen Ziel es ist, eine Inventur der seltenen Arten auf den ehemaligen Kiesbänken zu erstellen und Schutzmaßnahmen umzusetzen.
Alpenschwemmlinge haben eine Vorliebe für Kiesbänke
An einer Lichtung in der Weidacher Au, wo die Schneeheide lila über dem Boden schimmert, bleibt Juliane Meister stehen. Die Lichtung mit ihrer Schneeheide, einigen Wacholdersträuchern und Kiefern wurde früher auch öfter von der Isar geflutet. Meister zeigt auf einer Karte, wie der Boden strukturiert ist und wo hier früher das Ausweich-Flussbett verlief. Heute bleiben die Böden hier trocken, denn seitdem der Sylvensteinspeicher und die Brückensicherungen für die Marienbrücke die Isar gezähmt haben, strömt kaum noch Wasser mehr in die Weidacher Au, erklärt Meister. Stattdessen tieft die Isar immer weiter in ihr gewohntes Flussbett ein. Die ehemaligen Kiesbänke in den Auen verbuschen, aus dem Herbstlaub wird Humus, der Boden wird dadurch nährstoffreicher. Für die Alpenschwemmlinge mit ihrer Vorliebe für offene Kiesbänke und mageren Böden ist es heute schwieriger aufzukommen.
Es geht aber nicht nur um die Isar, auch der Klimawandel macht den Alpenschwemmlingen zu schaffen, sagt Juliane Meister. Starker Regenfall und starke Trockenheit verändern die Vegetation, die Frühlingsküchenschelle kann da zukünftig möglicherweise nicht mithalten. Noch findet man Arten der Kiesbankpioniere im Schneeheide-Kiefernwald in der Weidacher Au, aber mit der Zeit könnte sich das ändern. Wie genau, will Meister mit dem LBV-Projekt herausfinden.
Etwa 20 Arten stehen auf Juliane Meisters Monitoring-Liste. Über alte Bestandsdaten, Einzelbegehungen und Strukturkarten sammelt die Landschaftsplanerin Informationen über die einzelnen Arten in den Auwäldern an der Isar. Das Fokusgebiet sind die Auen in Weidach, Puppling, Königsdorf und Ascholding, aber insgesamt reicht das Projektgebiet von Icking bis Bad Tölz. Juliane Meister will ein Stück weit verstehen, mit welchen Veränderungen manche Arten zurechtkommen, wo die Verbuschungen zu viel werden und was sich dagegen tun lässt.
Entbuschung und Weide
Aus den Erkenntnissen will Juliane Meister Maßnahmen entwickeln, um Lebensraum für die Alpenschwemmlinge zu bewahren: Lichtungen und Offenhaltung des Bodens in den Auwäldern zu erhalten, wäre die wichtigste, sagt sie. Die jungen Kiefern, Wacholdern und Grauerlen, die hier dicht an dicht wachsen, müssten in ihrem Bestand kontrolliert werden, damit der Auwald nicht verbuscht.
Auch Mähen würde einigen Arten sicher guttun, weil dicker Grasfilz den Boden für die Alpenschwemmlinge verschließt. Langfristig wäre es auch denkbar, Ziegen in die Weidacher Au zu schicken, die die Sträucher zurückdrängen sollen. All die Maßnahmen kann Meister erst in Absprache mit Eigentümer und Naturschutzbehörden anstoßen, aber sie sollten die dreijährige Laufzeit des Projektes überdauern. Und auch in der Umweltbildung sollen die Kiesbankpioniere ihren Platz bekommen, der LBV Wolfratshausen denkt hierzu über Führungen und Aktionen in Schulen nach.
Aber nicht alle Arten werden in der Weidacher Au eine Zukunft haben. Juliane Meister deutet an eine Stelle auf der Lichtung, wo besonders viele Wacholdersträucher schon einen stattlichen Wuchs erreicht haben. Es geht im Projekt immer noch um die Frage, wie viel Naturschutz sein soll, sagt sie. Wenn einzelne Arten in der Natur nur noch künstlich mittels „Pinzettenpflege“ an den ursprünglichen Standorten am Leben gehalten werden, sei das auch nicht sinnvoll. „Manchmal muss man auch akzeptieren, dass manche Arten hier einfach nicht mehr wachsen.“
Für die Frühlingsküchenschelle gilt diese Prognose vorerst nicht. Es war ein feuchter März verglichen mit vergangenem Jahr, Juliane Meister hat schon einige Knospen gesehen. Ob ein Fruchtstand kommt, kann sie noch nicht absehen, die meisten Küchenschellen blühen erst im April. Aber Juliane Meister will sie im Auge behalten und herausfinden, warum sie an manchen Plätzen in der Au besser wächst. Und an manchen gar nicht.